Russland hat Medienberichten zufolge seiner Sorge vor einem möglichen Einsatz einer "schmutzigen Bombe", eines mit radioaktivem Material versetzten Sprengsatzes, durch die Ukraine erneut Ausdruck verliehen. Der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow habe das Thema mit seinem britischen Kollegen Tony Radakin besprochen, melden russische Nachrichtenagenturen am Montag, ohne Details zu nennen.

Eine britische Regierungssprecherin bestätigte das Gespräch. Die westlichen Atommächte Frankreich, Großbritannien und die USA hatten Russlands Behauptung zurückgewiesen, die Ukraine wolle auf ihrem eigenen Gebiet eine nuklear verseuchte Bombe zünden. Die Behauptung über eine "schmutzige Bombe" sei eindeutig falsch, hieß es in einem gemeinsamen Statement der Außenminister der Länder. "Die Welt würde jeden Versuch durchschauen, diese Behauptung als Vorwand für Eskalation zu nutzen." NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg rief Russland dazu auf, seine "falsche Behauptung" zu einer nuklear verseuchten Bombe nicht als Vorwand für eine weitere Eskalation des Kriegs gegen die Ukraine zu nutzen.

IAEA will zwei Anlagen inspizieren

Die Internationale Atomenergie-Organisation bereitet sich darauf vor, in den kommenden Tagen Inspektoren zu zwei ukrainischen Standorten zu entsenden. Das teilte die IAEO in Wien am Montag auf Anfrage Kiews mit. "Die Internationale Atomenergie-Organisation ist sich der Erklärungen bewusst, die die Russische Föderation am Sonntag über angebliche Aktivitäten an zwei Nuklearstandorten in der Ukraine abgegeben hat", erklärte die IAEO in einer Erklärung.

Die Organisation fügte hinzu, dass beide Standorte bereits Gegenstand von Inspektionen der IAEO waren und einer vor einem Monat inspiziert wurde. "Die IAEO bereitet sich darauf vor, die Standorte in den kommenden Tagen zu besuchen", hieß es weiter.

"Schauspiel, das wir schon gesehen haben"

"Wir sehen nach wie vor keine Vorbereitungen der russischen Seite für den Einsatz von Atomwaffen und zu diesem Zeitpunkt auch nichts in Bezug auf den möglichen Einsatz einer 'schmutzigen Bombe'", sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen US-Sicherheitsrates, John Kirby, Montagabend.

Es gebe derzeit aber keine Hinweise, dass dies hier der Fall ist. "Aber es ist ein Schauspiel, das wir schon gesehen haben."

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte zuvor nach Angaben seines Ministeriums gegenüber den europäischen Atommächten Großbritannien und Frankreich behauptet, Kiew plane zur Diskreditierung Moskaus die Zündung einer radioaktiven Bombe. Auch der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar bekam demnach einen Anruf Schoigus. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace sagte nach seinem Telefonat mit Schoigu, er habe die Behauptungen zurückgewiesen und gemahnt, solche Vorwürfe sollten nicht als Vorwand für eine weitere Eskalation genutzt werden. Außerdem habe er den Wunsch nach einer Deeskalation betont.

Am Montag sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Nachrichtenagentur Interfax zufolge, dass Kiew Moskau mit der Zündung einer "schmutzigen Bombe" diskreditieren wolle: "Die Gefahr liegt auf der Hand." Darauf angesprochen, dass die USA, Großbritannien und Frankreich die Vorwürfe in Zweifel ziehen, erklärte er: "Ihr Misstrauen gegenüber der Information, die ihnen von russischer Seite gegeben wurde, bedeutet nicht, dass die Gefahr des Einsatzes einer "schmutzigen Bombe" aufhört zu bestehen."

Außenminister Sergej Lawrow will den Fall unterdessen vor die Vereinten Nationen bringen. Der russische Chefdiplomat erklärte, es gebe "konkrete Informationen zu den Instituten in der Ukraine, die über entsprechende Technologien verfügen, solch eine "schmutzige Bombe" zu bauen". Die westliche Reaktion sei angesichts der bedingungslosen Unterstützung für Kiew erwartbar gewesen, erklärte Lawrow. In der UNO hoffe er allerdings auf eine "professionelle Erörterung" des Themas.

Konventionelle Sprengsätze mit radioaktivem Material

Als "schmutzige Bombe" werden konventionelle Sprengsätze bezeichnet, die auch radioaktives Material verstreuen. Bei einer "dirty bomb" handle es sich "um keine Massenvernichtungswaffe im klassischen Sinne, sondern viel eher um eine Massenverunsicherungswaffe, bei der der psychologische Effekt jedenfalls den radiologischen übersteigt", meinte dazu Oberst Berthold Sandtner, Referatsleiter Führungslehre und Forscher am Institut für höhere militärische Führung an der Landesverteidigungsakademie des Bundesministeriums für Landesverteidigung in Wien.