Wochenlang wurde spekuliert, ob die ÖVP mit Othmar Karas als Spitzenkandidat in die EU-Wahl geht. In vielen europapolitischen Grundsatzfragen trennen Karas und ÖVP-Chef Sebastian Kurz Welten - der 61-jährige EU-Abgeordnete wetterte gegen den Ausstieg von Türkis-Blau aus dem UN-Migrationspakt, geißelte die Indexierung der Kinderbeihilfe als „Neiddebatte“, forderte eine schärfere Gangart gegen Viktor Orbán. Ein ÖVP-Politiker, der dem Parteichef widerspricht, sich der türkisen Sprachregelung entzieht, eigene Wege geht - das geht normalerweise gar nicht in der Kurz-ÖVP.

Nun sind die Würfel gefallen. Am Vormittag erklärte sich Karas via Facebook in einem Video zur neuerlichen Kandidatur bereit, eine halbe Stunde später gab Kurz grünes Licht - via Twitter aus Linz. In den letzten Tagen haben sich, wie zu vernehmen ist, Kurz und Karas „zusammengerauft“. Der Deal: Karas muss sich nicht verbeugen und kann an seiner Agenda festhalten, dafür wird ihm Karoline Edtstadler, die einst als „Richterin Gnadenlos“ für Schlagzeilen sorgte und als Staatssekretärin im Innenministerium eine harte Linie in der Migrationspolitik verfolgte, zur Seite gestellt. In der türkisen Sprachregelung ist von einer „Doppelspitze“ die Rede - „türkis-schwarze Doppelspitze“ wäre zutreffender.

Edtstadlers Antreten ist die eigentliche Überraschung

Kurz musste befürchten, dass Karas mit einer eigenen Liste in die Wahl geht und der Volkspartei die entscheidenden Stimmen für Platz eins wegnimmt. Kurz ist bei der EU-Wahl am 26. Mai zum Siegen verdammt, Platz zwei würde den Nimbus der Unbesiegbarkeit zerstören.

Dass Edtstadler antritt, ist die eigentliche Überraschung. Die 37-jährige Salzburgerin hatte als Mitarbeiterin am Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg mehr als ein Jahr „aus dem Koffer“ gelebt. Nun ist sie wieder zum Pendeln verdammt. Sie spricht fließend Englisch und akzentfrei Französisch - beste Voraussetzungen für eine europäische Karriere.

Seniorenbund schickt früheren ZiB-Moderator ins Rennen

Schon am Freitag sickerte eine weitere Personalie durch: dass Seniorenbundchefin Ingrid Korosec den ehemaligen „Zeit im Bild 1“-Moderator, Ex-Dancing-Star, mehrfach als Publikumsliebling mit einer „Romy“ ausgezeichneten Wolfram Pirchner ins Rennen schicken will. Korosec bestätigte gestern Abend im Telefonat mit der Kleinen Zeitung die Kandidatur: „Wir müssen Europa nach Österreich bringen. Pirchner gehört zur Gruppe der jungen Senioren, die noch einmal etwas mit ihrem Leben anfangen wollen. Er ist der Kandidat, den ich mir wünsche.“ Der 60-jährige Tiroler schied 2017 aus dem ORF aus und landete mit seinem Buch „Keine Panik vor dem Alter“ einen Bestseller. In diesem Buch enthüllte er, dass als „ZiB 1“-Moderator mit Panikattacken zu kämpfen hatte. Die endgültige Reihung der Liste wird morgen der Öffentlichkeit präsentiert. Fix auf der Liste sind unter anderem die Steirerin Simone Schmiedtbauer (Bauernbund), die Oberösterreicherin Angelika Winzig (Wirtschaftsbund) und der Niederösterreicher Lukas Mandl (ÖAAB).

Das Tableau der Spitzenkandidaten ist nahezu komplett - mit Andreas Schieder (SPÖ), Harald Vilimsky (FPÖ), Claudia Gamon (Neos), Werner Kogler (Grünen). Ob die Liste Pilz Johannes Voggenhuber aufstellt, ist unklar. Intern gibt es Widerstände gegen eine „Vorherrschaft der Silberrücken“.