30. April, 17.45 Uhr - Die Antwort

Inzwischen ist - siehe eins weiter unten - die Antwort von Kommissions-Vizepräsidentin Margrethe Vestager, zuständig für Wettbewerb, bei Finanzminister Gernot Blümel und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck gelandet.

In dem Brief wird Dank für die gute Kooperation ausgesprochen mit dem freundlichen Hinweis darauf, dass in gemeinsamer Zusammenarbeit bereits Finanzierungshilfen im Wert von 24 Milliarden Euro für österreichische Unternehmen auf den Weg gebracht werden konnten - eingereicht von Österreich, abgesegnet von Brüssel.

Man dürfe aber nicht die europäischen Werte und Prinzipen außer Acht lassen, der Binnenmarkt sei immerhin eine der wertvollsten Errungenschaften. Und noch einmal das Argument: die staatliche Unterstützung könnte ohne Regulierung in einem Land so stark sein, dass ein anderes Land Schaden erleiden könnte - was insgesamt nicht so wirklich sinnvoll erscheint. Es gehe um Chancengleichheit.

Vestager erinnerte auch daran, dass die zeitlich begrenzten Rahmenbedingungen vom 19. März in Absprache mit allen Mitgliedsländern erfolgt seien, inklusive Österreich. Es gäbe jetzt schon eine Reihe von Möglichkeiten für die Mitgliedsländer, gezielt jene Wirtschaftszweige zu unterstützen, die besonders hart getroffen seien. Vestager nennt als Beispiele Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Frankreich, irland, Litauen, Niederlande, Portugal und Schweden. Das stünde auch Österreich offen.

Ein Aussetzen der Beihilferegeln, wie von Blümel und Schramböck gewünscht, wäre keine passende Antwort auf die Krise und würde auch eine Änderung der EU-Verträge voraussetzen. Das, was über die derzeitige Regelung hinausgeht, wäre auch außerhalb des Rahmens, den die Staats- und Regierungschefs vorgegeben haben.

Vestager argumentiert auch damit, wovor sowohl Ursula von der Leyen als auch Ratspräsident Charles Michel bereits gewarnt haben: Die Folgen der Krise dürfen nicht in asymmetrischen Schocks münden - je ungleicher die Länder betroffen sind, desto größer könnten die Gräben in Europa werden. Der Brief schließt mit einem Hinweis an die beiden Minister: die Kommissarin und Vizepräsidentin sei gerne zu Gesprächen bereit.

30. April, 14.30 Uhr - Rätselhaft

Was ist da los, worum geht es wirklich? Zwischen dem österreichischen Finanzminister Gernot Blümel und der EU-Kommission ist eine Auseinandersetzung ausgebrochen, die Stirnrunzeln verursacht. Begonnen hat alles bei einer Pressekonferenz vor zwei Wochen, als Blümel aus heiterem Himmel für die vorübergehende Abschaffung des EU-Beihilfenrechts eintrat. "Ich habe kein Verständnis dafür, wenn wir mit österreichischem Steuergeld andere Länder unterstützen und dafür im Gegenzug ein Verbot bekommen, unsere eigenen Unternehmen mit unserem eigenen Steuergeld zu unterstützen", sagte Blümel. "Diese Solidarität darf keine Einbahnstraße sein." 

Wovon genau er da sprach, blieb vorerst unklar. Das Beihilfenrecht soll hauptsächlich einen fairen Wettbewerb ermöglichen und verhindern, dass reiche Staaten ihre Kernindustrien so lange unterstützen, bis den armen Mitbewerbern das Geld ausgeht. Es geht also darum, Protektionismus zu verhindern. Wo ist das Problem?

Die EU-Kommission reagierte entsprechend: "Die Regeln sind ein Grundstein des Binnenmarktes und sichern faire Wettbewerbsbedingungen unter Marktteilnehmern." Dies bleibe auch während und nach der Corona-Krise von "fundamentaler Wichtigkeit". 

Doch Blümel blieb bei seiner Forderung. In einem Interview mit der Kleinen Zeitung zeigte sich letzte Woche Martin Selmayr, Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Österreich, "befremdet" über den Vorstoß und verwies darauf, dass die Kommission alle Ansuchen in Rekordzeit - in 24 bis maximal 48 Stunden - erledigen würde.

Doch es ging weiter. Blümel und Wirtschaftsministerin Margarethe Schramböck schrieben einen Brief an Brüssel, in dem die Rede ist von unangebrachten "Zeiten der Bürokratie", es gehe um mehr Schnelligkeit. Dabei hatte am selben Tag Europaexperte Andreas Maurer in der "TT" ausgeführt, es sei undenkbar, dass das EU-Beihilfenrecht für die Bewältigung der Coronakrise ausgesetzt werde. "Wer kontrolliert denn dann noch, wer hier wem in die Tasche zuarbeitet?", fragte Maurer. Das EU-Wettbewerbsrecht sei absolut zentral für das Funktionieren des Binnenmarkts. "Wenn man das der Kommission nimmt, gilt nur noch das Recht des Stärkeren." Genau das drohe sich durchzusetzen, weil Brüssel die Staaten von der Leine gelassen habe. 

Kein Argument für Blümel: Er blieb in mehreren Zeitungsinterviews bei seiner Position. "Wir wollten zu Beginn der Krise unseren Betrieben nach dem Schweizer Modell helfen, also zu 100 Prozent vom Staat garantierte Kredite ausgeben. Über Wochen sind wir damit in Brüssel auf taube Ohren gestoßen", beklagte der Finanzminister. "Als es dann genehmigt war, mussten wir bürokratische Hürden überwinden."

Was nun dazu führte, dass sich die EU-Kommission in einer langen Aussendung noch einmal damit befasste und unter anderem darauf hinwies, dass bei der Einreichung der österreichischen Beihilfevorhaben am 31. März für die Bewertung wesentliche Elemente gefehlt hätten. Unklar sei unter anderem gewesen, ob nur Maßnahmen auf staatlicher Ebene oder auch auf Länderebene erfasst sein sollen und welche Wirtschaftssektoren einbezogen werden. Nach Klärung der offenen Fragen habe die EU-Kommission "umgehend grünes Licht" gegeben und eine Liquiditätsregelung im Ausmaß von 15 Milliarden Euro am 8. April sowie Garantieregelungen für Klein- und Mittelunternehmen am 16. April genehmigt. Die EU-Kommission hält auch fest, dass die EU-Länder gemäß dem adaptierten temporären Beihilferahmen vom 3. April die Möglichkeit haben, eine staatliche Garantie von bis zu 100 Prozent für Kredite von bis zu 800.000 Euro pro Unternehmen zu gewähren. Zudem seien geringfügige Beihilfen (sogenannte De-minimis-Beihilfen in Höhe von 200.000 Euro) erlaubt, die nicht meldepflichtig sind. 

Die Geschichte ist noch immer nicht zu Ende. Blümel und Schramböck reagierten nämlich: "Die heutige Reaktion der EU-Kommission zeigt, dass die Verantwortlichen in Brüssel das Problem noch immer nicht verstanden haben", sagte Blümel. "Immer wieder können wir kleinen und mittleren Unternehmen nicht sofort helfen, weil uns das europäische Beihilferecht daran hindert", lautet Wirtschaftsministerin Schramböcks Ansicht. Die Forderung nach Aussetzung des Rechts sei auch "keine alleinige österreichische Forderung" - welche Länder ebenfalls dieser Meinung sind, bleibt im Dunkeln.

Das alles wirkt wie ein Streit um des Kaisers Bart. Bloß warum? Auftakt für ein neues "Blame game"? Brüssel ist schuld - sehr oft, wenn dieser Satz auftaucht, geht es darum, von Fehlentwicklungen im eigenen Land abzulenken. Vielleicht liegen aber auch nur die Nerven langsam blank.

23. April, 10.15 Uhr - EuGH-Urteil

Artenschutz ist ein wichtiges Thema in der EU - übergerordnet, damit nicht wieder jedes Land einfach tut, wie es will. Das weiß jetzt auch das Land Niederösterreich. Gerade eben wurde bekannt, dass der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) der EU-Kommission recht geben wird: Diese hatte eine Vertragsverletzungsklage gegen Österreich eingebracht, weil in Niederösterreich die "Frühjahrsjagd auf die männliche Waldschnepfe" gestattet war. Geht einfach nicht, stellten die Höchstrichter fest. Das passt nicht zur Vogelschutzrichtlinie. Nun wird man sich wohl mit einer Überarbeitung der "niederösterreichischen Waldschnepfenverordnung" befassen müssen; Tier- und Umweltschutz ist halt doch eine sehr wichtige Sache, die alle betrifft.

Konkret heißt es, die in Niederösterreich erlaubte Frühjahrsjagd auf männliche Waldschnepfen (Scolopax rusticola) verstößt gegen die Vogelschutzrichtlinie der Europäischen Union. Demnach ist während der Nistzeit oder einzelnen Phasen der Brut- und Aufzuchtzeit jede Bejagung der geschützten Art untersagt. Die niederösterreichische Waldschnepfenverordnung erlaubt hingegen, dass Waldschnepfenhahnen in der Zeit von 1. März bis 15. April während des Balzfluges erlegt werden dürfen. Österreich argumentierte mit einer Ausnahmeklausel, der EuGH sah es nun aber als erwiesen an, dass die Frühjahrsjagd von Hähnen für die niederösterreichischen Bestände der Waldschnepfen schonender wäre als die Herbstjagd. Das Verfahren lief seit 2013, Klage wurde vergangenes Jahr eingebracht.

17. April, 18.30 Uhr - News ohne Ende

Alles ist im Corona-Modus, natürlich auch die EU. Dabei arbeiten die Institutionen, die Beamten, die Abgeordneten alle auf Hochtouren. Doch nicht nur rund um das alles beherrschende Thema, es gibt zahlreiche andere Bereiche oder welche am Rand, die aber in der Nachrichtenflut völlig untergehen. Hier ist eine Auswahl an Meldungen der letzten Stunden - die Liste ließe sich noch lange fortsetzen:

  • Das EU-Parlament hat das Vorgehen Ungarns und Polens in der Corona-Pandemie kritisiert. Die Abgeordneten bedauerten, dass die ungarische Regierung den Notstand unbefristet ausgerufen habe, hieß es in einer am Freitag verabschiedeten Resolution. Zudem rügten die EU-Parlamentarier die polnische Regierung für die geplante Durchführung der Präsidentenwahl während der Pandemie.
  • Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien haben sich auf einen gemeinsamen Ansatz für eine EU-Asylreform geeinigt. In einem gemeinsamen Schreiben an die EU-Kommission fordern die Innenminister der vier Länder eine verbindliche Verteilung von Flüchtlingen - allerdings mit Ausnahmen. Österreichs Grüne begrüßten den Vorschlag, das Innenministerium reagierte zunächst nicht.
  • Die EU-Kommission kann den aktualisierten österreichischen Budgetentwurf wegen der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise nicht bewerten. Da der Plan "auf einem makroökonomischen und budgetären Ausblick" basiere, "der vor der Eskalation der Coronavirus-Pandemie formuliert wurde", sei er "nicht mehr realistisch", heißt es in einer Stellungnahme der EU-Behörde in Brüssel am Freitag.
  • Ein Beratungsauftrag an den US-Finanzinvestor Blackrock bringt die EU-Kommission in Erklärungsnot. Bei dem Zuschlag für eine Studie über grüne Investitionen seien alle Vergaberegeln strikt eingehalten worden, so ein Spreche. "Das Angebot von Blackrock war das beste verglichen mit anderen Bewerbern, sowohl technisch als auch finanziell." Den Auftragswert gab er mit 280.000 Euro an. Die Fondsgesellschaft Blackrock mit Sitz in New York verwaltet und investiert Vermögenswerte von mehreren Billionen Dollar. Über den Auftrag an die US-Firma hatten sich zuerst Europaabgeordnete der deutschen AfD empört. Am Donnerstag äußerten auch etwa 80 Parlamentarier von Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen ihr Missfallen. Sie kritisierten mögliche Interessenskonflikte, da Blackrock Milliardeninvestitionen in fossile Energien verantworte und voraussichtlich von Wiederaufbaumaßnahmen nach der Corona-Krise profitieren werde. In einer schriftlichen Anfrage fordern die Abgeordneten eine neue Ausschreibung für den Auftrag.
  • Die Fidesz-Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban soll nach dem Willen von EVP-Chef Donald Tusk noch heuer aus der christdemokratischen Parteienfamilie ausgeschlossen werden. Das ungarische Notstandsgesetz in der Corona-Krise möge formaljuristisch nicht zu beanstanden sein, aber habe "mit dem Geist der Demokratie nichts mehr zu tun", sagte der Ex-EU-Ratschef dem "Spiegel".

8. April, 20.00 Uhr - Gekündigt

Das war eine kurze Zeit im Amt: Am 1. Jänner wurde Mauro Ferrari Präsident des Europäischen Forschungsrates (ERC), vorgestern reichte er seine Kündigung ein - wie es hieß, schickte der italienische Experte in Sachen Nanomedizin ein E-Mail an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Laut einem Bericht der "Financial Times" habe er die Brüsseler Behörde nicht überzeugen können, ein umfangreiches wissenschaftliches Programm zur Bekämpfung der Corona-Epidemie auf die Beine zu stellen.

ERC? Eine Agentur, die im Wissenschaftsprogramm "Horizon" angesiedelt ist. Sie gilt als wichtigste europaweite Förderagentur für Spitzenforschung. Die EU-Kommission hatte für den ERC eine erhebliche Aufstockung des Budgets von 13,1 Milliarden Euro im Zeitraum 2014-2020 auf 16,6 Milliarden für den Zeitraum 2021-2027 vorgeschlagen.

Nun stellte sich aber heraus: alle 19 Mitglieder des Wissenschaftlichen Rates hatten bereits am 27. März einstimmig den Rücktritt des Chefs gefordert. Die einstige ERC-Präsidentin Helga Nowotny erklärte gegenüber der APA, Ferraris Pläne hätten vorgesehen, den ERC "als große Koordinationsagentur für die ganze Union" aufzustellen, was sich so nicht umsetzen ließe. Der ERC selbst geht ins Detail: Ferrari habe während seiner dreimonatigen Amtszeit "ein völliges Unverständnis für die Daseinsberechtigung" der EU-Agentur gezeigt. Er habe an wichtigen Sitzungen nicht teilgenommen, viel Zeit in den USA verbracht und persönliche wissenschaftliche und geschäftliche Projekte verfolgt, anstatt die Interessen des ERC zu vertreten.

Was vielleicht eine Rolle spielt: Ferrari ist zwar italienischer Abstammung, war aber bereits als Student in den Vereinigten Staaten und besitzt auch die US-Staatsbürgerschaft. Was er wollte, eine "völlige Umorientierung" für den europäischen Forschungsrat bedeutet, so Nowotny: "Man kann aber keine Institution, die auch rechtliche Grundlagen hat, von einem Tag auf den anderen umpolen."

Der ERC will den Vorwurf der Untätigkeit sowieso nicht auf sich sitzen lassen und verweist auf "über 50 laufende oder abgeschlossene ERC-Projekte, die mit einem Gesamtwert von etwa 100 Millionen Euro unterstützt werden". Da hat wohl der US-Zugang mit der europäischen Arbeitsweise von Beginn an nicht zusammengepasst.

3. April, 17.00 Uhr - Gut gemeint...

In Zeiten der Krise, wo besonders die Solidarität innerhalb der EU zunehmend fragil wirkt, spielen Symbole eine größere Rolle als sonst. Es geht um Gesten und Zeichen, so wie sich nun wildfremde Menschen mit Schutzmasken plötzlich von einer Straßenseite zur anderen zunicken.

Eine solche Geste setzte jetzt das EU-Parlament: Es stellte ein komplettes Bürogebäude in Brüssel für die Versorgung von Corona-Patienten zur Verfügung, ebenso eine Flotte von 100 Dienstfahrzeugen. "Wir sind bereit, ebenso mit unseren Büros in Luxemburg und Straßburg zu verfahren, wenn Bedarf besteht", teilte der EU-Parlamentspräsident David Sassoli mit.

Das ist wirklich sehr großmütig. Im Falle der Fahrzeuge eine wertvolle Sachspende, die in vielerlei Hinsicht Verwendung finden kann. Beim Bürogebäude allerdings ist die Sache etwas schwieriger. Das Objekt am Rande des EU-Viertels ist nämlich wirklich das, was es ist: ein Bürogebäude für mehr als 600 Menschen. Zimmer an Zimmer (natürlich alle vollgeräumt mit Bürozeug), enge, kleine Lifte, da und dort verstreute Toiletten, bis auf einige wenige Ausnahmen keine Duschen, keine Badezimmer. Die Verwendung eines solchen Gebäudes für Patienten erscheint mehr als fraglich. Damit nicht genug sind die Menschen, die normalerweise dort arbeiten, jetzt im Homeoffice - aber sie sind unmittelbar für wichtige Abläufe im Parlament zuständig und fragen sich erstens, wie sie ihre persönlichen Dinge und Unterlagen aus dem Gebäude bringen können, vor allem aber, wo sie nach Ende des Lockdowns arbeiten sollen. Und welchen Sinn es wohl haben mag, dann zB ein anderes, leerstehendes Gebäude dafür anzumieten und neu zu besiedeln, mit Technik und allem.

In Brüssel, internationaler Schmelztiegel ersten Ranges, gibt es eine Unzahl von Hotels und Pensionen aller Kategorien, die derzeit alle leerstehen. Man darf annehmen, dass hier das eine oder andere Objekt allein schon von der baulichen Infrastruktur her wesentlich besser geeignet gewesen wäre. Allerdings: Geld dürfen die EU-Institutionen natürlich nicht direkt zur Verfügung stellen, sind es doch immer Steuergelder, mit denen sorgsam und zweckgewidmet umzugehen ist. Gut gemeint ist nicht immer gut angekommen.

2. April, 12.30 Uhr - Alles nicht so einfach

YouTube, Amazon, Volkswagen, Kindergeld, Gaspreis, Urheberrecht - im Minutentakt hat am Vormittag der Europäische Gerichtshof Schlussanträge und Urteile veröffentlicht. In Luxemburg wird auch in Krisenzeiten sehr fleißig gearbeitet, in vielen interessanten Themenbereichen.

Über ein Urteil haben wir auch schon online berichtet, es geht um die Länder Polen, Ungarn und Tschechien, die sich nicht an die Vereinbarungen zur Flüchtlingsverteilung gehalten haben. Sie hatten 2015 im Rat zugestimmt, Italien und Griechenland zu entlasten - die europäischen Länder wollten insgesamt 160.000 Flüchtlinge auf sich aufteilen. Viele haben das gemacht, besagte drei aber keinen einzigen genommen. Der EuGH hat nun auch als letzte Instanz klar gemacht, dass damit gegen geltendes Recht verstoßen wurde.

Die ganze Aktion, die 2017 abgebrochen wurde, verlief nicht so wie ursprünglich ausgemacht, es blieb bei 32.000 Menschen, die aus den Lagern weiterreisen durften.

Wie reagiern die Länder nun? Mit Schulterzucken. "Wir haben diese juristische Auseinandersetzung zwar verloren, aber das ist nicht wichtig", sagte etwa der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis. Das Quotenprojekt sei ja ohnedies schon beendet: "Hauptsächlich dank uns", so der Multimilliardär. Ja in der Tat: was passiert denn jetzt nach so einem Urteil? Die Kommission kann - und wird wohl - den EuGH nun ein weiteres Mal heranziehen und ein Strafmaß beantragen; letzten Endes werden die drei Länder dafür zahlen müssen (bzw. geringere Ausschüttung von EU-Mitteln bekommen). Fertig. Das Problem ist, dass bei allen Sanktionen gegen einen Staat indirekt auch dessen Bevölkerung getroffen wird - werden Mittel eingefroren, können Projekte nicht umgesetzt werden. Dem reichen Mann an der Spitze, gegen den wegen missbräuchlicher Verwendung von EU-Mitteln für sein Firmenimperium ohnehin schon eine Untersuchung läuft, wird das nicht wirklich jucken. Warum werden solche Leute immer noch mit Begeisterung gewählt?

2. April, 10.30 Uhr - Österreich hält sich raus

Meldung aus der Agentur: 13 EU-Staaten haben Sorge über Corona-Notmaßnahmen geäußert, die gegen Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundwerte verstoßen könnten. Dies geht aus einer Erklärung hervor, die das niederländische Außenministerium am Donnerstagabend im Namen der Länder veröffentlichte. Österreich zählt nicht zu den Unterzeichnern.

In Ungarn hatte sich Ministerpräsident Viktor Orban Anfang der Woche wegen der Pandemie weitreichende Befugnisse erteilen lassen, unbefristet per Dekret ohne weitere Mitwirkung des Parlaments zu regieren. Die Verbreitung von Falschnachrichten soll streng bestraft werden, so dass Journalisten um kritische Berichterstattung fürchten.

Die Erklärung der 13 Länder nennt Ungarn nicht. Doch heißt es: "Notmaßnahmen sollten auf das Nötigste begrenzt sein, sie sollten verhältnismäßig und befristet sein, regelmäßig überprüft werden und die genannten Grundsätze und internationalen Rechtsverpflichtungen respektieren. Sie sollten nicht die freie Meinungsäußerung oder die Pressefreiheit beschränken."

Hinter der Erklärung stehen die Niederlande, Deutschland, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Portugal, Spanien und Schweden.

Warum Österreich nicht unterzeichnet hat, erklärte ein Sprecher von Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Vormittag so: "Wir setzen auf das direkte Gespräch." Daher habe Europaministerin Edtstadler ihre Bedenken - vor allem hinsichtlich der fehlenden zeitlichen Begrenzung der Notstands-Maßnahme in Ungarn - bereits direkt gegenüber ihrer ungarischen Amtskollegin Judit Varga geäußert und auch öffentlich dazu Stellung genommen, betonte der Sprecher weiter.

Bleibt die Frage, warum man trotzdem nicht einmal so eine grundsätzliche Erklärung wie die vorliegende unterzeichnen kann - Widerspruch wärs ja wohl keiner gewesen.

29. März, 18.20 Uhr - Unbelehrbar

Nachricht aus belgischen Lokalmedien: Ein Mann aus Liege (Lüttich) wurde an drei Tagen hintereinander dabei erwischt, wie er mit seinem Auto Ausflüge unternahm. Das erste Mal sagte er, er würde nur spazierenfahren, beim zweiten Mal, er wolle einen Freund besuchen. Beim dritten Mal war es dann genug: die Polizei beschlagnahmte das Auto. Weitere Folgen: unklar.

Corona bringt alle an die Grenzen, auch die EU und die Mitgliedsländer. Inzwischen bricht offener Streit aus, es geht um Schuldzuweisungen und ums Geld. Besonders Ersteres ist jetzt mehr als entbehrlich, aber immer wieder gießen selbst Staats- und Regierungschefs (Österreich nicht ausgenommen) Öl ins Feuer. Nach dem nicht wirklich gut gelaufenen EU-Gipfel letzte Woche hatte etwa der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra kritisiert, dass einige Länder wohl nicht genug gespart hätten um vor unvorhersehbaren Ereignissen gewappnet zu sein - und er soll sogar die EU-Kommission aufgefordert haben, eine Untersuchung einzuleiten. Portugals Regierungschef Antonio Costa tobte daraufhin und sagte, die Wortmeldung sei "widerwärtig" und "rücksichtslos".

Auch Österreich muss sich Vorwürfe gefallen lassen, die Regierung ist wie Deutschland und andere auch dagegen, dass sogenannte "Corona Bonds" aufgelegt werden - eine Art gemeinsamer Kredit aller EU-Länder, die auch gemeinsam wieder zurückgezahlt werden müssten. Italiens Ex-Premier Enrico Letta kritisiert Österreichs Haltung als "verantwortungslos", auch der französische Präsident Emmanuel Macron appellierte ebenso EU-Parlamentspräsident David Sassoli an die " starke europäische Solidarität". Dass Sebastian Kurz nun in einem Zeitungsinterview in Zusammenhang mit einem "Versagen der EU" als Beispiel den von Deutschland an der Grenze blockierten Transport von Schutzmasken nannte - eine Angelegenheit, die ausschließlich Sache der beiden Länder ist, die ihre Grenzen geschlossen hatten, und die auch von Brüssel massiv kritisiert wurde - macht es auch nicht besser.

Auch an einem anderen Schauplatz herrscht nicht gerade Einigkeit. Nachdem Österreich kurz vor dem Wochenende de facto einen Einreisestopp für Asylwerber verhängt hat (es soll ihnen die Einreise verwehrt werden, wenn sie kein gültiges Gesundheitszeugnis vorweisen können), meldete sich die SPÖ-EU-Abgeordnete Bettina Vollath zu Wort: "Wie genau stellt sich die österreichische Bundesregierung das vor? Die Covid-19-Krise ermächtigt nicht, Völkerrecht und Menschenrechte außer Kraft zu setzen. Das grenzt an reinen Zynismus! Außerdem wissen wir ohnehin, dass ein solches Zeugnis immer nur eine Momentaufnahme darstellt und keine Sicherheit bietet. Es gibt derzeit eine bewährte Vorgehensweise, die für alle Menschen gilt, die nach Österreich einreisen: Das Einhalten einer zweiwöchigen Quarantäne."

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hatte davor bereits erklärt, dass sich der Andrang, den Umständen entsprechend, ohnedies sehr in Grenzen hält: es würden derzeit maximal zwölf Asylanträge pro Tag in Österreich gestellt.

25. März, 16.00 Uhr - Aufgestiegen

In Zeiten wie diesen auch mal wieder Platz für eine erfreuliche Meldung: Ein Österreicher wurde in Brüssel auf einen der höchsten und wichtigsten EU-Jobs befördert. Der Vorarlberger Wolfgang Burtscher wird ab 1. April neuer Generaldirektor Landwirtschaft in der EU-Kommission, wie ein Sprecher der Kommission heute bekanntgab. Die Landwirtschaft gehört zu den wichtigsten Politikbereichen der EU, weil sie politisch und finanziell vergemeinschaftet ist. Burtscher wird ab April für einen Etat von jährlich rund 60 Milliarden Euro und rund 1000 Mitarbeiter verantwortlich sein. Er ist Österreichs zweiter Generaldirektor in der EU-Kommission. Heinz Zourek ist seit 2012 Generaldirektor für Steuerangelegenheiten.

24. März, 19.00 Uhr - Beitritt

Alles nur Corona, da gehen viele andere wichtige Nachrichten im Strom fast unter. Zum Beispiel diese: Die EU-Außenminister haben sich heute bei ihrem virtuellen Ratstreffen darauf geeinigt, dass dem Beginn der Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien nichts mehr im Weg steht. Nach dem überraschenden Veto Frankreichs letztes Jahr (es gab eine Welle der Empörung) hat man sich in der EU auf neue Verfahren für Beitrittskandidaten geeinigt, unter anderem werden nun der Reihe nach einzelne Kapitel abgearbeitet, mit besonderem Augenmerk auf Rechtsstaatlichkeit. Alle heimischen EU-Abgeordneten finden das übrigens super, bis auf die FPÖ. Sie lehnt die Heranführung der Westbalkanstaaten an die EU vehement ab.

Infos über den Verlauf des Ratstreffens gibt es von Europaministerin Karoline Edtstadler. Normalerweise finden solche Pressegespräche im Brüsseler Ratsgebäude statt oder in den Räumen der Ständigen Vertretung, da aber die Sitzung selbst virtuell war, gibt es auch den Pressetermin nur über Video - Edtstadler in Wien, die Kollegen entweder auch dort, in Salzburg oder in Brüssel. Einer ist gerade mit der Vespa unterwegs in die Redaktion, Bild und Ton bleiben, naja, nicht optimal.

Alles andere läuft gut. Edtstadler berichtet, dass der Verhandlungsstart "so rasch wie möglich" erfolgen soll. Allerdings ist die gesamte Terminplanung derzeit aus dem Lot. Für 6. bis 8. Mai war ein EU-Gipfel zum Thema Westbalkan in Zagreb geplant, der ist inzwischen mehr als fraglich geworden. Zur Klarstellung: Es geht um den Beginn der Beitrittsverhandlungen. Bis zum Beitritt selbst werden so oder so noch Jahre ins Land ziehen.

Was man in einer Video-Pressekonferenz sonst noch erfährt: Es waren sich alle einig, dass der Warenverkehr durch die Grenzsperren so wenig wie möglich behindert werden soll (die Kommission spricht übrigens von 15 Minuten Wartezeit pro Lkw, maximal ein bis zwei Stunden); formal muss die Erweiterungssache im Umlaufverfahren erfolgen, jedes Mitgliedsland muss also schriftlich zustimmen und das Dokument dann nach Brüssel übermitteln; und schließlich noch, dass Edtstadler eine WhatsApp-Gruppe gegründet hat, in der sich inzwischen 22 Europaminister aufhalten (und damit alle ihre Handynummern preisgeben, was auch unter Kollegen nicht immer selbstverständlich ist). "Die Solidarität muss man leben, das zeigt sich jetzt", sagt die Ministerin.

Pressekonferenz über den Laptop - alles geht
Pressekonferenz über den Laptop - alles geht © Andreas Lieb

23. März, 14.45 Uhr - Grenzwertig

Eine neue Woche hat begonnen, die Probleme sind die alten. In Brüssel werden inzwischen Drohnen eingesetzt, um Menschenansammlungen rasch auszumachen und in der Folge auf die neuen Regeln hinzuweisen - das Wetter ist zwar sehr kalt, aber es ist im Übrigen frühlingshaft schön, der Himmel blau, vielfach zeigt sich in Gärten und Parks die blühende Frühlingspracht.

Gerade zu Ende gegangen ist das Videotreffen der Außenminister. In allen Ländern laufen immer nich die Rückholaktionen für in aller Welt gestrandete Europäer, Dutzende Flugzeuge, die von den Regierungen mit Hilfe der EU-Kommission gechartert wurden, fliegen derzeit um die Welt. Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat soeben eine Pressekonferenz gehalten (auch die natürlich per Video) und hat berichtet, dass die "Hauptgebiete" der Urlauberdestinationen weitestgehend abgedeckt sind, jetzt geht es um exotischere Ziele - Chile, Neuseeland, Gambia, Sudan... Hauptprobleme dabei: Flugrouten und Landegenehmigungen (da viele Flughäfen inzwischen zu sind, funktionieren auch viele Flugrouten nicht mehr) - und der Umstand, dass sich weit versprengte Individualurlauber erst einmal auf den Weg zum richtigen Flughafen machen müssen. In manchen Ländern mehr als schwierig.

Ebenfalls Thema der Außenminister war der Start der Nachfolge-Aktion für die "Operation Sophia" im Mittelmeer, die vor allem zur Überwachung des Waffenembargos gedacht ist. Laut Maas geht es noch um technische Details, die neue Operation soll jedenfalls noch im März starten.

Und, ganz klar: Inzwischen haben schon 14 europäische Länder wegen des Coronavirus die Grenzen dichtgemacht, was aber auch zu erheblichen Problemen im Warenverkehr führt. In ihrer inzwischen schon täglichen Videobotschaft richtet EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen dringen Appell an die Mitgliedsstaaten, hier Erleichterungen zu schaffen. So soll für den Warentransport nicht mehr als 15 Minuten Wartezeit geben ("40 Kilometer Stau am Wochenende, 18 Stunden Wartezeit - das muss aufhören", so von der Leyen), es sollen alle Arten von Gütern transportiert werden können, nationale Restriktionen (etwa Nachtfahrverbote) sollen temporär zurückgenommen werden und man will den Papierkram beim Grenzübertritt auf ein Minimum beschränken. Für die Umsetzung dieser Punkte braucht es jedoch das Agieren der Mitgliedsländer. Hier ist das entsprechende Video:

Und zu guter letzt - auch heute wieder gab es bei der täglichen Pressekonferenz der Kommission ein Gedicht zu hören, diesmal im Original von Arianna Podesta, einer italienischen Kollegin, vorgebracht: "Speranza" (Hoffnung) von Gianni Rodari. Gewidmet ist das Gedicht besonders all denen, die "an vorderster Front" im Einsatz sind, ganz besonders jenen in Italien. Gefunden haben wir auf die Schnelle zumindest die englische Übersetzung:

If I had a tiny shop
just the size of an envelope
well there I’d like to sell
you know what? Hope.

“Hope here on sale!”
for a penny yessiree
to every single bloke
hope enough for three.

And to all the folk
on whom life is hard
I’d give all my hope
free of charge.

20. März, 18.00 Uhr - Alles Corona

Es war klar, dass auch bekannte Persönlichkeiten aus dem EU-Getriebe früher oder später mit dem Coronavirus Bekanntschaft machen würden. Ein polnischer EU-Abgeordneter wurde inzwischen positiv getestet, es geht ihm soweit gut. Parlamentspräsident David Sassoli hat sich ebenso wie Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans in Selbst-Isolation begeben, über die Erkrankung von Brexit-Chefverhandler Michel Barnier haben wir auch schon berichtet. Neu ist nun, dass auch der "Gegenspieler" Barniers, der britische Unterhändler David Frost, nach Auftreten "milder Symptome" in freiwillige Quarantäne gegangen ist.

Dabei haben sich Barnier und Frost schon seit zwei Wochen nicht mehr getroffen. Mitarbeiter Barniers und Menschen, die in Sitzungen mit ihm beisammen waren, wurden inzwischen ebenfalls in heimische Quarantäne gesetzt. Der Verhandlungsprozess wird damit jedenfalls weiter verzögert.

Zur Sicherheit - und wohl auch, um Spekulationen vorzubeugen - ließ auch Kommissionschefin Ursula von der Leyen einen Corona-Test durchführen: er fiel eindeutig negativ aus, von der Leyen ist nicht infiziert. Auch sie hatte Barnier zum letzten Mal vor zwei Wochen persönlich getroffen.

19. März, 14.20 Uhr - Gipfel verschoben

Nun ist es fix: Der reguläre EU-Frühjahrsgipfel, der kommende Woche in Brüssel hätte abgehalten werden sollen, wird nicht als Videokonferenz geführt - er wird auf unbestimmte Zeit verschoben.

Die Staats- und Regierungschefs, so heißt es, seien derzeit ohnehin immer wieder in Kontakt zueinander und könnten auf diesem Wege wichtige Entscheidungen treffen. Anstelle des Gipfels soll es zum dritten Mal also eine Videokonferenz geben, bei der die Maßnahmen abgestimmt werden.

Im Vorfeld waren bereits Bedenken aufgekommen, ob ein Video-Gipfel aus formalen Gründen in irgendeiner Weise beschlussfähig sein könnte.

19. März, 12.15 Uhr - Coronavirus

Soeben wurde bestätigt, dass EU-Chefverhandler Michel Barnier (69) positiv auf Covid-19 getestet worden ist. In einer Twitter-Nachricht teilte Barnier selbst mit, er werde nun alle gebotenen Schritte unternehmen, sei aber guten Mutes. In der EU-Kommission heißt es dazu, ein Großteil des Verhandlungsteams sei längst auf Telearbeit umgestiegen, man folge generell den Regeln des Gastlandes Belgien und die Erkrankung habe somit keine weiteren Folgen auf den allgemeinen Betrieb.

Nach der Mittagspressekonferenz richtete Kommissions-Chefsprecher Eric Mamer seinen Gruß an die rund 25.000 Beamten, die nun auch im Home Office sind, und rezitierte ein weiteres Mal ein Gedicht - es gehe jetzt vor allem um Resilienz (die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen möglichst gut zu überstehen).

Das Gedicht ist von Emily Dickinson - Die Hoffnung ist das kleine Ding mit Federn (hier eine deutsche Übersetzungsvariante):

Die Hoffnung ist das Federding,
das in der Seel´ sich birgt
und Weisen ohne Worte singt
und niemals müde wird.

und süßten klingt es in den Bö´n-
und schlimm der Sturm der kränkt
und Schaden bringt dem Vögelchen,
das soviel Wärme schenkt.

Ich hab´s auf fremd´ster See gehört
und auf der kält´sten Flur;
doch nie hat´s in Gefahr begehrt
von mir ein Körnchen nur.

17. März, 21.00 Uhr - Lock down

Jetzt geht alles Schlag auf Schlag. In Belgien ist für Mittwoch nun auch ein "Lock down" angesagt, das öffentliche Leben wird so wie in Österreich eingeschränkt. Auch die "Brussels Airlines", so wie die AUA eine Lufthansa-Tochter, stellt den Betrieb völlig ein. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat heute in einer Videobotschaft übrigens ausdrücklich den AUA-Flug nach Marokko erwähnt, mit dem 290 Gestrandete (vorwiegend Österreicher, aber auch viele andere EU-Bürger) nach Wien und damit zurück in die EU geflogen wurden. Die Heimhol-Aktion wird in den nächsten Tagen auch mit anderen Destinationen durchgeführt, die EU-Kommission leistet dazu einen Beitrag.

Schon heute gab es ungewohnte Szenen vor den Supermärkten - die Besucherzahlen wurden eingeschränkt, damit man sich drinnen nicht zu nahe kommt. Die Folge: Kundenschlangen im Freien, die - mit entsprechend Abstand zueinander - auf Einlass warten. Viele Belgier, vor allem ältere, tragen Mundschutz.

In den Supermärkten selbst sind nun doch viele Regale leergeräumt, etwa bei Frischfleisch, Reis und Teigwaren. Und natürlich auch die Klopapier-Abteilung. Doch überall wird einem versichert, dass genug Ware auf Lager bzw. nachlieferbar ist; die Angestellten kommen bloß nicht dazu, die Regale so rasch wieder aufzufüllen.

Warteschlange vor dem Supermarkt: Wenn einer rauskommt, darf ein anderer hinein
Warteschlange vor dem Supermarkt: Wenn einer rauskommt, darf ein anderer hinein © Andreas Lieb

Die nun auch in Österreich angebotene "Seniorenstunde" (zwischen 8 und 9 Uhr werden nur Kunden eingelassen, die über 65 sind, damit für sie der Gefahrenpegel sinkt) wird in Belgien übrigens schon seit einigen Tagen ermöglicht.

17. März, 13.00 Uhr - Victor Hugo

Fast alle im Home Office in Brüssel, fast alles nur noch über Videokonferenzen. Die tägliche Pressekonferenz im Kommissionsgebäude ("midday briefing") findet zwar statt wie immer, aber die Reihen sind überaus schütter besetzt. Man kann das alles auch von zu Hause aus streamen, Fragen an die Pressesprecher lassen sich per E-Mail stellen. Selbst die meisten Pressesprecher zu den Fachbereichen sind daheim und ebenfalls über Video-Konferenzschaltung dabei - hat auf Anhieb geklappt.

Es geht natürlich nur ums Thema Nummer eins, um Grenzsperren, Hilfsmaßnahmen, Schäden für die Wirtschaft... Zum Ende macht Kommissions-Chefsprecher Eric Mamer dann etwas Ungewöhnliches: Er rezitiert ein Frühlingsgedicht von Victor Hugo. Draußen ist es zum ersten Mal seit Langem wirklich schön, ein wunderbarer Frühlingstag. Der Sprecher macht auf diesen Umstand aufmerksam. Der Zeitpunkt für Zuversicht ist nie zu früh.

Tägliches Pressebriefing in der Kommission: Die Sprecher der Fachbereiche sind vom Home Office aus zugeschaltet. Am Ende rezitiert Chefsprecher Eric Mamer (rechts) ein Frühlingsgedicht von Victor Hugo. Draußen ist es wunderschön
Tägliches Pressebriefing in der Kommission: Die Sprecher der Fachbereiche sind vom Home Office aus zugeschaltet. Am Ende rezitiert Chefsprecher Eric Mamer (rechts) ein Frühlingsgedicht von Victor Hugo. Draußen ist es wunderschön © Andreas Lieb

Ein Video davon gibt es hier.

Und wer es genau wissen will - hier ist das Gedicht in Originalversion und auf Englisch:

Printemps

Voici donc les longs jours, lumière, amour, délire !
Voici le printemps ! mars, avril au doux sourire,
Mai fleuri, juin brûlant, tous les beaux mois amis !
Les peupliers, au bord des fleuves endormis,
Se courbent mollement comme de grandes palmes ;
L’oiseau palpite au fond des bois tièdes et calmes ;
Il semble que tout rit, et que les arbres verts
Sont joyeux d’être ensemble et se disent des vers.
Le jour naît couronné d’une aube fraîche et tendre ;
Le soir est plein d’amour ; la nuit, on croit entendre,
À travers l’ombre immense et sous le ciel béni,
Quelque chose d’heureux chanter dans l’infini.

Springtime

Here are the long days, light, love, delirium!
This is the Spring! March, April with a sweet smile,
May flowery, June blazing, all the beautiful friendly months!
The poplars, asleep by the riverside,
Bow gently like great palms
The bird quivers at the far end of the calm, tepid woods
It seems that everything laughs, and that the green trees
Are joyful to be together and say verses to each other.
The day comes crowned with a fresh and tender dawn
The evening is full of love, the night, one can almost hear
Through the immense shadow and under the sacred sky,
Something happy singing in the infinity.

15. März, 18.30 Uhr - Keine Panik

Belgien hat etwas mehr Einwohner als Österreich, entsprechend ist auch die Zahl der Corona-Fälle leicht höher, allerdings hält man hier bereits bei vier Todesfällen. Es gibt ähnlich strikte Maßnahmen wie in Österreich, seit Samstag. Schon am Freitag herrschte in der Innenstadt ein ungewohntes Bild: Da, wo sich sonst Auto an Auto reiht und es jeden Tag nervenaufreibende Staus gibt, waren die Straßen plötzlich so gut wie ausgestorben - dabei waren da die Maßnahmen noch gar nicht in Kraft getreten. Hier die Avenue de Cortenbergh auf Höhe der österreichischen Vertretung kurz nach 15 Uhr: gespenstisch.

Statt der üblichen Staus gähnende Leere im Brüsseler EU-Viertel - noch bevor die rigorosen Maßnahmen kamen
Statt der üblichen Staus gähnende Leere im Brüsseler EU-Viertel - noch bevor die rigorosen Maßnahmen kamen © Andreas Lieb
Avenue de Cortenbergh, hier hat die Ständige Vertretung Österreichs ihren Sitz: Wie ausgestorben am Freitagnachmittag
Avenue de Cortenbergh, hier hat die Ständige Vertretung Österreichs ihren Sitz: Wie ausgestorben am Freitagnachmittag © Andreas Lieb

Ab Montag sind auch die Schulen zu, Panik ist im öffentlichen Leben nicht wahrzunehmen. In den ruhigeren Vororten gehen Eltern mit ihren Kindern spazieren, die Leute drehen auch wie immer mit ihren Hunden ihre Runden. Es gibt Meldungen über leergeräumte Regale in einigen Supermärkten, aber dieses Bild hält nicht Stand: So wie überall kamen in manchen Fällen die Regaleinräumer schlicht nicht nach, etwa bei Haltbarmilch oder Teigwaren; einen halben Meter weiter gab es schon wieder genug von allem, aber möglicherweise von der etwas teureren Marke, die sich halt zum Hamstern nicht so eignet. Inzwischen ist Ruhe eingekehrt, die Supermärkte bleiben ja auch offen.

Belgien hat ja schon seit fast einem Jahr keine amtierende Regierung, die liberale Ministerpräsidentin Sophie Wilmès kann sich nur auf 38 der 150 Abgeordneten im Parlament stützen. Die flämische Nationalistenpartei N-VA hat nun am Samstag die Bildung einer "Krisenregierung" vorgeschlagen, um besser gewappnet zu sein. Doch die französischsprachigen Sozialisten stiegen nicht darauf ein - es gehe nicht um eine Regierungsbildung, es gehe um die Krisenbewältigung, da dürfe man keine Zeit verlieren.

12. März, 19.40 Uhr - Alles auf Video

Mit leichter Verspätung haben die umfassenden Corona-Auswirkungen auch Brüssel erfasst. Spätestens mit Wochenbeginn werden auch hier Schulen schließen (einige internationale sind schon zu, die Europaschulen folgen definitiv am Montag). Inzwischen ist klar, dass in der größten Behörde, der EU-Kommission, mindestens sechs positive Coronafälle getestet sind. Von den insgesamt 32.000 Bediensteten der Kommission arbeiten mehr als 20.000 in Brüssel - sie werden nun zum Großteil in die Heimarbeit geschickt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen möchte aber, dass zumindest Mitarbeiter mit wichtigen Funktionen weiter zur Arbeit kommen: "Wir ergreifen die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen, um die Risiken für sie zu verringern." Gearbeitet werden soll demnach in zwei Schichten, "um die Fortführung des Betriebs der Institution sicherzustellen".

Heute sollen sich zwar noch die EU-Innenminister in Brüssel treffen (Karl Nehammer hat aber schon abgesagt), andere Ratsformationen wurden aber diese Woche schon gestrichen (Außenhandel und Justiz), weitere sollen folgen. Abgesagt wurden die Treffen der Sozialminister am 19. März und der Industrieminister am 20. März sowie das Agrarministertreffen am 23. und 24. März. Weiter stattfinden sollen die Treffen der Innenminister, der Finanzminister, der Außenminister und der Europaminister sowie der Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am 26. und 27. März. 

Die Maßnahmen haben nun aber auch Auswirkungen auf die gerade eben erst begonnen Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU über die künftigen Beziehungen. Das für kommende Woche in London geplante zweite Treffen der Verhandlungsteams wurde abgesagt, wie es heißt, suche man nach alternativen Möglichkeiten - Stichwort Videokonferenz.

Die Zeit für die Verhandlungen wird damit noch knapper, als sie ohnehin schon ist. Vielleicht ist das Corona-Chaos aber auch genau der Grund, den der britische Premier Boris Johnson dafür heranziehen könnte, notfalls die EU um Verlängerung der Verhandlungszeit zu bitten - ohne dabei das Gesicht zu verlieren.

6. März, 19.20 Uhr - Virusfolgen

Was soll man sagen, natürlich bringt der Coronavrirus auch in Brüssel alles durcheinander. Kommende Woche hätte es in Straßburg wieder die Sitzung des EU-Parlaments gegeben - abgesagt, stattdessen wird ausnahmsweise in Brüssel getagt. Für die drei FPÖ-Abgeordneten der ideale Anlass, wieder einmal die Abschaffung des "Wanderzirkus" einmal im Monat von Brüssel nach Straßburg zu fordern, der bis zu 180 Millionen Euro im Jahr verschlingt. Vilimsky, Mayer und Haider haben natürlich im Kern recht, wie immer lassen sie aber unerwähnt, dass der Hauptgrund, warum die monatliche Reiserei noch nicht abgeschafft ist, das Einstimmigkeitsprinzip im Rat ist - und an dem hält die FPÖ wiederum fest, wenn auch aus anderem Grund.

Das EU-Parlament hat jedenfalls die Corona-Konsequenzen gezogen und außerdem den an sich regen Besucherverkehr im Gebäude untersagt, alle öffentlichen Veranstaltungen wurden abgesagt. Mit einer einzigen Ausnahme: Wenn schon einmal Greta Thunberg im Haus ist (als Gast des Umwelt-Ausschusses) darf sie doch herein. Alle anderen Besucher der Veranstaltung sind zwar dazu legitimiert (als Journalist muss man aber eine Erklärung unterschreiben, dass man in den letzten 14 Tagen in keinem Corona-Krisengebiet war - die italienischen Kollegen müssen derzeit alle draußen bleiben), allerdings hat man wohl den großen Andrang unterschätzt.

Großes Interesse: Greta Thunberg im ENVI-Ausschuss des EU-Parlaments
Großes Interesse: Greta Thunberg im ENVI-Ausschuss des EU-Parlaments © Andreas Lieb

Und so fanden sich vor dem Saal 4Q2 (dort war etwa auch das Hearing von Kommissar Johannes Hahn) derart viele Menschen ein, dass es erst zu einem ziemlich argen Gedränge kam. Für die Journalisten sowieso - unsereiner musste in einem engen Gang warten, bis der Zugang zum Saal frei war...

Warten im engen Gang: Auf den Handys erfährt man die neueste Corona-Entwicklung
Warten im engen Gang: Auf den Handys erfährt man die neueste Corona-Entwicklung © Andreas Lieb

Und dann noch: Brexit - war da nicht was? EU-Chefverhandler Michel Barnier gab einen kurzen Überblick über die erste Verhandlungsrunde für die künftigen Beziehungen, die in dieser Woche in einem eigens angemieteten Veranstaltungszentrum stattgefunden hat. Rund 120 Verhandler auf jeder Seite, elf Teams - auch ein ganz schönes Gedränge. Barniers erste Feststellung: Es wird schwierig. Wahnsinnig schwierig. Die Briten scheinen den Ernst der Lage bis heute nicht erkannt zu haben. Scheitern die Verhandlungen, kommt es doch noch zu einem "harten" Brexit. Barnier: "Die Nacht auf 1. Jänner 2021 ist dann kein Vergleich zum 1. Februar heuer". Noch läuft ja alles weiter wie gewohnt, aber die Übergangszeit endet mit Jahresende. Falls Boris Johnson sich nicht doch noch aufrafft, und die EU um Verlängerung bittet. Sinnvoll wärs wohl.

Die erste Bilanz fiel schon einmal ernüchternd aus: Kommissions-Chefsprecher Eric Mamer mit Brexit-Verhandler Michel Barnier
Die erste Bilanz fiel schon einmal ernüchternd aus: Kommissions-Chefsprecher Eric Mamer mit Brexit-Verhandler Michel Barnier © Andreas Lieb

Schließlich: Weil ja doch die Welt wegen eines Virus nicht stehen bleibt bzw. gerade wegen des Virus, gaben sich dieser Tage wieder heimische Minister die Klinke in die Hand. Leonore Gewessler (Umwelt), Karl Nehammer (Inneres) und Rudolf Anschober (Gesundheit) waren da.

3. März, 13.40 Uhr - Krisenzentrum

Die Rue de la Loi ist die Hauptzufahrtsstraße ins Brüsseler EU-Viertel, wenn man aus dem Osten kommt. Ein Straßentunnel kommt unter dem Schuman-Platz hervor und vom Auto aus (meistens trotz mehrerer Fahrspuren im Stau) erblickt man rechts das imposante Kommissionsgebäude, links die beiden Ratsgebäude.

Ein Stück weiter reiht sich Haus an Haus, meist Bürogebäude mit EU-Abteilungen und internationalen Organisationen, meist grau und unscheinbar. Genauso schaut auch die Adresse Rue de la Loi 86 aus. Nach dem Eingang das übliche Security-Prozedere, dann geht man an ein paar Büroräumen vorbei, biegt zweimal um die Ecke - und steht plötzlich im Herzen des ERCC, des "Emergency Response Coordination Centre", auf Deutsch: Zentrum für Koordination für Notfallmaßnahmen. Hier laufen die Fäden zusammen, wenn es wo brennt in der Welt. Der "Situation Room" schaut genauso aus, wie man es aus Filmen kennt: Riesige Monitore an der Wand, darüber ein Überblick über die Zeitzonen in aller Welt. Auf Samoa ist es gerade 1.36 Uhr.

Derzeit kümmert man sich hier auch um Corona und die Folgen. Eines der Displays zeigt die Zeit in Wuhan, China. Soeben hat die EU den Krisenmodus aktiviert und die Gefährdungslage von "mittel" auf "moderat bis hoch" geändert. Genau hier, in diesem "War Room", präsentiert die Kommissionsspitze Entschlossenheit. Präsidentin Ursula von der Leyen gibt einen Überblick über die Maßnahmen, flankiert wird sie von gleich fünf Kommissaren, die in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich die weitere Entwicklung der Krise unter Kontrolle bringen sollen: Stella Kyriakides (Gesundheit), Ylva Johansson (Inneres), Janez Lenarcic (Humanitäre Hilfe und Krisenschutz), Adina Valean (Verkehr und Transport) und Paolo Gentiloni (Wirtschaft).

Eine Stunde lang beschreiben sie die Lage, worauf man achten müsse, und beschwören die massive Koordinationsarbeit. Wie jedes einzelne Mitgliedsland auf Corona reagiert, ob Flüge ausfallen, Städte abgeriegelt oder ganze Orte unter Quarantäne gestellt werden - das kann freilich nicht die EU vorschreiben, das bleibt Sache der Länder.

Im Krisenzentrum: Ursula von der Leyen und fünf weitere Mitglieder der Kommission im Herz des EU-Krisenzentrums
Im Krisenzentrum: Ursula von der Leyen und fünf weitere Mitglieder der Kommission im Herz des EU-Krisenzentrums © Andreas Lieb

12. Februar, 12.35 Uhr - Abgestimmt

In diesem Augenblick wurde über den Entschließungsantrag zur Einführung einer Meldepflicht für Katzen und Hunde abgestimmt (wir berichteteten - es geht um den Kampf gegen Tierleid und illegalen Tierschmuggel) und das Ergebnis ist mehr als eindeutig: 607 waren dafür, nur 3 dagegen und 19 enthielten sich. Klarer könnte ein Votum kaum ausfallen.

12. Februar, 10.10 Uhr - Er ist nicht da

Im EU-Parlament in Straßburg hat vor Kurzem die Debatte ums neue langjährige Budget begonnen, kommende Woche ist dazu ja ein Sondergipfel einberufen worden. Alle sind da im Plenum, Kommissionsschefin Ursula von der Leyen, Budgetkommissar Johannes Hahn, sehr viele Abgeordnete - aber der, der den Gipfel am 20. Februar veranstaltet, fehlt: Ratspräsident Charles Michel. Kaum ein Redner, von welcher Fraktion auch immer, der nicht auf diesen faux pas aufmerksam machen würde: Es hätte schon seine Bedeutung gehabt, wenn Michel den Weg ins Plenum gefunden hätte, sagte etwa EVP-Chef Manfred Weber.

Michel hat letzte Woche 18 Staats- und Regierungschefs in Brüssel zu Gast gehabt, mit jedem sprach er über den Finanzrahmen, wo bisher die Positionen noch weit auseinander liegen. Ohne das Parlament geht da nichts, Michel ist also nicht gut beraten, wenn er die wichtige Sitzung schwänzt. Allerdings hatte es im Vorfeld ein Treffen mit den maßgeblichen EP-Leuten gegeben.

11. Februar, 12.30 Uhr - Vom Winde verweht

Nicht so voll wie sonst immer schaut es diesmal in Sraßburg aus - der Wintersturm und das wilde Wetter haben ihre Folgen. Zwar waren die Züge von Brüssel nach Straßburg wie gewohnt unterwegs, aber der Bahnverkehr über Deutschland kam ja teilweise zum Erliegen und die Flugverbindungen sind ja ebenfalls arg gestört.

So konnten sich also einige der Journalistenkollegen nicht bis Straßburg durchschlagen (und haben inzwischen aufgegeben, wenn sie am Mittwoch erst eintreffen zahlt es sich nicht mehr aus) und auch so mancher Abgeordnete saß zunächst einmal fest - unter anderem der "Neue", Christian Sagartz (ÖVP), der immer noch auf dem Weg von Wien nach Frankreich ist. Straßburg liegt halt auch nicht einfach so ums Eck.

10. Februar, 17.30 Uhr - Personelles

Was haben der Brexit und die neue österreichische Regierung gemeinsam? Sie sind der Anlass für personelle Veränderungen im EU-Parlament, das sich soeben wieder in Straßburg eingefunden hat.

Die bisherige Delegationsleiterin der ÖVP, Karoline Edtstadler, ist ja zur Europaministerin avanciert. Ihre Funktion als Leiterin hat mittlerweile Angelika Winzig übernommen, der frei gewordene Mandatsplatz ging an den Burgenländer Christian Sagartz, der heute seinen Einstand im EU-Parlament feiert. „Es ist mir eine besondere Ehre, mich als einziger burgenländischer Vertreter für die österreichischen Anliegen stark zu machen“, sagt Sagartz, der bei der Europawahl 17.233 Vorzugsstimmen erhielt.

Am Brexit liegt es, dass die Zahl der Abgeordneten von 751 auf 705 reduziert wurde. Tatsächlich haben aber 73 britische Abgeordnete good bye gesagt - die Differenz an Mandaten kommt Ländern zugute, die zuletzt aufgrund der demografischen Entwicklung rechnerisch unterrepräsentiert waren. Österreich gehört dazu, statt bisher 18 sind seit 1. Februar 19 Abgeordnete im Parlament. Der "neue" ist gar keiner, den Platz haben die Grünen erobert und so ist der Steirer Thomas Waitz wieder dabei, der schon bisher Abgeordneter war (zusammen mit Michel Reimon und Monika Vana), zunächst waren nach den EU-Wahlen aber nur Vana und die neu hinzugekommene Sarah Wiener übrig geblieben.

Waitz hatte sein Mandat einst von Ulrike Lunacek übernommen, die sich 2017 in den Präsdientenwahlkampf gestürzt hatte und inzwischen als Staatssekretärin für Kunst und Kultur der Regierung angehört. Seit November 2019 ist Waitz Ko-Parteivorsitzender der Europäischen Grünen Partei. Im Europaparlament wird der Biobauer Mitglied im Agrarausschuss, Petitionsausschuss sowie dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten und dem zugehörigen Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung sein. Weiters wird er Mitglied der Delegation zu Bosnien-Herzegowina und Kosovo und der Delegation für den parlamentarischen Stabilitäts-und Assoziationsausschuss EU-Montenegro sein. 

6. Februar, 18.45 Uhr - Mehr Geld

Ein kleiner Nachhall zum Brexit, der gerade eben über die APA gekommen ist: Großbritannien muss der Europäischen Union für 2019 rund 1,3 Milliarden Euro mehr zahlen als gedacht, Grundlage sind die neuesten Wirtschaftsdaten. Pikant: Die neue Rechnung ging  ausgerechnet am Tag des britischen EU-Austritts am 31. Jänner an London. Im Juni ist der Betrag fällig. 

Die Kommission betont aber, dass das reine Routine sei: "Die EU-Kommission kann bestätigen, dass Ende Jänner, wie jedes Jahr, die Beträge neu berechnet wurden, die die Mitgliedsstaaten dem EU-Haushalt schulden, um sie mit den Wirtschaftsdaten abzugleichen, die die Mitgliedsstaaten selbst melden." Dabei könne es zu Nachzahlungen ebenso kommen wie zu Rückerstattungen. 2017 und 2018 habe Großbritannien Geld zurück bekommen. Das alles habe mit dem Brexit gar nichts zu tun, und auch das Datum sei reiner Zufall. 

2. Februar, 18.00 Uhr - Rückreise

So, die Brexit-Mission ist abgeschlossen, die Rückreise lief auf der selben Strecke (Dover - Calais - Brüssel). Weil es Sonntag ist und noch dazu ein extrem windiger Wintertag hält sich der Ansturm auf der Fähre in Grenzen. Aufgefallen: Ein britischer Reisebus, der offensichtlich auf dem Weg zu Euro-Disney nach Paris ist.

Sonntagsruhe am Fährhafen in Dover
Sonntagsruhe am Fährhafen in Dover © Andreas Lieb

Während sich Dover also so zeigt wie gewohnt, die Kreidefelsen im leichten Nebel auszumachen, sind die Betreiber der Fähren schon im neuen Zeitalter angekommen: Die Passagiere, unterwegs am Tag 2 nach dem Brexit, bekommen einen zweckdienlichen Hinweis augenzwinkernd in die Hand gedrückt:

Dover sorgt sich ein wenig um Passagiere und gibt sich zukunftsssicher
Dover sorgt sich ein wenig um Passagiere und gibt sich zukunftsssicher © Andreas Lieb

Zum Nachschauen gibt es unser kleines Brexit-Videotagebuch hier.

1. Februar, 18.15 Uhr - Es geht weiter

So, Tag eins außerhalb der EU neigt sich dem Ende entgegen. Hier im Canterbury geht alles seinen Weg, klar, was sollte auch sein? Heute Abend stehen wenigstens ein paar Brexit-Partys auf dem Programm. Nein, weder von Befürwortern noch von Gegnern, sondern Themenpartys, zu denen man verkleidet kommt, etwa wie bei Halloween. Es gibt Livemusik oder DJs.

In den Zeitungen heute wurde natürlich berichtet, aber erst auf den hinteren Seiten. Wichtiger schien den meisten Blättrern der Corona-Virus und die dilettantische Heimholung britischer Urlauber (das war so: der Flieger wurde zu einem eigenen Bereich gelotst und die Passagiere mit Bussen in eine Quarantänestation gebracht. Aber während zB Mediziner im Schutzanzug in den Bussen saßen, waren die Busfahrer in normaler Arbeitsmontor. Und vom Bodenpersonal am Flughafen wurden manche der Eingeflogenen mit Handschlag begrüßt...).

Aber es wären nicht die Briten, würde ihnen zum Brexit nicht gleich was Geistreiches einfallen. So etwa den Marketing-Kollegen von der "Mail", die ein tolles Geschenk anbieten. Es geht doch nichts über Leser-Blatt-Bindung!

Darf in keinem Haushalt fehlen: Brexit-Geschirrtuch von der Daily Mail
Darf in keinem Haushalt fehlen: Brexit-Geschirrtuch von der Daily Mail © Andreas Lieb

Gegen Ende der Brexit-Expedition noch ein Hinweis auf etwas, das man in dieser Ausprägung nicht aus Österreich kennt. In Canterbury gibt es sehr viele Obdachlose und Bettler. Sie haben ihr Lager in unbenutzten Geschäftseingängen aufgeschlagen, in Unterführungen oder am Rand der Parkplätze. Das soziale Netz scheint recht dünn zu sein.

Fällt auf: Sehr viele Obdachlose (hier in einer Unterführung)
Fällt auf: Sehr viele Obdachlose (hier in einer Unterführung) © Andreas Lieb

1. Februar, 00.50 Uhr - It´s done!

Es war wie zu Silvester, ein Countdown in allen Fensehsendern und auf Hauswände projiziert - und Schlag 23 Uhr in Canterbury gab es sogar ein passendes Feuerwerk. Der Brexit ist Realität, Großbritannien nicht mehr in der EU.

Wie zu Silvester: Nach dem Brexit-Countdown das Feuerwerk
Wie zu Silvester: Nach dem Brexit-Countdown das Feuerwerk © Andreas Lieb

Hier in der Studentenstadt hat man davon so gut wie gar nichts bemerkt. Die Stadt wird am Wochenende zur gigantischen Partyzone und die jungen Leute (meist ziemlich aufgebrezelt, wie das hier zum guten Ton gehört) eilen johlend und lärmend von einem Club zum anderen. Mittendrin eine fast rührende Szene: Eine kleine Gruppe von Remainern hat sich am Butter Market, einem malerischen Platz beim Eingang zur mächtigen Kathedrale, versammelt. Sie schwenken Fahnen und singen einmal mehr die Europahymne, einige Strophen sogar auf Deutsch. Vorbeiziehende Jugendliche machen sich lustig darüber, einmal kommt es fast zu Handgreiflichkeiten.

Die Szene mutet wie eine Andacht an. Es fällt auf, dass die, sich hier eingefunden haben, fast alle ältere Herrschaften sind. Irgendwie ein Widerspruch zum alten Vorwurf, beim Referendum 2016 hätten die Alten den Jungen die Zukunft gestohlen.

Eine kleine Gruppe beim finalen Brexit-Trauerzug; fast nur ältere Menschen. Die jungen sind im Freitags-Party-Modus
Eine kleine Gruppe beim finalen Brexit-Trauerzug; fast nur ältere Menschen. Die jungen sind im Freitags-Party-Modus © Andreas Lieb

Hier sind es die Alten, die der EU nachtrauern. Die Jungen ziehen grölend vorbei, das Partywochenende hat gerade erst begonnen. Tag 1 einer neuen Ära.

31. Jänner, 17.30 Uhr - Chatham

Ausflug ins eine Stunde entfernte Chatham, in eine der Vorstadtsiedlungen, in denen viele von denen gelandet sind, die es nicht besonders gut im Leben hatten. Eine große Navy-Basis war einmal dort, die ist jetzt weg. Auch daran, ist zu hören, trage die EU Schuld, besonders Angela Merkel. Unweit von Chatham ist Margate, einst blühende Tourismusregion, jetzt vielfach Endstation für Zuwanderer und Gestrandete. Heruntergekommene Hotels, die mit denen aufgefüllt werden, die sonst nirgends mehr unterkommen. Die EU...

Ob jetzt alles besser wird? Schwer vorstellbar.

Stadtrandsiedlung in Chatham: Im Zweifel ist immer die EU schuld
Stadtrandsiedlung in Chatham: Im Zweifel ist immer die EU schuld © Andreas Lieb

31. Jänner, 13.00 Uhr - Kleine Demo

Abgesang auf dem Campus der University of Kent. Eine überschaubare Gruppe hat sich mit Fahnen und Transparenten ausgestattet und zieht über das Gelände, Trauermarsch zum Abschied. Die Studenten werden von älteren Erwachsenen begleitet, auch Lehrer sind darunter. Eine Kamera ist auch im Einsatz, es werden Interviews gemacht - auch der EU-Korrespondent von Austrian daily newspaper bekommt ein paar Fragen gestellt; wie Rest-Europa den Brexit sieht, zum Beispiel.

Bei der abschließenden Kundgebung sagt ein Brite, der vor drei Wochen die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen hat, man dürfe jetzt nicht aufgeben. Die Gruppe der Remainer soll in den kommenden Jahren sichtbar bleiben, und wer weiß...? Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Letztes Aufbäumen am letzten Tag in der EU: Anti-Brexit-Marsch auf dem Uni-Campus in Canterbury
Letztes Aufbäumen am letzten Tag in der EU: Anti-Brexit-Marsch auf dem Uni-Campus in Canterbury © Andreas Lieb

30. Jänner, 23.15 Uhr - Auf Brexit-Mission

So, den Schlussakkord im Brexit-Drama wollen wir uns an Ort und Stelle geben. Auf nach Großbritannien! Von Brüssel aus keine große Sache: In kaum mehr als zwei Stunden in Calais, rauf auf die Fähre und runter von der Fähre in Dover. Um diese Jahreszeit ist es ruhig, Touristen sind nicht auszumachen. Lkw haben sich auf dem Schiff eingeparkt und einige Pkw, deren Insassen alle so aussehen, als würden sie sehr oft auf dieser Route unterwegs sein.

Großbritannien empfängt uns wie immer: Regen und Nebel in Dover
Großbritannien empfängt uns wie immer: Regen und Nebel in Dover © Andreas Lieb

Bei der Ankunft auf der Insel ist das gut zu sehen, der Belgier, der gerade noch auf der Fähre war, zieht im Sprühregen auf der Autobahn davon und verschwindet im Nebel. Ganz klar, der ist nicht zum ersten Mal hier. Die Basis für unsere "Brexpedition" wird Canterbury sein, malerische (weil mittelalterliche) Studentenstadt. Hier ist alles so wie immer, nichts deutet darauf hin, dass in einem Tag ein historisches Ereignis stattfindet. Auch den Zeitungen ist der Rücktritt eines BBC-Anchors (nach einem missglückten Tweet) wichtiger als der Brexit. Immerhin, die Daily Mail lässt auf zwei Doppelseiten die letzten 50 Jahre Revue passieren.

Für die Titelseite hat es nicht gereicht, aber immerhin sind zwei Brexit-Doppler in der Daily Mail
Für die Titelseite hat es nicht gereicht, aber immerhin sind zwei Brexit-Doppler in der Daily Mail © Andreas Lieb

29. Jänner, 21.45 Uhr - Das Finale

Was für ein historisches Ereignis, was für ein besonderer Tag für das EU-Parlament! Einmal noch hatten die Abgeordneten den Brexit diskutiert, gemeinsam mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Chefverhandler Michel Barnier die Lage erörtert. Dann, nach der Abstimmung, flossen die Tränen. Viele umarmten sich und nahmen Abschied von ihren Kollegen, die nun das Parlament verlassen müssen. Während die Befürworter des Ausstiegs schon den Saal verließen, nahmen sich die anderen an den Händen und sangen gemeinsam das schottische Abschiedslied "Auld Lang Syne" ("Längst vergangene Zeit" oder auch "Nehmt Abschied, Brüder") - ein überaus bewegender Moment an einem historischen Abend.

Nach der Abstimmung gab es im EU-Parlament kein Halten mehr - für die meisten ist es ein überaus trauriger Tag
Nach der Abstimmung gab es im EU-Parlament kein Halten mehr - für die meisten ist es ein überaus trauriger Tag © APA/AFP/POOL/FRANCISCO SECO

Und dann, beim Hinausgehen aus dem Parlamentsgebäude, ereilt unsereiner die Antithese in Form von Nigel Farage von der Brexit-Party, der in diesem Augenblick in einem Pulk von Parteimitgliedern und Journalisten auf den Platz vor dem Parlamentsgebäude eilt, um noch einmal seine Meinung sagt: "Wir lieben Europa. Wir hassen bloß die Europäische Union". Auch er und seine Leute haben Musik dabei, aus der Lautsprecherbox: We never come back - wir kommen nie zurück.

Für ihn ein Triumph, für andere ein Trauerspiel: Nigel Farage, belagert vor dem EU-Parlament
Für ihn ein Triumph, für andere ein Trauerspiel: Nigel Farage, belagert vor dem EU-Parlament © Andreas Lieb

29. Jänner, 18.45 Uhr - Abstimmung

Nun ist es geschehen: das EU-Parlament hat soeben den Brexit-Vertrag ratifiziert, mit 621 zu 49 Stimmen - es ist einer der letzten Schritte bis zum Austritt der Briten aus der EU. Morgen, Donnerstag, muss der Rat noch gegenzeichnen, das ist nur noch eine Formalität.

26. Jänner, 16.45 Uhr - Brexit-Woche

Jetzt wird es ernst, wir steuern, man mag es kaum glauben, auf den Brexit-Tag zu. In der Nacht von Freitag auf Samstag ist es soweit. Ein historisches Ereignis, an dem genau nichts passiert (wir werden ausführlich über dieses Nichts berichten). Dass nichts passiert, hat natürlich sein Gutes: der Vertrag, dem jetzt nur noch das EU-Parlament zustimmen muss (eine Formsache) beinhaltet eine Übergangsfrist bis Ende des Jahres. Ursprünglich, als man noch am eigentlich geplanten Termin 29. März 2018 festhielt, war das ein akzeptabler Zeitpunkt, mittlerweile, nach zweimaligem Verschieben, ist es aber ganz schön knapp.

Eigentlich fast unmöglich, aber wenn Boris Johnson dabei bleibt, nicht vom EU-Angebot auf Verlängerung Gebrauch zu machen, wird den Verhandlern auch was einfallen - vielleicht so eine Art Rahmenvertrag, dessen Details dann im nächsten Jahr nachverhandelt werden. So jedenfalls, dass alle ihr Gesicht wahren können.

Noch ein kurioses Detail aus einer ganz anderen Welt. Wer derzeit in Wien am Stephansdom vorbeigeht, staunt über zwei gigantische Coca-Cola-Flaschen, die einen der Seiteneingänge begrenzen; sie sind an einem Baustellennetz angebracht (der Steffl wird ja quasi permanent restauriert) und verweisen auf privates Sponsoring für eine gute Sache.

Kann man nun gut finden oder auch nicht. Inzwischen ist man aber auch in der EU auf die Idee gekommen, private Sponsoren zum Beispiel für die Ausrichtung teurer Events einzusetzen. Zuletzt war das bei der rumänischen Ratspräsidentschaft so gewesen und ja, auch die Rumänen hatten sich Coca Cola als Partner geholt. Obwohl es daraufhin Proteste gab (etwa eine Beschwerde der Verbraucherorganisation Foodwatch) war genau das nun auch ein Plan für die deutsche Ratspräsidentschaft, die heuer in der zweiten Jahreshälfte die EU-Agenden führt: private Sponsoren für die oft sehr teuren Ratstreffen und sonstigen Veranstaltungen zu finden.

Passt das zusammen? Ratsvorsitz der EU und US-Getränkekonzern oder sonstige große Marken? Nee, befand man dieser Tage in Berlin. Zumal sich inzwischen auch schon EU-Bürgerbeauftragte Emily O'Reilly mit neuen Regeln für Sponsoring befasst, werden die Deutschen auf diese Finanzspritzen nun doch verzichten.

Ist gut, die können es sich leisten. Für kleinere bzw. ärmere EU-Mitgliedsländer ist der Ratsvorsitz freilich ein sehr teurer Spaß.

19. Jänner, 22.00 Uhr - Treffpunkt Brüssel

Österreich ist in Brüssel bestens vertreten, am Beginn der neuen Woche schön zu sehen am "Ministerauflauf" in der EU-Stadt. Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) ist schon am Sonntag eingetroffen, sie nahm an einem hochrangigen Treffen zum Thema Antisemitismus teil und ist heute auf "Antrittsbesuch" in den EU-Institutionen, wo sie unter anderem die Kommissare Margaritis Schinas, Oilver Varhelyi und die Vizepräsidenten Maros Sefcovic und Vera Jourova trifft.

Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) präsentiert am Montag im Rahmen des Eurogruppentreffens vor dem EU-Wirtschafts- und Finanzrat das Programm der neuen Bundesregierung. Es handelt sich auch in diesem Fall um Blümels ersten Besuch in Brüssel in seiner neuen Funktion.

Die EU-Außenminister beraten ebenfalls am Montag über die Ergebnisse des Libyen-Gipfels in Berlin. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell will seine Kollegen aus den 28 Mitgliedsstaaten in Brüssel über die Verhandlungen vom Sonntag informieren. Zugleich wollen die EU-Staaten mit Blick auf das Bürgerkriegsland über das weitere Vorgehen der EU beraten - mit dabei ist Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP).

Und dann ist da noch der Nachtzug: 14 Stunden von Wien nach Brüssel, bei der Premiere dabei zehn EU-Abgeordnete, die sich einer Challenge von Greenpeace nicht entziehen konnten. Ankunft am Montag plangemäß kurz vor 11 Uhr, mit viel Trarara. Wir werden berichten (und fragen, ob die lange und im Vergleich zum Flieger nicht gerade billige Reise nach Brüssel für die Abgeordneten eine Eintagsfliege war oder sie das in Zukunft öfter nützen wollen, der Umwelt zuliebe).

19. Jänner, 20.00 Uhr - Berliner Gipfel

Der Libyen-Gipfel in Berlin ist zu Ende, wie es aussieht, mit konkretem Ergebnis, das Anlass zur Hoffnung gibt. Zum ernsten Thema - darf man da trotzdem auch ein wenig schmunzeln? Wir probieren es mit einer kleinen Auswahl aus den fast 500 Fotos, die uns über die Agenturen erreichten. Da wäre zunächst das hier - immer wieder Boris Johnson, der für Aufruhr sorgt:

Immer wieder der Schlingel: Boris Johnson
Immer wieder der Schlingel: Boris Johnson © APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ

Wladimir Putin hingegen plaudert mit Angela Merkel über... ja was eigentlich? Wir wissen es nicht und wollen auch nicht darüber nachdenken.

Wladimir Putin und Angela Merkel. Wir wissen nicht, worum es geht, die Gespräche sind geheim
Wladimir Putin und Angela Merkel. Wir wissen nicht, worum es geht, die Gespräche sind geheim © APA/dpa/Kay Nietfeld

So oder so - worum auch immer es gegangen ist (über das Fischen vielleicht?): Emmanuel Macron hat die besseren Argumente:

Was immer auch Putin mit Merkel zu besprechen hatte - Macron hat die besseren Argumente. Und Putin schaut betrübt.
Was immer auch Putin mit Merkel zu besprechen hatte - Macron hat die besseren Argumente. Und Putin schaut betrübt. © APA/AFP/ODD ANDERSEN

15. Jänner, 11.00 Uhr - Eine Billion

Straßburg wieder. Man weiß gar nicht, wo anfangen und wo aufhören, soviele Themen und Ereignisse spielen sich hier im EU-Parlament gleichzeitig ab. Ein paar Stichworte, kurz zusammengefasst:

Brexit: Die Briten sind (gerade noch) da. Nigel Farage, Ober-Brexiteer, ist zwar diesmal nicht mehr aufgetaucht, aber einige seiner Mitstreiter sitzen noch auf ihren Plätzen, wie immer lautstark. Jetzt ist die Zeit des Abschieds tatsächlich gekommen. Am 29. Jänner tritt das EU-Parlament in Brüssel noch einmal zusammen, um den Brexit-Ausstiegsvertrag zu ratifizieren.

Bei der Einfahrt in die Garage des EU-Parlaments wird sichtbar, wie versessen die Brexit-Befürworter auf den Ausstieg sind - anhand eines dicken britischen SUV mit entsprechendem Kennzeichen:

Schwarzer Range Rover bei der Zufahrt zum EU-Parlament: deutliches Signal
Schwarzer Range Rover bei der Zufahrt zum EU-Parlament: deutliches Signal © Andreas Lieb
Die Brexit Party hat erreicht, was sie wollte. Ein Wahlerfolg in UK ist allerdings nicht dabei
Die Brexit Party hat erreicht, was sie wollte. Ein Wahlerfolg in UK ist allerdings nicht dabei © Andreas Lieb

Zukunft Europas: Heute vormittag läuft die Debatte über das große Reformprojekt der kommenden Jahre, die "Konferenz zur Zukunft Europas". Unter Federführung des Parlaments im Einklang mit Kommission und Rat soll über neue Ansätze, Reformen und mehr nachgedacht werden, dazu gehören Dinge wie mehr Bürgerbeteiligung, Reform des Migrations- und Asylwesens, Bankenunion usw. Skeptiker wie Harald Vilimsky (FPÖ) monieren: "Wir scheitern ja schon an der Gegenwart." Vizepräsident Othmar Karas (ÖVP) hat es in seiner Wortmeldung gerade so ausgedrückt: "Machen wir die Zukunft zu unserem Freund."

Green Deal: Gestern wurde die Finanzierung des 1-Billion-Euro Projekts "neuer grüner Deal" präsentiert, es war auf seltsame Weise, wie soll man sagen, verhatscht. Parallel dazu wurden auch massive Projekte zur sozialen Begleitung der Klimamaßnahmen präsentiert und irgendwie war das alles zur gleichen Zeit und damit zuviel. Dazu kam, dass die zahlreichen Redner (darunter gleich fünf Kommissare, wir haben berichtet) auch noch die Zahlen, um die es ja in erster Linie ging, recht locker durcheinandermischten (wenn also einer von zB "279 Milliarden" sprach, sagte der nächste "rund 300 Milliarden" und die Zuhörer wussten in dem Augenblick nicht, ob es dabei um ein und den selben Posten ging oder um zwei verschiedene.

Was schon im Vorfeld klar war: Das ambitionierte Klimaprogramm wird in den nächsten zehn Jahren rund eine Billion Euro kosten (das sind 1000 Milliarden) und das Geld wird natürlich nicht von Bäumen gebrockt, es kommt vielmehr von einer Umschichtung bereits vorhandener bzw. verplanter Mittel. Das, was wirklich extra aus dem laufenden Budget erübrigt wird, sind 7,5 Milliarden Euro in den nächsten sieben Jahren. Eine Milliarde pro Jahr, bei einem jährlichen EU-Budget von knapp unter 170 Milliarden - da schaut die Welt schon wieder ganz anders aus.

Was kommt: Viele werden bald in der Schlange stehen und die Hand aufhalten. Es geht um die Kohle, in jeder Hinsicht. Die armen Länder, die den Umstieg auf erneuerbare Energie noch vor sich haben und ihn sich nicht leisten können, sowieso. Im Kohlebereich arbeiten in Europa mehr als 250.000 Menschen, um die muss man sich auch kümmern. Ganze Branchen in ganz Europa kommen in Schieflage, es sind Bildungsmaßnahmen und Umschulungen zu finanzieren, soziale Abfederung auf allen Ebenen.

Was daraus folgt: Bei diesem Modell werden die Säumigen belohnt, die Musterschüler, die die Umstellungen bisher selbst und ohne Hilfe gestemmt haben, wären die Dummen. Auch für diese Länder wird sich die EU was einfallen lassen müssen, sonst ist das Signal verheerend.

10. Jänner, 18.00 Uhr - Krisentreffen

Freitag Nachmittag. Ausnahmsweise herrscht im EU-Viertel nicht das übliche Verkehrschaos; warum, ist unklar. Drinnen im Ratsgebäude herrscht hingegen voller Betrieb - die Außenminister der Mitgliedsländer sind zu einem Krisentreffen gekommen, ein außertourlicher Rat, weil im Nahen Osten und in Libyen der Hut brennt. Mit dabei sind Jens Stoltenberg, Nato-Generalsekretär, Josep Borrell, der neue EU-Außenbeauftragte, und der UNO-Sonderbeauftragte für Libyen, Ghassan Salamé.

Was den Iran betrifft, ist man sich soweit einig: vor allem das Wiener Atomabkommen soll nicht völlig beendet werden, der Irak dürfe auch nicht Schauplatz einer Auseinandersetzung zwischen Iran und den USA werden. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg hat seinen Kollegen einen Vorschlag unterbreitet: "Wenn die Parteien nicht zum Verhandlungstisch wollen, bringen wir den Verhandlungstisch zu ihnen", sagte er am Beginn des Treffens. Man müsse wieder einen "Dialogkanal" aufmachen, die EU könnte sich hier als Vermittler für Verhandlungen einbringen. Auf die Frage, ob Wien als neuerlicher Ort eines Dialoges infrage komme, wich Schallenberg aus - darum gehe es jetzt nicht.

Libyen ist das zweite große Thema des Treffens, für den deutschen Außenminister Heiko Maas birgt die Lage das Potenzial eines "zweiten Syrien". Besonders erschwert wird das Thema dadurch, dass selbst innerhalb der EU unterschiedliche Zugänge und Verknüpfungen mit den diversen libyschen Machthabern bestehen. Vor wenigen Tagen hatte doe Türkei mit der Entsendung von Truppen begonnen.

9. Jänner, 14.00 Uhr - EU-Reisebüro

Die neue Regierung daheim ist kaum angelobt, schon nimmt die allgemeine Reisetätigkeit spürbar zu. Klar, alles, was die EU betrifft, findet nunmal vorwiegend in Brüssel, Luxemburg oder Straßburg statt, dazu kommen jetzt aber auch die Antrittsbesuche der Minister in ihren neuen Funktionen - man muss sich ja mit den Kollegen in den anderen Ländern so schnell wie möglich vernetzen.

Als Erste ist derzeit Europaministerin Karoline Edtstadler unterwegs, freilich nicht in Brüssel, sondern im gut eine Stunde (mit TGV) entfernten Paris, wo sie sich heute mit der französische Staatssekretärin für europäische Angelegenheiten Amélie de Montchalin trifft. Unter anderem geht es dabei um die irritierende Haltung Frankreichs in der Westbalkanfrage.

Erste Dienstreise nach Paris: Amélie de Montchalin, Karoline Edtstadler,
Erste Dienstreise nach Paris: Amélie de Montchalin, Karoline Edtstadler, © BKA/Andy Wenzel

Morgen, Freitag, ist dann der neue/alte Außenminister Alexander Schallenberg in Brüssel, bei einem außerordentlichen Ratstreffen, bei dem es um den Iran und Libyen gehen soll.

Sonntag dann der große Auftritt von Kanzler Sebastian Kurz: bei seinem Einstandsbesuch in Brüssel trifft Kurz auf Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel und Brexit-Chefverhandler Michel Barnier. Alle Präsidenten, auch EP-Präsident David Sassoli, hatten Kurz und der neuen Regierung gratuliert. Diesmal fielen die Worte vermutlich leichter, bei der Koalition mit der FPÖ hatte der junge Kanzler noch allerhand damit zu tun, den Rest der EU von der proeuropäischen Linie Österreichs zu überzeugen. Beim "Austro-Gipfeltreffen" sind wir natürlich dabei.

Die EU-Spitzen und ihre Grußbotschaften:

4. Jänner, 11 Uhr - Rochaden

Die Feiertage in der "EU-Hauptstadt" sind so gut wie vorbei. In Belgien ist der 6. Jänner ein normaler Arbeitstag, kommende Woche geht es also schon am Montag so richtig los ins neue Arbeitsjahr. Davor freilich war das EU-Viertel so gut wie ausgestorben, ein Großteil der "Expats" verbrachte Weihnachten und Neujahr im jeweiligen Heimatland. Wer etwa mit dem Flieger gestern nach Brüssel zurückreiste, musste sich dessen bewusst werden: Alle sind jetzt wieder auf dem Rückweg, der Trubel geht gleich wieder los.

In der EU beäugt man das türkis-grüne Experiment in Austria mit großem Interesse. Alle Staaten (naja, fast alle, die Polen zieren sich ja noch) haben sich zu den Klimazielen und zum "Green Deal" der neuen Kommission bekannt, die einzigartige Koalition aus Konservativen und Grünen macht die Alpenrepublik somit schlagartig zu einer Art Versuchslabor unter Realbedingungen.

Aber schon jetzt hat die neue Regierung Auswirkungen in Brüssel und Straßburg, zumindest in den Reihen der ÖVP. Bekanntlich wechselt die Delegationsleiterin Karoline Edtstadler, wie schon seit Längerem erwartet, wieder zurück nach Wien und wird dort Kanzleramtsministerin für Europafragen. Die Frage ist, wer aus dem Team ihre Nachfolge als Delegationsleiter antritt. Der Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas, will diese Funktion nicht ein weiteres Mal übernehmen. Karas im O-Ton: "Nach meiner Wahl zum Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments mit einer breiten, parteiübergreifenden Mehrheit, habe ich nach nahezu 13 Jahren das Amt des Leiters der ÖVP-Delegation aus grundsatzpolitischen Überzeugungen freiwillig zurückgelegt - aus Respekt gegenüber der Aufgabe, der Funktion und der Zustimmung aus allen pro-europäischen Lagern. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Mein Programm war, ist und bleibt die parteiübergreifende Zusammenarbeit und das Miteinander. Meine europa- und demokratiepolitischen Grundsätze sind nicht von Personalentscheidungen und Wahlergebnissen abhängig."

Wer rückt also nach? Stellvertreterin Edtstadlers ist Angelika Winzig, Ambitionen auf das Amt werden auch Lukas Mandl nachgesagt. Eine Entscheidung soll in der kommenden Woche erfolgen.

Und wer rückt für Edtstadler nach? Zwei kämen infrage: nach Listenreihung würde nun doch der ehemalige TV-Moderator Wolfgang Pirchner den Sprung nach Brüssel bzw. Straßburg schaffen, geht es nach den Vorzugsstimmen, kommt der Burgenländer Christian Sagartz nach - für viele ist das die wahrscheinlichere Variante. Nicht zuletzt deshalb, weil das Burgenland auch das einzige Bundesland ist, das schon bei der Regierungsbildung nicht zum Zug kam.

18. Dezember, 13.00 Uhr - Das Finale

Letzte Sitzung des EU-Parlaments in Straßburg, in diesem Jahr halt. Man merkt, jetzt biegt auch in der EU das Jahr in die Zielkurve. Viel hat sich getan in den letzten Tagen (auch in Brüssel noch) und viel steht noch auf der Tagesordnung. Man könnte, so eine Erkenntnis, aus jedem einzelnen Tag aus den Aktivitäten der Institutionen ein Buch zustandebringen, kein dünnes.

Keine Angst: Dafür ist auch hier der Platz (und die Kapazität des Autors) nicht ausreichend. Aber dafür gibt es hier noch eine kurze Zusammenfassung einiger bemerkenswerter Ereignisse.

Stefan Zweig: In den EU-Institutionen ist es üblich, Gebäuden und Konferenzsälen Namen zu geben; um Respekt zu erweisen, natürlich aber auch, um deren Auffinden leichter zu machen. Das Europäische Parlament hat nun sein "Atrium Gebäude" in Brüssel in einer feierlichen Zeremonie nach Stefan Zweig benannt. "Durch seine Worte macht uns Zweig deutlich, dass wir in den Tiefen unserer Seele Europäer sind, fast aus Berufung", würdigte Parlamentspräsident David Sassoli den österreichischen Schriftsteller.

"Er sagt uns aber auch, dass Berufung allein nicht genügt, weil der europäische Traum Tag für Tag durch menschliche Beziehungen, die über die Grenzen der Nationalstaaten hinausgehen, durch den Austausch von Kultur und Wissen, das für die Bürger greifbar sein muss, gepflegt werden muss, damit sich jeder als Teil dieses wundervollen Projekts fühlen und es mittragen kann", so Sassoli. Zurückzuführen ist die Benennung auf eine Initiative der S&D-Fraktion und des ehemaligen S&D Vizepräsidenten Josef Weidenholzer, breite Zustimmung gab es auch von den anderen Fraktionen.

Friedenslicht: Noch einmal eine österreichische Initiative, diesmal in Straßburg. Das ORF-Friedenslicht aus Bethlehem wurde wie jedes Jahr dem Europäischen Parlament übergeben, konkret an dessen Präsidenten David Sassoli. „Ich freue mich und bin stolz darauf, die langjährige und liebgewonnene Tradition der Übergabe des Friedenslichts als starkes Symbol des Friedens und der Verbundenheit weiterzuführen. Das Friedenslicht soll uns zu Weihnachten daran erinnern, welchen unschätzbaren Wert der Frieden für uns Menschen hat. Denn Frieden ist keine Selbstverständlichkeit, sondern in Europa eine der großen Errungenschaften der Europäischen Union", sagt die oberösterreichische ÖVP-Europaabgeordnete Angelika Winzig. Vertreten war die gesamte ÖVP-Delegation und der langjährige Friedenslicht-Organisator und frühere EU-Abgeordnete Paul Rübig.

Berührender Augenblick: Übergabe des Friedenslichts durchdie ÖVP-Delegation im EU-Parlament Straßburg.
Berührender Augenblick: Übergabe des Friedenslichts durchdie ÖVP-Delegation im EU-Parlament Straßburg. © Andreas Lieb

Und sonst noch: Die Tochter des lebenslang inhaftierten uigurisch-chinesischen Regierungskritikers Ilham Tohti, Jewher Ilham, nahm stellvertretend für ihren Vater den Sacharow-Preis für geistige Freiheit des EU-Parlaments entgegen. Sie hielt eine ergreifende Rede im Plenum und erhielt langandauernden stehenden Applaus von den Abgeordneten. Alle österreichischen Abgeordneten stellten sich hinter die Preisverleihung, keinen Kommentar gab es von der FPÖ.

Im Parlament ließ man den jüngsten EU-Gipfel Revue passieren, neben den Abgeordneten waren Ratspräsident Charles Michel, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Brexit-Chefverhandler Michel Barnier am Wort. Sie mussten sich Unflätigkeiten von den Rechten (ID) und von Nigel Farage´s Brexit-Leuten gefallen lassen, gaben aber gut Konter und stellten besonders in Bezug auf die Brexit-Party fest: So sehr es schade ist, dass die Briten austreten, so sehr freue man sich darauf, diese Leute nicht mehr zu sehen. Die Abgeordneten, die tatsächlich sehr oft die Grenzen des Anstands und des Respekts überschreiten, verlassen das Parlament Ende Jänner, in ihrer Heimat hat die Partei keinen Sitz errungen.

Malta: Das EU-Parlament hat im Zusammenhang mit der Ermordung der Enthüllungsjournalistin Daphne Caruana Galizia den raschen Rücktritt von Maltas Regierungschef Joseph Muscat gefordert. Solange "der Premierminister im Amt bleibt", bestehe die "Gefahr einer Beeinträchtigung der Ermittlungen", heißt es in einer Entschließung, die eine breite Mehrheit der EU-Abgeordneten am Mittwoch in Straßburg annahm.

Ombudsfrau: Die Irin Emily O'Reilly bleibt weitere fünf Jahre EU-Ombudsfrau. Sie setzte sich im dritten Wahlgang mit 320 zu 280 Stimmen gegen Julia Laffranque durch. Die Bürgerbeauftragte untersucht Missstände in der EU-Verwaltung, den einzelnen EU-Organen und sonstigen Stellen. Das geschieht entweder auf Basis von Bürgerbeschwerden oder auf Eigeninitiative. ÖVP, FPÖ und NEOS unterstützten Laffranque, SPÖ und Grüne O'Reilly.

Bienenschutz: Das Parlament tritt dafür ein, die Verringerung von Pestiziden als gemeinsames Kriterium der Wirksamkeit nationaler Maßnahmen zum Schutz der Bienen und anderer Bestäuber zu verwenden. Dabei werden die Schwachstellen der Kommissionsinitiative unter die Lupe genommen, die nach Ansicht vieler Abgeordneten wenig gegen die Hauptursachen des Bienensterbens bewirkt. Die Verringerung von Pestiziden könnte auch zentraler Bestandteil der künftigen EU Agrarförderpolitik werden.

16. Dezember, 15.00 Uhr - Housing

Um Unterschriften zu sammeln und auf die Europäische Bürgerinitiative "Housing for all" hinzuweisen, rührte dieWienerin Karin Zauner-Lohmeyer und ihr Team im EU-Parlament die Werbetrommel. Unterstützung findet die Initative, die sich in erster Linie für leistbares Wohnen und sozial gerechte Wohnkosten in ganz Europa einsetzt, bei den Fraktionen links der Mitte: S&D, Grüne und Linke waren dabei und unterschrieben, so etwa Evelyn Regner und Andreas Schieder (SPÖ). Worum es bei dieser europaweiten Bürgerinitiative im Detail geht, lesen Sie hier.

Gemeinsames Anliegen im EU-Parlament: Europäische Bürgerinitiative "Housing for all", bei der die Fäden in Wien zusammenlaufen
Gemeinsames Anliegen im EU-Parlament: Europäische Bürgerinitiative "Housing for all", bei der die Fäden in Wien zusammenlaufen © Andreas Lieb

13. Dezember, 14.45 Uhr - Beendet

Heute ging es eher nach Protokoll als in der Nacht, der EU-Gipfel ist vor wenigen Minuten offiziell beendet worden. In den oberen Räumlichkeiten hielten einige der Staats- und Regierungschefs (etwa Angela Merkel oder Emmanuel Macron) noch ihre Pressekonferenzen ab, herunten im großen Pressesaal zogen die "Neuen" Bilanz: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel und die soeben gekürte finnische Regierungschefin Sanna Marin als Vertreterin des Ratsvorsitzlandes.

Fassten die Gipfelergebnisse zusammen: Sanna Marin, Charles Michel, Ursula von der Leyen
Fassten die Gipfelergebnisse zusammen: Sanna Marin, Charles Michel, Ursula von der Leyen © Andreas Lieb

Die Klimafrage war ja im Grunde in der Nacht schon abgehakt worden, man blieb bei der Formulierung, dass sich alle Mitgliedsländer auf die Klimaziele für 2050 geeinigt haben, dass aber eines (gemeint ist Polen) noch große Probleme in der Umsetzung sieht und dass man bis Sommer kommenden Jahres versuchen wird, auch diesen Staat noch an Bord zu bekommen.

Thema war freilich auch das Wahlergebnis in Großbritannien, man gratulierte Boris Johnson zum Sieg. Bei genauem Hinhören war es ein leicht unterkühlter Abschied - ein wenig so, als würde der Chef dem eben gekündigten Mitarbeiter "alles Gute für den weiteren Lebensweg" wünschen. Jetzt hoffen alle, dass die Ratifizierung des Austrittsabkommens endlich stattfinden kann.

13. Dezember, 01:45 Uhr - Das Ergebnis

Nun haben auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel ihre gemeinsame Pressekonferenz gehalten. Sie sprachen von einem "großen Erfolg", man habe sich auf das Klimaziel 2050 einigen können.

Allerdings mussten sie einräumen, das bis zuletzt ein Mitgliedsland nicht dabei war: Polen. Es sei halt so, dass es in den europäischen Regionen sehr unterschiedliche Ausgangssituationen gebe, so die beiden Präsidenten, das müsse man akzeptieren und nach Lösungen suchen. Es gibt eben ein Land, das müsse einen weiteren Weg zurücklegen als die anderen, so von der Leyen. Polen bekommt dafür mehr Zeit: Bis Juni 2020 sollen auch die Polen an Bord sein, bis dahin überlegt man sich, was dafür nötig ist.

Vor allem auf tschechischen Druck wird nun die Atomenergie in der Schlusserklärung erwähnt, "einige Mitgliedsstaaten" würden sie eben im Energiemix haben. Bundeskanzlerin Bierlein sagte, an Österreichs ablehnender Haltung werde das nichts ändern.

Danach verschwanden die Wagenkonvois mit den Staats- und Regierungschefs in die Brüsseler Nacht.

13. Dezember, 01:00 Uhr - Gipfel ist zu Ende

In diesen Minuten geht der erste Tag des Wintergipfels zu Ende. Vor allem zwei Länder waren es, die für heftige Diskussionen sorgten: Tschechien und Polen. Die Polen wollten fixe Zusagen für Milliardenbeträge als Klima-Wirtschaftshilfe, die Tschechen bestanden offensichtlich darauf, die Atomenergie als klimaneutrale Form der Energiegewinnung ausdrücklich festzuhalten. Schließlich wollten die Polen gar noch, das Ziel eines klimaneutralen Eurpa von 2050 auf 2070 zu verschieben - was von allen anderen abgelehnt wurde.

Nun sieht es so aus, als würde man die endgültige Entscheidung des Rats verschieben, voraussichtlich auf den Sommer 2020. Bis dahin liegen wohl weit konkretere Vorschläge auf dem Tisch, als derzeit.

13. Dezember, 00:30 Uhr - Lange Nacht

Irgendwie gehört das zu den EU-Gipfeln dazu: es geht alles bis spät in die Nacht hinein. Menschen, die in diesem hochrangigen Kreis schon einmal dabei waren, berichten von einer eigenen Dynamik, die sich zu später Stunde entwickeln würde. In der Tat soll auch so manche weitreichende Entscheidung nach stundenlangem Ringen in den frühen Morgenstunden gefallen sein, weil der eine oder andere Staats- und Regierungschef schlicht zu müde und zu erschöpft war, um noch länger Widerstand zu leisten.

Heute Nacht ist alles ein wenig zäh, das mag auch daran liegen, dass der Zeitpunkt für endgültige Entscheidungen noch nicht gekommen ist. Der neue "grüne Deal" der Kommission liegt ja eigentlich erst seit Mittwoch halbwegs auf dem Tisch (Mitte Jänner soll alles noch etwas konkreter dargestellt werden) und der siebenjährige Finanzrahmen kommt langsam in die Gänge, ist aber auch noch nicht dort, wo er sein sollte.

Immerhin wurde vor Kurzem bekannt, dass die EU-27 (Boris Johnson ist als nach wie vor aufrechtes Mitglied natürlich eingeladen, ließ sich aber wegen der Wahl in Großbritannien entschuldigen und wird - was ein wenig außergewöhnlich ist - vom an sich nicht stimmberechtigten Ratspräsidenten Charles Michel vertreten) eine Entscheidung getroffen haben.

Der Ratspräsident, also Michel, wurde also damit betraut, gemeinsam mit den Ländern eine Lösung für den Finanzrahmen zu finden. Chefsache also - damit müsste er eigentlich mit Johannes Hahn zusammenarbeiten, der als Budgetkommissar ja den gleichen Auftrag hat. Vor allem gilt es, die von Österreich angeführte Nettozahlerallianz davon zu überzeugen, dass es nicht nur nötig, sondern auch sinnvoll sein könnte, ein wenig mehr als bisher in den gemeinsamen Topf einzuzahlen.

Und weil es vielleicht doch den einen, die andere interessiert: Was haben denn die hohen Damen und Herren (fünf Frauen sind diesmal in der illustren Runde, das gab es noch nie) geschmaust, als sie über all die wichtigen Themen gesprochen haben? Es gab gegrillte Scampi auf Blattsalat, Bresse-Huhn mit Chicorée-Confit und Maroni-Kroketten, sowie als Dessert Birne mit Schokoladensoße.

12. Dezember, 18.00 Uhr - Wintergipfel

Stundenlang brummen Polizeihubschrauber über dem Brüsseler EU-Viertel: sicheres Indiz dafür, dass wieder ein Gipfel stattfindet. Obwohl das Ratsgebäude großräumig abgeriegelt ist, haben heute Früh die Aktivisten von Greenpeace wieder einmal eine spektakuläre Aktion geschafft. Sie kletterten über mitgebrachte Leitern auf den neuen Teil des Ratsgebäudes und brachten dort riesige Banner an, die vor dem Klimanotfall warnten. Erstaunlich, dass das an einem an sich außerordentlich gut gesicherten Gebäude so einfach möglich ist. Wie man hört, soll es aber am Beginn der Aktion zumindest eine Grundinformation an die Behörden gegeben haben - um sicherzugehen, dass nicht plötzlich ein Scharfschütze nervös wird...

Spektakuläre Greenpeace-Aktion an der Fassade des Ratsgebäudes
Spektakuläre Greenpeace-Aktion an der Fassade des Ratsgebäudes © APA/AFP/KENZO TRIBOUILLARD

Drinnen gab es viele neue Gesichter. Es ist der erste "richtige" Gipfel für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel, neu ist auch die soeben ins Amt gekommene finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin und die belgische Michel-Nachfolgerin Sophie Wilmes. Gleichzeitig dürfte es der letzte Gipfel für Österreichs Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein sein.

Gruppenbild mit Damen: Michel, Bierlein, von der Leyen, Wilmes, Merkel
Gruppenbild mit Damen: Michel, Bierlein, von der Leyen, Wilmes, Merkel © APA/AFP/ALAIN JOCARD
Erster Gipfel: Sanna Marin aus Finnland
Erster Gipfel: Sanna Marin aus Finnland © APA/AFP/KENZO TRIBOUILLARD

Der Gipfel lief jedenfalls deutlich holpriger an, als es sich die Präsidenten erhofft haben mögen. Die Klimadiskussion, die immer mehr mit dem noch offenen mehrjährgen Finanzrahmen verknüpft wird, ist schon zum Start schwieriger als gedacht. Und Österreich ist mittendrin. Die Länder im Osten, vor allem aber Polen, Tschechien und Ungarn, die sehr von der Kohle abhängig sind, fürchten, dass bei ihnen die Maßnahmen auf dem Weg zur Klimaneutralität besonders aufwendig sind und sie auf den Kosten sitzen bleiben. Man könnte freilich auch sagen: sie haben eine elegante Möglichkeit erkannt, die Hand aufzuhalten.

Österreich, unterstützt von Luxemburg und Deutschland, bleibt klar dabei, dass Atomenergie auf keinen Fall dafür tauglich ist, in eine gute Zukunft zu kommen. Andererseits kommt aus Kernkraftwerken kein CO2. Zwar ist es den Mitgliedsländern ausdrücklich erlaubt, im "Energiemix" nach Ermessen auch Nuklearenergie zu verwenden, die Ostländer wollen es aber gewissermaßen schriftlich, dass sie darauf setzen können - was für die AKW-Gegner aber nun wirklich nicht geht.

So sind also wieder einmal alle Programmpunkte nach hinten gerutscht und, anders als geplant, ist die Klimadebatte (zusammen mit dem Finanzrahmen) nun doch auch Hauptthema beim gemeinsamen Abendessen. Vermutet wird, dass in der Schlusserklärung eine eher schwammige Formulierung übrig bleibt, mit der vorerst einmal jeder leben kann. Die wirklichen Entscheidungen fallen später.

11. Dezember, 15.00 Uhr - Abends in der Stadt

Jeden Abend gibt es nun in Brüssel gesellige Anlässe, so kurz vor Weihnachten blickt man gerne in feierlichem Rahmen auf das Jahr zurück. Heute etwa gibt es den Weihnachtsempfang der Wirtschaftskammer in Brüssel, gestern lud Neos-Abgeordnete Claudia Gamon zur Käseverkostung - natürlich mit importierten Gustostückerln aus Vorarlberg.

Gesellige Neos-Käseverkostung: Claudia Gamon
Gesellige Neos-Käseverkostung: Claudia Gamon © Andreas Lieb

Regelmäßig stoßen zu den vielen Journalisten in Brüssel auch Kollegen aus den Heimatländern dazu, die meist ein dichtes Programm in den EU-Institutionen absolvieren; neulich war wieder eine Gruppe aus Österreich zu Gast. Fast schon Tradition ist um diese Zeit die Einladung von Kommissar Johannes Hahn zu einem informativen Abendessen. Dabei kommt man auch gleich ins "Allerheiligste" des riesigen Kommissionsgebäudes, noble Räumlichkeiten im 13. Stock. Eines der Themen des Abends: Wo denn die neue Präsidentin Ursula von der Leyen hier ihre Privaträume habe. Wie bekannt, verzichtet sie auf eine externe Wohnmöglichkeit und lässt sich derzeit im 13. Stock, gleich neben ihren Büros, ein 25 Quadratmeter großes Appartement einrichten.

Die Frage blieb ebenso unbeantwortet wie die Klärung des Gerüchts, dass der ungewöhnliche Wohnort angeblich so im Inneren des Gebäudes liegt, dass er ohne Fenster ist - aus Sicherheitsgründen.

Schickes Abendessen im 13. Stock des Berlaymont: Kommissar Johannes Hahn
Schickes Abendessen im 13. Stock des Berlaymont: Kommissar Johannes Hahn © Andreas Lieb

5. Dezember, 16.00 Uhr - Hochbetrieb

Es geht auf Weihnachten und den Jahreswechsel zu, wie überall herrscht auch in Brüssel Hochbetrieb. Die Zahl der eintreffenden Einladungen übersteigt inzwischen längst die physischen Möglichkeiten einer Teilnahme. Am besten, man wäre an fünf Orten gleichzeitig.

Ein kleiner Überblick aus den letzten Tagen (Beziehern unseres Gratis-EU-Newsletters wird einiges bekannt vorkommen):

Eugen Freund, bis Sommer EU-Abgeordneter für die SPÖ und davor als ORF-Moderator und Washington-Korrespondent bekannt, hat ein Buch über seine Zeit in Brüssel und Straßburg geschrieben und es nun in der Bibliothek des Parlaments präsentiert. Nicht wenige seiner Kollegen sind gekommen, auch von anderen Parteien (etwa von der ÖVP Karoline Edtstadler, Othmar Karas oder Lukas Mandl, "Gastgeberin" und frühere SP-Delegationsleiterin Evelyn Regner sowieso). Ein launiges Ereignis mit vielen Blicken hinter die Kulissen.

Gastgeberin Evelyn Regner, Autor Eugen Freund, Moderator Peter Fritz
Gastgeberin Evelyn Regner, Autor Eugen Freund, Moderator Peter Fritz © Andreas Lieb

Kurz davor, ein sehr ernstes Thema: Hatice Cengiz, Verlobte des im saudiarabischen Konsulat in Istanbul ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi, erhebt schwere Vorwürfe gegen die Weltgemeinschaft. Obwohl es inzwischen "glaubwürdige Beweise" für eine Verwicklung von Saudi-Arabiens mächtigem Kronprinzen Mohammed bin Salman in die grausame Tat gibt, sei die internationale Reaktion - und auch jene der EU - enttäuschend. Das sieht auch Agnès Callamard so, UN-Berichterstatterin für außergerichtliche Tötungen.

Agnès Callamard, UN-Berichterstatterin (Mitte), und Hatice Cengiz (rechts), Verlobte des Ermordeten  Journalisten Jamal Khashoggi: Schwere Vorwürfe, auch an die EU
Agnès Callamard, UN-Berichterstatterin (Mitte), und Hatice Cengiz (rechts), Verlobte des Ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi: Schwere Vorwürfe, auch an die EU © Andreas Lieb

Am Abend dann, ein feierlicher Anlass: der österreichische Christbaum wird wieder im EU-Parlament aufgestellt, wie immer kommt er aus Niederösterreich. Zum 22. Mal schmückt ein niederösterreichischer Christbaum in der Advents- und Weihnachtszeit das Abgeordnetenhaus und erinnert laut dem ÖVP-Europaabgeordneten Alexander Bernhuber daran, dass der Advent "eine Zeit zum Innehalten" ist. "Die Weihnachtszeit soll genützt werden, neue Richtungen zu finden, Weichen neu zustellen und Kräfte zu bündeln", so Bernhuber, der den 4,5 Meter hohen Christbaum an EU-Parlamentsvizepräsidenten Othmar Karas überreichte.

Viele Leute sind heuer dabei, Österreichs EU-Budgetkommissar Johannes Hahn, EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski, ÖVP-EU-Delegationsleiterin Karoline Edtstadler und der Stellvertreter der Landeshauptfrau von Niederösterreich, Stephan Pernkopf (ÖVP), Ex-Vizekanzler Josef Pröll, der ehemalige Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter sowie zahlreiche weitere prominente Gäste nahmen an dem Festakt teil. Für die Segnung der Nordmanntanne aus der nachhaltigen Christbaumkultur von Familie Buchegger bei Maria Laach am Jauerling reiste Diözesanbischof Alois Schwarz an. 

Alle Jahre wieder: Riesenandrang vor dem österreichischen Christbaum im EU-Parlament
Alle Jahre wieder: Riesenandrang vor dem österreichischen Christbaum im EU-Parlament © Andreas Lieb

Danach wurde noch in der nahen Bayrischen Landesvertretung gefeiert, nicht ganz ohne Irritationen; so verwies einer der Redner aus der Landwirtschaft darauf, wie wichtig Glyphosat für die Bauern und insbesondere die Christbaumbauern sei und die EU möge sich mit Verboten zurückhalten. Und in diesem Umfeld war es wohl auch, als sich Ex-Minister Rupprechter zu seinem seltsamen Tweet hinreißen ließ, der wenig später die Wogen hochgehen ließ.

1. Dezember, 17.00 Uhr - Die großen Vier

Mit heutigem Tag ist es amtlich, in Europa hat ein neues Team die Führung übernommen. Das wurde gefeiert, im "Europäischen Haus der Geschichte" im Park zwischen EU-Parlament und Ratsgebäude in Brüssel. Hauptsächlich Fotografen und Kamerateams sind gekommen, der Termin scheint vor allem bildhafte Symbolik zu haben.

In der Tat. Gleich vier neue Präsidenten haben sich versammelt, genauer gesagt: Zwei Damen und zwei Herren. Das ist symbolhaft für das neue Europa. Die Präsidenten/innen von Kommission (Ursula von der Leyen), Christine Lagarde (Europäische Zentralbank), Charles Michel (Rat) und David Sassoli (Parlament) feierten an ihrem ersten Arbeitstag (naja, Sassoli ist schon seit Sommer im Amt) das Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages vor zehn Jahren. Von der Leyen sprach davon, die Führungskräfte der EU-Institutionen seien die "Wächter der Verträge" und "Hüter des Geists von Lissabon."

Der Lissabon-Vertrag war am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten. Er hat die EU weitreichend verändert. Durch ihn wurden unter anderem das Amt des EU-Ratspräsidenten eingeführt, die Möglichkeit von Mehrheitsbeschlüssen im Ministerrat ausgeweitet und dem Europaparlament mehr Mitspracherechte bei Gesetzgebungsverfahren gegeben. Gleichzeitig schaffte der Lissabon-Vertrag die Möglichkeit des EU-Austritts, den Großbritannien mit dem Brexit nun nutzt.

Zum Schluss sangen die Vier gemeinsam die Europahymne. In der Tat: ein historischer Tag.

Vier neue an der Spitze und den Lissabon-Vertrag in Händen: Lagarde, von der Leyen, Michel, Sassoli
Vier neue an der Spitze und den Lissabon-Vertrag in Händen: Lagarde, von der Leyen, Michel, Sassoli © Andreas Lieb

In den Tagen davor hatte es schon viele Abschiedstermine gegeben, sehr bewegend war der nun wirklich letzte Auftritt des bisherigen Kommissionspräsdienten Jean-Claude Juncker und der des Ratspräsidenten Donald Tusk, beide nicht um Worte verlegen, die zum Nachdenken und zum Schmunzeln anregen. "Die vergangenen fünf Jahre waren kein Picknick", meinte Juncker. Tusk sagte: "Ich hatte keine Ahnung, dass das Drehbuch meiner Amtszeit von Alfred Hitchcock selbst geschrieben sein würde" - nach dem Motto des Regiegenies, ein Film sollte mit einem Erdbeben beginnen und sich dann langsam steigern.

Juncker selbst sagte dann auch noch auf Twitter goodbye:

Abschied und Neubeginn - das schlug sich auch in den Twittermeldungen der Presseteams nieder.

Falls jemand ganz genau schaut und sich wundert, warum im Presseteam von Jean-Claude Juncker auch Alexander Winterstein Erwähnung findet - der ja derzeit Sprecher der österreichischen Übergangsregierung ist - dann hat das schon seine Richtigkeit. Winterstein war vor seinem Wechsel nach Wien einer der Chefsprecher in der Kommission.

29. November, 15.00 Uhr - Das Gespräch

Gebäude Winston Churchill, sechster Stock, Zimmer 600. Es ist einer der zahllosen Besprechungsräume im Gebäudekomplex des Europäischen Parlaments in Straßburg, im Gewirr der verwinkelten Gänge nicht leicht zu finden. Der Schreiber dieser Zeilen war schon einmal hier: im Sommer 2018, als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den österreichischen Medien ein Interview anlässlich der Ratspräsidentschaft gab.

Nun also wieder hier, diesmal als einziger österreichischer Journalist. Der Anruf war am Montag gekommen, grünes Licht für das Gespräch, über das wir seit dem späten Sommer verhandelt hatten. Nur ein paar andere Kollegen internationaler Medien sind ebenso da, von der FAZ, von El Mundo, von Helsingin Sanomat. Ein "quasi-exklusives" Interview mit Ursula von der Leyen, deren neues Kommissionsteam keine 24 Stunden davor erst mit eindeutiger Mehrheit im EU-Parlament bestätigt wurde.

Sie hat eine besondere Beziehung zu Österreich, genauer gesagt zur Steiermark. "Die Steiermark ist für mich Heimat und Kindheit", sagt sie. Darf ich Sie da zitieren, frage ich zurück. Ganz sicher, lautet die Antwort. Eine Stunde nimmt sie sich für die Fragen Zeit. Das ganze Interview steht in der Samstag-Ausgabe und ist hier auch online zu finden.

Das große Interview zum Amtsantritt: Ursula von der Leyen, Andreas Lieb
Das große Interview zum Amtsantritt: Ursula von der Leyen, Andreas Lieb © EU/Etienne Ansotte; KK

22. November, 21.00 Uhr - Razzia

Warum auch immer, eine Meldung ist in den letzten Tagen ein wenig untergegangen: Polizei und Staatsanwaltschaft in Nordrhein-Westfalen haben illegale Geldströme aufgedeckt, mehrere Dutzend Verdächtige ausgemacht und Vermögenswerte in Höhe von satten 212 Millionen Euro sichergestellt - vermutlich illegales Geld. In diesem und einem zweiten Ermittlungskomplex geht es um den Verdacht, dass kriminelle Vereinigungen ein organisiertes und gewerbsmäßiges Geldwäsche- und "Hawala-Banking"-System betrieben haben. Tagesumsatz: 700.000 bis eine Million Euro.

Hawala?

"Mit dem Hawala-System kann Geld schnell, vertraulich und sehr kostengünstig transferiert werden", erklärt einer der Ermittler. Weil der Geldfluss sich der Bankenaufsicht und der Geldwäscheprüfung entzieht, ist es in Deutschland verboten. Das weltweit eingesetzte, informelle Überweisungssystem hat seine Wurzeln in der frühmittelalterlichen Handelsgesellschaft des vorderen und mittleren Orients. "Es ist nicht Teil des islamischen Bankwesens", sagt einer der Ermittler. Aus dem Arabischen kann "Hawala" mit "Wechseln, Überweisen" übersetzt werden.

Weil der Geldfluss überwiegend aus Richtung Deutschland in Richtung Türkei stattfand, waren die Hawala-Banker gezwungen, einen Ausgleich zu schaffen. Dazu hätten sie Gold angekauft und dieses in einem deutsch-türkischen Familienunternehmen bilanztechnisch vom deutschen zum türkischen Unternehmensteil verschoben.

So, was haben diese Gaunereien nun mit der EU zu tun? Das führt Sven Giegold, Grüner EU-Abgeordneter und Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, aus: "Hawala ist ein Parallelsystem ohne Banklizenz und Aufsicht, über das anonym und auf Vertrauen basierend Geld transferiert wird. Solche Zahlungssysteme sind ein Einfallstor für Finanzkriminalität und Geldwäsche. Im Nichtfinanzsektor wie dem Geschäft mit Juwelen und Metall funktioniert die Geldwäschekontrolle sehr schlecht. Wir brauchen eine konsequente Anwendung der Geldwäschegesetze in den Mitgliedstaaten." Die EU-Kommission müsse die Schwachstellen bei der Kontrolle der Hawala-Transfers und der Umsetzung von EU-Regeln untersuchen. Giegold weiter: "Kriminelle missbrauchen im Darknet auch Krypto-Währungen wie Bitcoin und Ethereum für den Handel mit Menschen, Waffen und Drogen. Bei aller Offenheit für Innovationen darf es keinen rechtsfreien Raum für Zahlungssysteme jenseits von Banken geben.“ Interessanter Standpunkt, schwer zu widerlegen.

18. November, 20.00 Uhr - Satire

Es war so: Deutschland hatte etwas verpasst. Eigentlich sollten die Mitgliedsländer der EU vor den Wahlen so etwas wie eine Mindestquote einführen, um die Kandidatur von Ulk- und Scherzparteien zu verhindern. Die meist fraktionslosen Abgeordneten, die es aus dubiosen Gründen bisher bis ins Parlament geschafft hatten, kosten die Steuerzahler ja eine schöne Stange Geld und bringen sich (meist) eher nicht ein.

Nur: Deutschland hat wegen eines Einspruchs der Grünen die Frist versäumt und so durften sich auch diesmal Dutzende lustige und halblustige Parteien in den Kampf um die Stimmen werfen.

Durchaus mit Erfolg. So schaffte die Satirepartei "Die Partei" zwei Sitze: Martin Sonneborn und Nico Semsrott sind nun (wieder) EU-Abgeordnete. Der deutsche Satiriker Martin Sonneborn kandidierte nach seinem Überraschungserfolg bei der Wahl 2014 erneut für einen Sitz im Europaparlament. Der Ex-Chefredakteur und Mitherausgeber des "Titanic"-Magazins hat jüngst ein Buch über seine ersten Jahre im Europaparlament veröffentlicht. Nummer zwei auf der "Partei"-Liste war der aus der ZDF-Satiresendung "heute-show" bekannte Kabarettist Nico Semsrott. Beide wollen sich dem Wahlprogramm zufolge unter anderem für eine "Ossi-Quote in Führungspositionen" oder "Artenschutz für die SPD" einsetzen.

Inzwischen ist Semsrott bei den Grünen untergekommen, was ihn aber nicht daran hindert, Schabernack zu treiben. Letzte Woche wurde ihm von der Parlamentsdirektion ein Auftritt untersagt: Zum Fall der Berliner Mauer wollte er kurz vor dem Auftritt des deutschen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU)  einen "Jubiläumsvortrag mit phasenweise pessimistischer Powerpointpräsentation" halten.

Ein EU-Abgeordneter im Parlament: Nico Semsrott während der Rede der designierten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Ein EU-Abgeordneter im Parlament: Nico Semsrott während der Rede der designierten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen © (c) AP (Jean-Francois Badias)

Nun legte er mit einer interessanten Idee nach: Er schlug vor, den Brüsseler Plenarsaal des Europaparlaments in "Straßburg" umzutaufen, um die regelmäßigen teuren Reisen des Parlaments von Brüssel nach Nordfrankreich zu beenden. Den Antrag stellte der Politiker von "Die Partei" am Montag bei Parlamentspräsident David Sassoli. Straßburg koste eine halbe Milliarde Euro im Jahr und stehe doch 300 Tage leer; die Reisen würden mindestens 20.000 Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid hervorrufen.

Die Lösung seiner "hochkarätigen Rechtsberater": Da der EU-Vertrag zwar Straßburg als einen Sitz des Parlaments vorschreibe, aber nicht Straßburg in Frankreich, solle man einfach im ungetauften Plenarsaal in Brüssel tagen und hätte den Verträgen genüge getan, schrieb Semsrott an Sassoli. Auch nicht schlecht.

14. November, 18.00 Uhr - Klare Worte

Heute die letzten Hearings für die neuen Kommissare, wieder ohne britischen Kandidaten. Sie schicken keinen, weil sie so knapp vor den Wahlen (am 12. Dezember) keine weitreichenden Entscheidungen mehr treffen können. Der Start von Ursula von der Leyens neuer Kommission, schon einmal vom 1. November auf 1. Dezember verschoben, sollte zumindest durch diese letzte Posse nicht mehr in Gefahr sein.

Wir haben darüber schon berichtet, heute wurde es zur Realität: Die EU-Kommission hat am Nachmittag offiziell ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Vereinigte Königreich eingeleitet. Der juristische Trick: Während es läuft, kann die Kommission auch ohne britischen Kollegen ihre Arbeit aufnehmen, Beschlüsse wären, so die These, gültig.

Den Briten selbst kann das Verfahren aber ziemlich egal sein, sie wollen ja eh hinaus aus der EU. Oder doch nicht? Donald Tusk, der in diesen Tagen seine Amtszeit als Ratspräsident beendet, braucht sich jetzt kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen. Das bewies er gestern Abend bei einer Rede in Brügge.

Er beneide John Bercow, den soeben zurückgetretenen britischen Parlamentspräsidenten ("OOOOOooooooorder!"), weil dieser nun endlich unverblümt seine Meinung sagen könne (Bercow ist entschiedener Brexit-Gegner). Und so sagte Tusk, er könne nun auch klarer sprechen - als Ratspräsident wäre er vor Monaten dafür womöglich noch gefeuert worden.

Also holte Tusk aus. Die Brexiteers hätten immer behauptet, die EU zu verlassen würde das UK zum "Global Player" machen. Dabei sei das Gegenteil der Fall. Nur als Teil eines vereinten Europa könne sich das Land behaupten. Allein habe es auf dem globalen Schlachtfeld zwischen China, den USA und der EU nur geringe Chancen. Großbritannien werde zum Außenseiter werden, Tusk sprach sogar vom Ende des "British Empire".

In der selben Rede kam er auch noch auf Emmanuel Macron zu sprechen, einer "Hoffnungsperson" für die EU und "mein Freund". Es werde kein souveränes Europa geben ohne die Balkanstaaten und ohne eine unabhängige Ukraine; Macrons Aussage, man müsste die Position zu Russland überdenken und er teile manche Ansichten mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban, dieser könne dazu beitragen, die Polen von einer geänderten Haltung gegenüber Russland zu überzeugen, kommentierte Tusk trocken: "Vielleicht, Emmanuel, aber nicht mich".

Falls jemanden die ganze Rede Tusks interessiert (auf englisch) - hier bitte.

10. November, 19.00 Uhr - Herausforderung

Es gibt Dinge, aus denen kommt man nicht so leicht heraus. Vielleicht will man ja auch gar nicht, und es passt eh alles. Bevor es jetzt zu kryptisch wird: es geht um eine neue Verkehrsverbindung von Wien nach Brüssel.

EU-Abgeordnete sind per definitionem Vielfahrer, Vielflieger, Vielreisende. Egal, in welchem Flieger man gerade zwischen Wien und Brüssel unterwegs ist - irgendeinen "MEP" trifft man immer. Da passt ein neues Angebot der ÖBB perfekt: Ab 19. Jänner ist ein direkter Nachtzug zwischen der Bundeshauptstadt und der belgischen Metropole unterwegs. Gut fürs Klima, noch besser für den ökologischen Fußabdruck der Volksvertreter, die den Klimaschutz auf ihre Fahnen geheftet haben.

Das hat nun die Aktivisten von Greenpeace zu einer großartigen Idee geführt: Die Umweltorganisation lädt die derzeit 18 österreichischen EU-Abgeordneten zur "Nachtzug-Challenge" ein. Schon bei der ersten Fahrt am 19. Jänner könnten sie so beispielgebend und vor allem klimaschonend reisen.

Siehe oben: da kann man schlecht nein sagen, Abendtermin hin oder her. Und so sagten die SPÖ-Abgeordneten gleich einmal zu, die Grünen finden das sowieso super und auch die ÖVP hat bereits die Teilnahme fest versprochen. FPÖ und Neos denken noch nach. Wer weiß, vielleicht schnapsen sich die Abgeordneten ja gleich wichtige Dinge auf der zwölfstündigen Fahrt aus.

Greenpeace rechnet vor, dass Flugpassagiere auf der Strecke von Wien nach Brüssel je 410 kg CO2 verursachen, bei den Nightjet-Fahrgästen sind es nur je 40 kg CO2 pro Kopf. Und man fügt sicherheitshalber dazu: "Die Einladung von Greenpeace ist eine Aufforderung, an dieser Zugfahrt teilzunehmen. Die Kosten für die Zugtickets sind jeweils von den EU-Abgeordneten zu entrichten."

6. November, 22.00 Uhr - Späte Feier

Nationalfeiertag - das ist ein Feiertag, den man als g'standener Österreicher natürlich auch in der Ferne in Ehren hält, besonders in Brüssel. Weil aber am 26. Oktober, noch dazu wenn es sich um ein Wochenende handelt, ein Großteil der Exil-Alpenrepublikaner ohnedies in der Heimat (oder auf Urlaub; oder im Wahlkreis) ist, muss man sich auf einen alternativen Tag einigen.

So geschehen diese Woche, als Botschafterin Elisabeth Kornfeind und der Botschafter in der Ständigen Vertretung, Nikolaus Marschik, die Österreicher in Brüssel in den ehrenwerten Cercle Royal Gaulois zum Nationalfeiertagsempfang luden. Genau genommen war allerdings Außenminister Alexander Schallenberg Gastgeber, der (als alter Brüssel-Bewohner) gleich zu Beginn festhielt, dass er sehr gerne in der belgischen Metropole sei, die ihm auch ein Stück zur Heimat geworden sei. Und dann freundliche Lacher erntete, als er mit Blick auf einen der Gäste festhielt: "Alles ändert sich hier, mir kommt vor, Johannes Hahn ist die einzige Konstante."

Volles Haus: Später Empfang zum Nationalfeiertag in Brüssel
Volles Haus: Später Empfang zum Nationalfeiertag in Brüssel © Andreas Lieb

Bei Gulasch und Wiener Schnitzel herrschte in den Prunksälen jedenfalls abenteuerliches Gedränge. Botschafter Marschik verriet uns, dass rund 700 Gäste der Einladung gefolgt waren.

1. November, 14.00 Uhr - Besuch in UK

Heute wären sie weg gewesen und jetzt sind sie immer noch da. Die Briten sind, salopp gesagt, schwer loszuwerden. Heißt für uns jedenfalls  am ursprünglich geplanten "Tag X", dem 31. Oktober, noch einmal schnell hinüber auf die andere Seite, schauen, wie es da läuft. Brüssel - Calais - rein in den Autozug "Le Shuttle" und in Folkstone wieder raus aus dem Zug, für einen weiteren netten Tag im schönen Canterbury. Das Computersystem beim Tunnel hat zwar einen "Spinner", aber außer etwas Verspätung ist nichts passiert.

Unterwegs hören wir schon, dass die britische Regierung die Not-Umleitungen entlang der Autobahn (falls bei einem No-Deal-Brexit schlagartig Chaos im Transportwesen ausgebrochen wäre) schon wieder eingestellt hat. Tatsächlich sehen wir auf der kurzen Fahrt auf der M20, der dreispurigen Zubringerautobahn, mächtige Laster der Straßenverwaltung, die Abertausende von orangen Hütchen abtransportieren.

Auf der britischen Seite ist alles wie immer - der Brexit ist natürlich Thema, verleitet aber hauptsächlich zum Schulterzucken. In London mag demonstriert werden, hier im Süden geht alles seinen üblichen Gang. Die zahlreichen Studenten aus EU-Ländern, die sich in der Grafschaft Kent aufhalten, rechnen ohnehin damit, dass der Ausstieg Großbritanniens aus der EU (wann und unter welchen Umständen auch immer) keine gröberen Auswirkungen auf sie hat.

Bei der Heimfahrt erhalten wir beim Tunnel ein Ticket mit vermeintlich historischem Datum. Naja, es wird ein neues geben. Und dann vielleicht endgültig.

Denkwürdiges Datum: Ticket für den Euro-Tunnel
Denkwürdiges Datum: Ticket für den Euro-Tunnel © Andreas Lieb

28. Oktober, 17.40 Uhr - Rückblick

Einer, der derzeit aus dem Abschiednehmen nicht so richtig herauskommt, ist Jean-Claude Juncker. Der EU-Kommissionspräsident ist derzeit extrem gefragt, wenn es um Rückblick und Ausblick für die EU geht. Juncker gibt sein Amt ab, statt wie geplant am 1. November wird es nun doch 1. Dezember werden oder gar noch später, falls seine Nachfolgerin Ursula von der Leyen ihr Kommissionsteam nur mit Verzögerung (Brexit!) bilden kann.

Dieser Tage sprach Juncker, der nicht weniger als 148 EU-Gipfel absolviert hat, auf Einladung des "European Policy Center" in Brüssel, herzlich begrüßt von einem seiner Weggefährten, EPC-Präsident Herman Van Rompuy. In Junckers letzter öffentlicher Rede als Präsident ("hoffentlich", scherzte er) nannte er wieder die Griechenland-Krise und die Migration als jene Themen, die ihn - abgesehen vom Brexit, dem allergrößten Problemfall: "Eine Schande", so der Präsident - am meisten gefordert hätten.

Patriotisch sein, nicht nationalistisch: Jean-Claude Juncker in Brüssel
Patriotisch sein, nicht nationalistisch: Jean-Claude Juncker in Brüssel © Andreas Lieb

Er sei sich sicher, so Juncker, dass Europa trotz der Krisen heute ein besserer Platz sei als 2014. Stolz zeigte er sich darüber, bei der Migration die Rettung von Leben an vordere Stelle gestellt zu haben sowie Möglichkeiten legaler Wege nach Europa offengelassen zu haben. Juncker zeigte sich anhaltend verärgert über die jüngste Gipfel-Entscheidung (angetrieben durch Frankreich), die Beitrittsverhandlungen mir Albanien und Nordmazedonien noch einmal zu verschieben.

Juncker schloss mit den bewegenden Worten, er habe sein Bestes gegeben und er empfinde es als Ehre seines Lebens, der Europäischen Union gedient zu haben. Sein Rat für die Zukunft: "Passt auf auf Europa und stellt sicher, dass es ein offener Kontinent bleibt. Seid patriotisch - aber nicht nationalistisch."

25. Oktober, 21.00 Uhr - Die Präsidenten

Die Straßburg-Session ist wieder vorbei, zumindest, was das EU-Parlament betrifft. Straßburg gilt als "echte" Europastadt, nicht nur weil es Sitz des Parlaments ist - es ist auch Standort des Europarates (den man nicht mit dem Europäischen Rat verwechseln sollte, dem Gremium der Staats- und Regierungschefs bzw. der EU-Mitgliedsländer). Der Europarat, der heuer 70 Jahre alt wurde, geht weit über die EU hinaus. 47 Staaten beteiligen sich, in denen insgesamt 820 Millionen Menschen leben. Nach einem Streit (um die Krim) und dem Entzug der Stimmrechte ist seit heuer Russland wieder auf dem Weg zur Vollmitgliedschaft.

Dem Europarat geht es um das Verbindende, um völkerrechtliche Abkommen und um Menschenrechte - Stichwort Europäische Menschenrechtskonvention. Wahrung der demokratischen Grundwerte, Rechtsstaatlichkeit, Kulturaustausch und Kampf gegen den Terrorismus sind weitere Schwerpunkte.

Wolfgang Sobotka (ÖVP), der soeben neuerlich zum Nationalratspräsidenten gewählt wurde, führte seine erste Auslandsreise gestern und heute nach Straßburg, zur Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Parlamente in den Mitgliedsstaaten. Sobotka hielt eine Rede, in der er das "gemeinsame Haus Europa" ansprach, nach einem Ausspruch von Michael Gorbatschow aus dem Jahr 1989. Jenem Jahr, das, so Sobotka, das Ende der Teilung Europas besiegelt hat. (Einen Bericht über den Straßburg-Besuch finden Sie hier).

Die Herausforderungen für den Europarat sieht Sobotka ähnlich, wie die EU-Insititutionen in Brüssel: Klimawandel, Digitalisierung, Migrationsmanagement, demografischer Wandel... Besonderes Augenmerk richtete er auf den Kampf gegen den Antisemitismus, so gab es auch einen Besuch in der Synagoge.

Besuch in der Synagoge in Straßburg: Wolfgang Sobotka
Besuch in der Synagoge in Straßburg: Wolfgang Sobotka © KK

Kommendes Jahr, 2020, wird Österreich übrigens die 5. Interparlamentarische Weltkonferenz ausrichten. Es werden die Präsidentinnen und Präsidenten der Parlamente aus 178 Staaten und rund 1200 Delegierte erwartet.

22. Oktober, 17.15 Uhr - Aufmarsch

Straßburg, Oktobersitzung des EU-Parlaments. Ein wenig skurril alles diesmal, die Tagesordnung ist ein wenig aus dem Lot geraten - seit einigen Wochen ist klar, dass die Bestätigung der neuen Kommission frühestens im November vollzogen werden kann, seit gestern Abend ist es fix, dass das EU-Parlament in dieser Woche sicher nicht mehr über einen Brexit-Vertrag abstimmt.

Das ist klar geregelt: Erst London, dann Straßburg. Oder auch Brüssel, notfalls müssen sich die Abgeordneten zu einer Sondersitzung treffen, die wäre dann in der belgischen Hauptstadt. Aber wie immer heißt es zunächst einmal warten und "Boris-Schauen".

Zu schauen gibt es auch etwas vor dem Parlamentsgebäude: Jede Menge Traktoren sind aufgezogen, über die deutsche Grenze von Kehl aus herübergekommen. Die Bauern protestieren wieder, Zehntausende sind es insgesamt in Deutschland und auch in Frankreich. Sie wollen eine nachhaltige EU-Agrarreform. Mit den Fördergeldern aus der EU-Agrarpolitik (GAP) müssten künftig kleine und mittlere Landwirtschaftsbetriebe "fit für die Agrarwende" gemacht werden. Pauschale Flächensubventionen seien nicht mehr zeitgemäß. Die 60 Milliarden Euro pro Jahr, über deren Neuverteilung die EU gerade verhandelt, müssten den Betrieben Anreize für mehr Tier-, Umwelt- und Klimaschutz bieten, forderten die Demonstranten.

Deutsch-französische Bauerndemo vor dem EU-Parlament in Straßburg. Mit dabei übrigens auch die österreichische Grünen-Abgeordnete Sarah Wiener
Deutsch-französische Bauerndemo vor dem EU-Parlament in Straßburg. Mit dabei übrigens auch die österreichische Grünen-Abgeordnete Sarah Wiener © APA/AFP/FREDERICK FLORIN

Ein anderer Programmpunkt wurde nicht abgesagt: Heute hat sich Kommissionspäsident Jean-Claude Juncker von den Parlamentarieren verabschiedet, ebenso Ratspräsident Donald Tusk. Juncker muss ja "nachsitzen" wegen der noch nicht kompletten Kommission, aber er wollte seine Bilanz dann doch jetzt schon ziehen.

Er erwähnt Niederlagen und Erfolge, erinnert sich an seinen Besuch bei US-Präsident Donald Trump, als es um das Abwenden eines Handelskrieges ging ("Wenn man als Luxemburger in Washington sitzt und feststellt: I am the man...") und ist zwischendurch gerührt, so wie auch schon bei seiner Abschieds-Pressekonferenz beim Gipfel letzte Woche.

Mahnend seine Schlussworte: Europa sei ein Friedensprojekt, man müsse das der Jugend klarmachen, die kaum noch eine Großeltern-Generation habe, die ihnen vom Krieg erzählen könne. Bevor es standing ovations für Juncker gibt, sagt er noch: "Bekämpft mit aller Kraft den dummen Nationalismus." Und dann: "Es lebe Europa!"

20. Oktober, 21.00 Uhr - Und jetzt?

Sonntagabend und alles ist so wirr wie zuvor. Boris Johnson hat skurrile Post nach Brüssel geschickt, die EU wartet ab. Am Montag setzt sich der ganze Tross ohnedies wieder Richtung Straßburg in Bewegung; dort hätte eigentlich allerhand passieren sollen diese Woche, die Ratifizierung des Brexit-Deals, die Präsentation der neuen EU-Kommission... beides nicht mehr auf der Tagesordnung. Ein Punkt bleibt, der scheidende Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hält noch einmal eine Rede zum Abschied. Ob es die letzte im Parlament ist, ist unklar, er muss ja mindestens einen Monat "nachsitzen", bis die neue Chefin Ursula von der Leyen ihre Kommission beinander hat.

Othmar Karas, VP-Abgeordneter und Vizepräsident des Parlaments, hat ja schon gesagt, dass nach dem Samstag-Desaster von Boris Johnson keine Abstimmung zum Brexit in Straßburg stattfinden wird. Nun, am Montag Nachmittag tagt die Steering Group des Parlaments (Vorsitzender ist Guy Verhofstadt) und dann wissen wir vielleicht mehr. GANZ auszuschließen ist es nicht, dass der Brexit doch noch mit Vertrag am 31. Oktober passiert. Es müsste bloß ein Wunder in Westminster geschehen.

Vielleicht ist aber der 30. November der neue Stichtag - am 1. Dezember dann Brexit und neue Kommission, das würde passen.

19. Oktober, 18.30 Uhr - Wieder verschoben

Es wäre ja zu schön gewesen, hätten die Briten den Brexit-Deal so einfach durchgewunken. Jetzt ist wieder alles ganz anders, der Ausstiegstag 31. Oktober wohl nicht zu halten. Obwohl Premierminister Boris Johnson immer noch glaubt, er könne es schaffen - eineinhalb Wochen sind es noch bis dahin, man wird also bald sehen, was geht und was nicht. Johnson hat heute gesagt, er werde keine Bitte um Verlängerung nach Brüssel schicken; allerdings gibt es ein Gesetz, das ihn an sich dazu zwingt, weil ein "No deal Brexit" verhindert werden soll.

Es heißt also weiterarbeiten am Brexit. Diesen Sonntag um 9.30 Uhr treffen sich hier in Brüssel schon wieder die Botschafter der EU-27, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Aus der EU-Kommission heißt es, man warte auf Vorschläge aus London. Selbst wenn die Briten in Rekordzeit am Montag oder Dienstag das nötige Ratifizierungsgesetz zustande bringen und es zur Abstimmung kommt, muss ja auch das EU-Parlament zustimmen. An sich war das für die Plenarsitzung in der kommenden Woche vorgesehen, aber der ÖVP-EU-Abgeordnete und EU-Parlamentsvizepräsident Othmar Karas erklärte bereits, die Abstimmung werde kommende Woche aufgrund der aktuellen Entwicklungen nicht stattfinden. Dafür gebe es nun "keinen Anlass". Die Brexit-Steuerungsgruppe des Parlaments wird sich am Montag mit dem Stand der Dinge befassen, wie ihr Chef Guy Verhofstadt twitterte. 

Je nachdem, was genau Großbritannien der EU mitteilt, könnte nun doch ein Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs nötig sein.

18. Oktober, 11.45 Uhr - Wie es war

Ratsgebäude Brüssel, zweiter Tag des Gipfels. Ein paar Eindrücke von gestern, einem weiteren "Tag der Entscheidung" (dem wievielten eigentlich?) im endlosen Brexit-Theater:

  • Auffallend großes Medieninteresse - so viele Kollegen sieht man hier selten auf einem Fleck. Ein Zeichen, dass es um etwas geht. Große Networks wie CNN oder BBC berichten quasi durchgehend live, das Nachrichtenportal Politico (unsere Tischnachbarn) ist allein mit gut 15 Leuten hier vertreten.
  • Lächeln auf den Gesichtern - die Staats- und Regierungschefs strahlen durchwegs Freude aus, vielleicht auch eine Art Zweckoptmismus. Was immer zu tun war, ist getan. Der Ball ist wieder dort gelandet, wo er hingehört: auf der anderen Seite des Ärmelkanals.
  • Demonstrative Einigkeit - bei den Einzelinterviews der Staats- und Regierungschefs, den sogenannten "Doorsteps", die hauptsächlich für die audiovisuellen Medien und Agenturen gedacht sind, fällt einem alsbald der Begriff "Message control" ein; fast jeder spricht die gleichen Sätze und dokumentiert die gleiche Haltung. Die Einheit der EU-27 ist ein entscheidender Punkt, den sie bis heute sehr gut meistern.
  • Demonstrative Nähe - es ist alte Tradition, dass die Obersten der Oberen auf ihrem Weg in den Pressesaal nicht hinten herum, sondern mitten durch die Arbeitsplätze der Journalisten gehen. Im Anschluss an den offiziellen Teil bleiben sie dann, umringt von streng schauenden Sicherheitsleuten, dann oft stehen; sofort bilden sich Trauben um sie. Auf diese Weise kann man Fragen direkt an Leute wie Jean-Claude Juncker, Donald Tusk oder Michel Barnier richten (soferne man nicht in der 45. Reihe steht). Ursula von der Leyen, die erstmals Gast beim Gipfel ist, hat sich aber noch rar gemacht.
  • Clownesker Premier - Boris Johnson beim EU-Gipfel, das ist eine Attraktion. Er macht einen stets gebückten Eindruck, hat tatsächlich clowneske Züge, kann aber auch charmant sein. Ego und Charisma sind groß. Wie twitterte er gestern: "A great deal", ein großartiger Deal. Worte, wie man sie auch von Donald Trump kennt.

Heute geht es weiter, spät in der Nacht (eigentlich am frühen Morgen, es war schon 2.36 Uhr) kamen nach dem Dinner noch Schlussfolgerungen zur Türkei, den Gasbohrungen vor Zypern und zum Abschuss der MH17. Lauter wichtige Themen, die wegen des Brexit nur am Rande wahrgenommen werden.

Beim Doorstep: Bundeskanzlerin Brigitte Bierlen, Außenminister Alexander Schallenberg
Beim Doorstep: Bundeskanzlerin Brigitte Bierlen, Außenminister Alexander Schallenberg © Andreas Lieb
Brexit-Pressekonferenz: Michel Barnier, Leo Varadkar, Donald Tusk, Jean-Claude Juncker
Brexit-Pressekonferenz: Michel Barnier, Leo Varadkar, Donald Tusk, Jean-Claude Juncker © Andreas Lieb
Mann der Stunde: Michel Barnier gibt Interviews. Viele Interwievs
Mann der Stunde: Michel Barnier gibt Interviews. Viele Interwievs © Andreas Lieb

16. Oktober, 22.00 Uhr - Offene Punkte

Jetzt wissen wir mehr. EU-Chefverhandler Michel Barnier hat die Botschafter der EU-27 auf den letzten Stand gebracht. Vieles ist geklärt, aber eben nicht alles. Aus Diplomatenkreisen ist zu hören, dass es eine Einigung über die Zollregelung für Nordirland, die Mitspracherechte der nordirischen Volksvertretung und über britische Zusagen, EU-Umwelt- und Sozialstandards nicht zu unterbieten, gäbe. Offen ist noch die Regelung bei Umsatz- und Mehrwertsteuer. Ob sich das bis zum Gipfel ausgeht, ist fraglich.

16. Oktober, 20.30 Uhr - "Deal is done"

In diesen Minuten ist EU-Chefverhandler Michel Barnier bei den Botschaftern der EU-27, um sie über die Ergebnisse des heutigen Tages und der letzten Nacht zu informieren. Ein Termin, der mehrfach verschoben wurde. Erst hätte das Treffen um 14 Uhr sein sollen, dann um 17 Uhr, dann um 19 Uhr. "Deal is done", die Vereinbarung steht, kommentieren britische Medien.

Aber stimmt das? Nach derzeitiger Nachrichtenlage: nein. Es ist zwar alles schon sehr weit gediehen, aber der Durchbruch ist offensichtlich noch nicht geschafft. Wieder einmal heißt es: Abwarten und Tee trinken...

16. Oktober, 11.30 Uhr - Tag der Entscheidung?

Es brummt in Brüssel, am Tag vor dem EU-Gipfel ist Bewegung in die Brexit-Verhandlungen gekommen. Warum erst jetzt - diese Frage bleibt unbeantwortet. Bis halbvier in der Früh wurden die Vorschläge debattiert, heute Vormittag ging es dann weiter. Vom ersehnten Durchbruch ist jetzt, kurz vor Mittag, noch nichts zu hören. Um 14 Uhr werden die Botschafter der Mitgliedsländer über den aktuellen Stand der Dinge informiert.

Ein Vertragsentwurf soll im Lauf des heutigen Tages noch entstehen, über den die Staats- und Regierungschefs morgen und übermorgen dann diskutieren können. Wie schon bekannt, geht es um einen Vorschlag, den die EU schon vor langem Theresa May gemacht hat: Nordirland bekommt einen Sonderstatus; es würde weiter eine Zollunion mit der EU angehören. Die Folge wäre aber, dass der Warenverkehr zwischen der britischen Insel und Irland kontrolliert werden müsste, was in Großbritannien selbst für Empörung sorgt.

Boris Johnson, der über keine Mehrheit mehr im Unterhaus verfügt, ist auf jede Stimme angewiesen - mehr denn je auf jene der zehn DUP-Abgeordneten aus Nordirland, die auch unter Theresa May schon Zünglein an der Waage waren. Britische Medien berichten, dass die Zustimmung der DUP unter Umständen teuer erkauft werden muss - London soll tief in die Tasche greifen. Wie es heißt, gehe es dabei "nicht um Millionen, sondern um Milliarden". Der Brexit, ein teures Abenteuer.

11. Oktober, 19 Uhr - Lokalaugenschein

Drei Wochen noch, dann sind die Briten draußen aus der EU. Oder doch nicht? Der Herbst-Gipfel in Brüssel am 17. und 18. Oktober bringt vielleicht die Auflösung.

Wir haben neulich einen Lokalaugenschein gemacht, mit dem Auto nach Calais, mit dem Euroshuttle-Autozug unter dem Ärmelkanal ins britische Folkstone (und dann einen Abstecher nach Canterbury, amazing!). Im Bestätigungsmail für die Überfahrt ein Hinweis: in Großbritannien ist die M20, die Zubringerautobahn zur Küste, eine Testzone. Getestet wird, wechselweise, die Auswirkung allfälliger Staus und wie man das managen kann.

Und los gehts: Bei der Einfahrt in Calais ist alles unkompliziert wie immer
Und los gehts: Bei der Einfahrt in Calais ist alles unkompliziert wie immer © Andreas Lieb

Schaut im Prinzip aus wie jede andere Straßenbaustelle auch, viele Plastikdinger auf der Fahrbahn, die den Weg weisen, Tempolimits und Tafeln aller Art.

Die "Unterquerung" des Ärmelkanals im Autozug dauert gerade einmal 25 Minuten
Die "Unterquerung" des Ärmelkanals im Autozug dauert gerade einmal 25 Minuten © Andreas Lieb

In Canterbury, Studentenstadt mit zahlreichen jungen Leuten, die zu einem erklecklichen Teil auch aus EU-Ländern kommen, ist der Brexit so kurz vor dem (angeblichen) Tag X immer noch kein Thema. Man erntet höchstens Schulterzucken - was auch immer denen in London und in Brüssel so einfällt, man kann es eh nicht ändern. Und man wird schon sehen. Von Hamsterkäufen in den Supermärkten (etwa bei Aldi oder Lidl) ist nichts zu sehen. Studenten lassen sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen, bei der Bevölkerung dürfte das ähnlich sein.

Grenzübertritt und Abwicklung der Passage sind völlig unkompliziert, alles ist elektronisch geregelt, bloß die Passkontrolle erfolgt durch Menschen. Schon seit längerem müssen alle Fahrzeuge durch riesige Scanner fahren, ähnlich denen am Flughafen, nur eben für ganze Autos gemacht. Beim letzten Besuch mussten wir noch den Kofferraum öffnen, diesmal war nicht einmal das nötig. Der Andrang der Reisenden ist auch eher gering.

Üben für den Ernstfall: Hier am nahen Fährhafen in Calais
Üben für den Ernstfall: Hier am nahen Fährhafen in Calais © APA/AFP/DENIS CHARLET

Betrachtet man die jeweiligen Örtlichkeiten auf britischer und französischer Seite, kommt man zum (gewiss laienhaften) Schluss: in Calais wird man sich mit Lkw-Kolonnen vermutlich leichter tun. In Folkstone ist zwar die Autobahn da, aber der Ort selbst ist wie ein Nadelöhr.

Kurz nach unserem Besuch berichten die Agenturen von neuen Testläufen auf beiden Seiten, man versucht, allfällige Kontrollen zu optimieren und gleichzeitig Missbrauch zu verhindern. Falls es zum "No Deal Brexit" kommt, wird das eine Herkules-Aufgabe. Schwer vorstellbar, dass das alles klappt. Aber noch ist das letzte Wort nicht gesprochen - vielleicht beim Gipfel.

Derzeit läuft alles automatisiert. Schwer vorzustellen, wie es wäre, müsste jeder Lkw einzeln kontrolliert werden
Derzeit läuft alles automatisiert. Schwer vorzustellen, wie es wäre, müsste jeder Lkw einzeln kontrolliert werden © APA/AFP/POOL/DENIS CHARLET

10. Oktober, 23.30 Uhr - Das Spiel

Österreich gegen Israel: Das Match in Wien lockte nicht nur Tausende ins Happel-Stadion, es trug auch im fernen Brüssel zur Völkerverständigung bei. Die Ständige Vertretung Österreichs hatte die Israelische Vertretung in Brüssel zum Fußballschauen eingeladen.

Beste Stimmung beim Fußballabend in der Ständigen Vertretung
Beste Stimmung beim Fußballabend in der Ständigen Vertretung © Andreas Lieb

Bei bester Stimmung (so mancher kam im Sport-Outfit) konnte man sich am Spiel und an kulinarischen Genüssen aus beiden Ländern erfreuen, dazu gabs auch ein kleines Wuzzler-Turnier. Resumee des Abends, der erst Stunden nach dem Abpfiff endete: Israel hat besser gespielt, Österreich die Tore gemacht.

So gehts: Völkerverbindender Sport
So gehts: Völkerverbindender Sport © Andreas Lieb

10. Oktober, 14.30 Uhr - Abgelehnt

Binnenmarkt, Industriepolitik, Digitales und Verteidigung - das wäre das riesige Dossier für die Französin Sylvie Goulard gewesen, wenn sie Kommissarin geworden wäre. Wird sie nun aber nicht, denn auch bei der zweiten Anhörung war sie in den Augen des EU-Parlaments schlecht vorbereitet und konnte die Bedenken bezüglich ihrer Integrität nicht ausräumen. 29 Abgeordnete stimmten für sie, 82 gegen sie - ein klares Votum.

Damit ist auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angeschwärzt; er muss nun in Windeseile einen neuen Kandidaten auftreiben. Unklar ist, ob nun der gesamte Plan durcheinanderkommt. An sich sollte die neue Kommission am 23. Oktober vom Parlament bestätigt werden und am 1. November die Arbeit aufnehmen. Das wird ziemlich knapp.

10. Oktober, 12.45 Uhr - Frankreichs Problem

Das hatte sich Sylvie Goulard, designierte Kommissarin für den Binnenmarkt und die Verteidigung, wohl nicht so vorgestellt - und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auch nicht. Goulard musste heute Vormittag zum zweiten Mal zu einem Hearing, nachdem sie beim ersten Mal nicht überzeugt hatte und auch die schriftlichen Antworten auf eine Reihe von Fragen unzureichend waren.

Zwei Probleme gibt es: zum einen (harmloser) geht es um das Dossier an sich, Kritiker aus dem EU-Parlament meinen, die Verknüpfung der Verteidigungsfrage mit der Wirtschaft sei zu eng. Zum anderen (weit brisanter) geht es um die Integrität der französischen Liberalen. Sie hat als EU-Abgeordnete rund 50.000 Euro für eine Beratertätigkeit für eine Denkfabrik des deutsch-amerikanischen Investors Nicolas Berggruen bezogen und war 2017 als französische Verteidigungsministerin zurückgetreten, weil Ermittlungen gegen sie wegen einer Scheinbeschäftigungsaffäre begonnen hatten.

Die Frage, über der sie bis heute stolpert, lautet so: "Wieso glauben Sie, eine Kommissarin sein zu können, aber nicht eine Verteidigungsministerin?" Goulard, die bei ihrer ersten Anhörung noch dazu eher überheblich wirkte, konnte das auch heute nicht schlüssig erklären. Besonders gut lief es also wieder nicht; ob sie endgültig durchgefallen ist und Macron jemand neuen auftreiben muss, sollte sich heute im Lauf des Tages klären.

Aus Kreisen der EVP heißt es übrigens, die ablehnende Haltung gegen Macrons Kandidatin sei keineswegs die Rache dafür, dass Macron den EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber als Juncker-Nachfolger verhindert habe.

8. Oktober, 19.15 Uhr - Das Finale

Heute gab es keine Überraschungen mehr. Die Vizepräsidenten in spe stießen bei den Parlamentarierern auf offene Türen - Valdis Dombrovskis (Lettland, Wirtschaft und Soziales), Margrethe Vestager (Dänemark, Digitales und Wettbewerb) sowie Frans Timmermans (Niederlande, Klimaschutz) sind "gesetzt".

Aufatmen kann inzwischen der Pole Janusz Wojciechowski (Agrar), er musste bei einem zweiten Hearing "nachsitzen" und hat sein Ticket nun auch. Ebenso die designierte EU-Innenkommissarin, die schwedische Sozialdemokratin Ylva Johansson - sie war im Hearing überraschenderweise so manche Frage schuldig geblieben und musste Antworten schriftlich nachreichen, jetzt hats gepasst.

Was ist also noch offen? Die Französin Sylvie Goulard muss auch noch Antworten nachliefern, ob ein weiteres Hearing nötig ist, ist noch unklar. Ungarn musste mit EU-Botschafter Oliver Varhelyi einen neuen Kandidaten nennen, nachdem der erste, Laszlo Trocsanyi, durchgefallen war, ebenso erging es Rumänien mit Rovana Plumb; dem Vernehmen nach will die künftige Kommissionschefin Ursula von der Leyen noch bis Donnerstag mit einer Entscheidung über Ersatz zuwarten - auf den Ausgang der Misstrauensabstimmung gegen die Minderheitsregierung unter Ministerpräsidentin Vasilica Viorica Dancila.

Eine kurze Analyse zum Geschehen finden Sie hier.

7. Oktober, 22.00 Uhr - Vor dem Finale

Bei den heutigen Hearings stand ein Spanier im Mittelpunkt: Josep Borrell (72) soll die Nachfolge von Federica Mogherini als Hoher Repräsentant und Außenbeauftragter der EU antreten. Ein ziemlich anstrengender Job - Borell wird ganz sicher wesentlich mehr Hotelzimmer sehen als sein eigenes Wohnzimmer.

Zum Umgang mit Russland kündigte Borrell an, dass er nicht für eine Lockerung der Wirtschaftssanktionen plädieren werde, solange Moskau nicht seine Ukrainepolitik ändere. Aus seiner Sicht sollte bei Entscheidungen über Sanktionsverlängerungen sogar das derzeit gültige Einstimmigkeitsprinzip aufgegeben werden. Das Gleiche könnte für Entscheidungen zur Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen und zu Friedensmissionen gelten, erklärte der Sozialist, der derzeit noch spanischer Außenminister ist. 

Auf eine gegen ihn verhängte Geldstrafe wegen eines Insider-Geschäfts angesprochen erklärte Borrell, dass er immer bestritten habe, Insider-Informationen beim Handel mit Aktien genutzt zu haben. Ihm könne lediglich vorgeworfen werden, Aktien zu einem unangebrachten Zeitpunkt verkauft zu haben. Unter Verwendung von Insider-Informationen hätte er wesentlich höhere Verluste vermeiden können. Borrell hatte für seine Ex-Frau Aktien an einem Energieunternehmen verkaufen lassen, das dann kurz darauf bekannt geben musste, finanzielle Schwierigkeiten zu haben.

Die Nominierung des Spaniers erfolgte direkt durch die Staats- und Regierungschefs, es sieht so aus, als hätte er das Hearing heil überstanden. Gratulationen gab es umgehend aus Österreich, natürlich aus der S&D-Fraktion: SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder, der Mitglied im außenpolitischen Ausschuss des EU-Parlaments ist, sagte, Borrell habe klargemacht, dass er der richtige Kandidat sei.

Am Dienstag, zum großen Finale, sind die drei designierten Vizepräsidenten an der Reihe: Valdis Dombrovskis (Finanzdienstleistungen), Margrethe Vestager (Digitalisierung und Wettbewerb) und Frans Timmermans (Klimapolitik sowie Koordinierung von Gesundheit, Umwelt und Verkehr). Es wird keine Überraschungen geben.

3. Oktober, 21.00 Uhr - Es geht ums Geld

Drei Stunden lang stand Johannes Hahn heute Rede und Antwort. Der Haushaltsausschuss und der Haushaltskontrollausschuss stellten ihm Frage um Frage, um seine Eignung als künftiger Budgetkommissar zu prüfen.

Das Ergebnis ist bekannt: Hahn schaffte die Prüfung mit Bravour, es war immerhin schon sein drittes derartiges Hearing. Er ließ sich auch nicht aus dem Konzept bringen, als er auf eine Frage definitiv keine Antwort wusste (ausgerechnet ein AfD-Abgeordneter hatte ihn über die seit Jahren verweigerte Budgetentlastung für den Rat gefragt, Hahn räumte ein, davon noch nichts gehört zu haben).

Brexit war interessanterweise gar kein Thema (das habe ihn selbst gewundert, räumte der Kommissar nach dem Hearing ein), dafür aber die Rechtsstaatlichkeit als Teil des kommenden Finanzrahmens (Ländern, die damit offensichtlich Probleme haben, soll der Geldhahn zugedreht werden - Problem ist unter anderem, dass das nicht ausgerechnet die Bevölkerung spüren soll, die ja nichts dafür kann - und wer überhaupt über Rechtsverletzungen befindet). Und natürlich die künftig nötigen Beitragszahlungen, die nach dem Brexit und wegen neuer Anforderungen wohl ein wenig höher ausfallen sollen als bisher - Österreich gehört zu jenen Nettozahlern, die sich weigern und Hahn hat damit eine ziemlich brisante Aufgabe.

Jedenfalls hat alles recht gut geklappt, noch in den Abendstunden wurde Johannes Hahn von den Ausschüssen bestätigt. Übrigens durch alle Fraktionen - mit einer Ausnahme. Die rechte "Identität und Demokratie" lehnte ihn ab; das ist jene Fraktion, der auch die FPÖ angehört.

Und sonst: Am Vormittag war Carola Rackete zu Gast im EU-Parlament, auf Einladung der Grünen und der Linken (GUE/NGL). Die Kapitänen der "Sea Watch 3", die unter anderem mit Matteo Salvini angedreht hatte, als sie die Flüchtlinge auf ihrem Boot in einen italienischen Hafen brachte, stieß mit ihrem Bericht vor den Parlamentarieren auf großes Interesse und erntete Beifall. Auch die anschließende Pressekonferenz war bestens besucht. Was sie alles zu erzählen wusste, lesen Sie hier.

Es gab aber auch Gegenwind: Einen Kontrapunkt setzten Abgeordnete von rechtspopulistischen Parteien wie der Slowake Milan Uhrik, der Rackete selbst die Ausreise nach Afrika nahelegte. "Ich kann mich mit (dem früheren italienischen Innenminister Matteo) Salvini nur identifizieren, der sagt, Sie sollten im Gefängnis sitzen", sagte der Abgeordnete der Partei "Volkspartei - Unsere Slowakei". Der deutsche Rechtspopulist Nicolas Fest legte noch nach, indem er Rackete fragte, ob sie es als Teil ihrer Aufgabe sehe, das Leben der Europäer "durch das Einschleusen von Folterern und Terroristen zu gefährden".

ÖVP-Delegationsleiterin Karoline Edtstadler übte in der Debatte wenig verhüllte Kritik an den Aktivitäten der Seenotretter. Man müsse das "Schleppergeschäft beenden", betonte sie. "Ich frage mich einfach, wie wir dieses Geschäft beenden wollen, wenn die Rettung immer noch das Ticket nach Europa ist", warf sie die Frage nach dem "Pull-Faktor" durch Rettungsaktionen auf.

2. Oktober, 21.00 Uhr - Gegen Frankreich

Das war eigentlich zu erwarten: die designierte EU-Binnenmarkt-Kommissarin Sylvie Goulard aus Frankreich hat das Hearing nicht bestanden. Die Französin habe "inhaltlich durchaus überzeugt. Doch sie muss die Bedenken wegen laufender Ermittlungen gegen sie glaubwürdig entkräften, um in der Kommission angelobt werden zu können", erklärte die ÖVP-EU-Abgeordnete Barbara Thaler. Die Europäische Volkspartei (EVP) lehnte die Kandidatin vorerst ab, damit hat sie nicht genug Stimmen. Möglicherweise gibt es eine weitere Anhörung.

Gegen Goulard gibt es eine Untersuchung der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf. Es geht um Vorwürfe der Scheinbeschäftigung eines Assistenten auf Kosten des Europaparlaments, sie hat inzwischen 45.000 Euro zurückgezahlt und beruft sich auf ein "Verwaltungsproblem". EU-Abgeordnete verlangen auch Klarheit darüber, wofür Goulard zwischen 2013 und 2015 von dem US-Institut Berggruen als Beraterin mehr als 10.000 Euro monatlich erhalten hat. Nebenverdienste sind für Abgeordnete grundsätzlich möglich. Ihre Aufgabe beim Berggruen-Institut sei es gewesen, "zu den Überlegungen im Rat für die Zukunft Europas, der Akademiker und ehemalige Verantwortungsträger aus der europäischen Politik zusammenbringt", beizutragen, sagte Goulard.

Man hatte erwartet, dass der französischen Kandidatin ein starker Wind aus dem Parlament entgegenbläst. Manche meinen auch, das sei nun die Retourkutsche für Emmanuel Macron, der ja das vom Parlament gewünschte Spitzenkandidaten-Modell bei der EU-Wahl platzen ließ und damit auch die Pläne von EVP-Fraktionschef Manfred Weber zerstörte, Kommissionschef zu werden.

1. Oktober, 19.30 Uhr - Es geht weiter

Zweiter Tag der Hearings für die künftigen Kommissare. Nicht alle kommen so einfach durch, die schwedische Anwärterin Ylva Johansson (Inneres) betont zwar die dringende Reform der Dublin-Regeln, blieb aber viele Antworten auf konkrete Fragen schuldig. Die vergangene Woche von Deutschland, Frankreich, Italien und Malta getroffene Grundsatzeinigung in Sachen Seenotrettung nannte Johansson einen Schritt nach vorne. Davon müssten nun weitere Länder überzeugt werden. "Leben auf dem Meer zu retten, ist unsere moralische Pflicht", sagte sie. Zugleich müssten Migranten jedoch davon abgehalten werden, die Schiffe von Schmugglern überhaupt zu betreten. 

Auch der als EU-Landwirtschaftskommissar vorgesehene polnische Kandidat Janusz Wojciechowski stieß auf Kritik. Zwar bekannte er sich zu einer "grünen" Landwirtschaft, ließ aber ebenfalls vieles offen. Österreichische EU-Abgeordnete kritisierten die Vorstellung Wojciechowskis. Simone Schmiedtbauer (ÖVP) beklagte "eine schwache Vorstellung" und forderte eine zweite Fragerunde. "Er ist in allen Antworten auf unsere Fragen viel zu vage geblieben. Er hat keine Vision für eine nachhaltige Landwirtschaft vorgelegt, die qualitativ hochwertige Lebensmittel erzeugt." Ähnlich äußerte sich auch die Grün-Abgeordnete Sarah Wiener. Wojciechowski habe "viel gesagt, aber ohne Substanz".

Bis 21.30 Uhr läuft noch das Hearing von Stella Kyriakides (Gesundheit)

Was sonst noch lief: Rumänien hat nach der Ablehnung der ersten Kandidatin Rovana Plumb dem Wunsch Ursula von der Leyens entsprochen und gleich zwei Ersatzkandidaten benannt, den EU-Abgeordneten Dan Nica und Vize-Außenministerin Melania-Gabriela Ciot.

Und: Parallel zu den Hearings beschloss der Haushaltsausschuss seine Position für den Vorschlag zum EU-Haushalt 2020. Kernpunkte: Mehr als zwei Milliarden Euro sollen nach dem Willen der Abgeordneten in Klimaschutz investiert werden, mit rund 500 Millionen Euro soll Jugendarbeitslosigkeit bekämpft und Jugendaustausch über das Programm Erasmus gefördert werden. Die Grünen/EFA-Fraktion konnte sich erfolgreich mit ihrer Forderung nach einer eigenen Haushaltslinie für eine EU-Seenotrettungsmission durchsetzen. Insgesamt soll das Budget für das Jahr 2020 um drei Milliarden von 168 auf 171 Milliarden Euro erhöht werden.

Für die Grünen ist das der "ambitionierteste Haushaltsbeschluss in der Geschichte des Europäischen Parlaments". Rasmus Andresen, Schattenberichterstatter der Grünen/EFA-Fraktion: „Das ist der Durchbruch für ein einen Klima-Haushalt, der in Klimaschutz investiert schützt, Leben rettet und Jugend fördert. Eine eigene Haushaltslinie macht erstmals den Weg frei für eine Europäische Seenotrettungsmission. Die historische Erhöhung des EU-Haushalts ist eine Finanzspritze für den Klimaschutz und ist ein richtiges Mittel gegen Jugendarbeitslosigkeit. Jetzt müssen die Staats- und Regierungschefs Farbe bekennen und in den Verhandlungen den Weg für Zukunftsinvestitionen freimachen.“ 

Genau: Der Plan ist ambitioniert, beschlossene Sache aber noch lange nicht.