Mit Kosten von 700 Millionen Dollar war es eines der teuersten Gerichtsverfahren der Weltgeschichte. Sechs Jahre dauerte der Prozess um das Bombenattentat 2005 auf den langjährigen Premierminister Rafik Hariri vor dem „Sondertribunal für den Libanon“ (SLT) in Den Haag. 297 Zeugen wurden vernommen, darunter mehrere libanesische Spitzenpolitiker. 2641 Seiten lang ist die Urteilsbegründung des Gerichts, welches am Dienstag drei der vier Angeklagten aus Mangel an Beweisen freisprach und einen „des Mordes an 22 Menschen, des versuchten Mordes an 226 Menschen und einer Terrortat“ für schuldig befand. Das Strafmaß wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet. „Die Mordtat war sorgfältig geplant und ausgeführt“, sagte der Vorsitzende Richter David Re. Trotzdem sah das elfköpfige Tribunal keine ausreichenden Beweise, um drei der vier Angeklagten zweifelsfrei als Mittäter zu überführen oder hochrangige Hintermänner dieses politischen Verbrechens in den Reihen von Hisbollah oder des Assad-Regimes zu identifizieren.

Von den fünf angeklagten Hisbollah-Beschuldigten, gegen die alle in Abwesenheit verhandelt wurde, leben noch vier. Mustafa Badreddine organisierte nach Überzeugung des Gerichts die Überwachung von Hariri und die Vorbereitung des Bombenanschlags. Der Hisbollah-Kommandeur wurde jedoch im Mai 2016 bei Kämpfen in Syrien getötet und das Strafverfahren gegen ihn eingestellt. Die Mordoperation vor Ort leitete der 56-jährige Salim Ayyash. Er sei eine Kernfigur der Verschwörung gewesen, erklärte das Gericht. Seine Strafe jedoch wird er wohl niemals antreten müssen. Die Hisbollah versteckt ihn, sein Aufenthaltsort ist bis heute unbekannt.

Die Spur führt über die Handys

Zwei der Angeklagten, Hussein Anaissi und Assad Sabra, spielten nach Überzeugung des Tribunals dem Sender Al Jazeera ein vor dem Anschlag produziertes Bekennervideo mit einem falschen Attentäter zu, um von ihrer Terrorzelle abzulenken. Den Jihadisten auf ihrem Film, den 22-jährigen Ahmed Abu Adas, sollen sie anschließend beiseitegeschafft haben. Die Identität des tatsächlichen Selbstmordattentäters in dem Kleinlaster dagegen konnte nie geklärt werden. Trotzdem bewertete das Gericht die Beweise gegen Hussein Anaissi, Assad Sabra sowie den 54-jährigen Hassan Habib Merhi als nicht ausreichend, um sie als Mittäter bei dem Ermordung Hariris zu überführen.

In seiner Urteilsbegründung stützte sich das Gericht vor allem auf Handydaten und Nutzerprofile. Aus Millionen von Verbindungen konnten die Ermittler vier Ringe von verdächtigen Prepaid-Mobiltelefonen herausfiltern, die ausschließlich untereinander kommunizierten. Im Zentrum stand ein Netz von acht „roten“ Handys. Sie gehörten dem direkten Killerteam, zu dem auch der verurteilte Salim Ayyash gehörte, welches Hariri in den Tagen vor dem Attentat auf Schritt und Tritt gefolgt war. Alle Geräte waren sechs Wochen zuvor in der nordlibanesischen Stadt Tripoli gekauft und aktiviert worden. Nach dem Attentat wurden sie nie wieder benutzt. Das „rote Netz“ stand in Verbindung zu einem „grünen“, „gelben“ und „blauen“ Handy-Ring, deren Besitzer wahrscheinlich als Hintermänner das Verbrechen steuerten. Bei allen Angeklagten versuchte das Gericht, über die Auswertung von Login-Daten von Mobilfunkzellen deren persönliche Handys durch parallele Login-Muster einzelnen Verbrechenshandys zuzuordnen, was nach Meinung des Gerichts bei den beiden Haupttätern, dem gestorbenen Mustafa Badreddine und Salim Ayyash, zweifelsfrei gelang, nicht jedoch bei den drei Mitangeklagten.

Tiefe Erschütterung 2005 und heute

Viele Beiruter waren damals am 14. Februar 2005 gerade beim Mittagessen, als an der Corniche unweit vom Hafen die drei Tonnen Sprengstoff auf der Ladefläche des weißen Mitsubishi-Canter explodierten. Der Selbstmordanschlag, der eine ganze Häuserreihe in Schutt und Asche legte, galt dem Konvoi von Rafik Hariri. Der 61-jährige Ex-Premier, der selbst am Steuer seines gepanzerten Mercedes saß, war sofort tot. Mit ihm starben 21 Menschen. 226 wurden verletzt, einige sehr schwer.

Nach dem Attentat 2005
Nach dem Attentat 2005 © (c) AFP (JOSEPH BARRAK)

Den libanesischen Behörden warf das Gericht vor, den Anschlagsort nicht professionell abgesucht und gesichert sowie noch am selben Tag wichtige Spuren beseitigt zu haben. Eines der Opfer wurde erst 17 Tage später in den Trümmern gefunden, weil seine Familie aus eigener Tasche ein Suchteam mit Spürhunden anheuerte. Ein anderes Opfer wurde einen Tag nach der Explosion gefunden. Es hatte offenbar noch 12 Stunden gelebt und hätte gerettet werden können, wenn die Einsatzkräfte kompetent gearbeitet hätten.

Wie kürzlich die Mammut-Explosion im Hafen von Beirut, löste auch der Hariri-Mord 2005 im Libanon ein politisches Erdbeben aus. Millionen Menschen gingen damals auf die Straße. Syrien als Schutzmacht der Hisbollah musste nach 29 Jahren Besatzung seine Truppen auf internationalen Druck aus dem Nachbarstaat abziehen. Die Erinnerung daran ist mittlerweile verblasst. Stattdessen herrscht im gesamten Land fassungsloses Entsetzen über die jüngste Tragödie vor zwei Wochen, die die Hälfte der libanesischen Hauptstadt verwüstete.