So turbulent dürfte sich Kyriakos Mitsotakis sein erstes Amtsjahr kaum vorgestellt haben, als er am 7. Juli 2019 zum neuen Ministerpräsidenten Griechenlands gewählt wurde. Immerhin wusste Mitsotakis schon damals: „Wir bekommen keine Schonzeit“. Er sollte recht behalten mit dieser Prognose.

Erst die Migrationskrise an der Grenze zur Türkei, wo Zehntausende wochenlang die griechischen Schlagbäume belagerten, dann die Corona-Epidemie. Mit beiden Herausforderungen ist der 52-jährige Premier bisher gut fertig geworden. An der Grenze herrscht wieder Ruhe. Dank verstärkter Patrouillen von Polizei und Küstenwache ging die Zahl der Migranten, die im ersten Halbjahr irregulär aus der Türkei nach Griechenland kamen, gegenüber 2019 um 51 Prozent zurück. Und weil Mitsotakis im Kampf gegen das Coronavirus von Anfang an dem Rat der Virologen folgte und frühzeitig strikte Kontaktbeschränkungen verordnete, hat Hellas die Epidemie erfolgreicher gebremst als die meisten anderen europäischen Länder – ein überraschender Erfolg, galt doch Griechenland in der Schuldenkrise als „failed state“, als gescheiterter Staat.

Positive Umfragen

Zwei Meinungsumfragen zum ersten Jahrestag des Wahlsiegs der Konservativen zeigen, wie unangefochten der Premier inzwischen regiert. Fast 68 Prozent der Befragten äußern eine positive Meinung zu Mitsotakis. Sechs von zehn halten Mitsotakis für den geeigneteren Regierungschef. Nur jeder Vierte traut diesen Job dem Linkspolitiker Alexis Tsipras zu, den Mitsotakis vor einem Jahr als Ministerpräsident ablöste. Würde nächsten Sonntag gewählt, könnte die ND ihren Vorsprung gegenüber dem Tsipras-Linksbündnis Syriza von acht Prozentpunkten vor einem Jahr auf 20 Punkte ausbauen.

Mitsotakis selbst sagte am Montag anlässlich des ersten Jahrestages seiner Wahl, Griechenland biete heute „ein ganz anderes, aufgewertetes Bild in der Welt“. Der Name des Landes sei „nicht länger ein Synonym für die Krise, sondern ein Beispiel für die erfolgreiche Bewältigung einer riesigen Herausforderung“, nämlich der Corona-Pandemie. „Die Bürger vertrauen wieder dem Staat“, sagte Mitsotakis. „Griechenland blickt selbstbewusst in die Zukunft“, so der Premier. Seine Bilanz des ersten Regierungsjahres: „Selten wurde in so kurzer Zeit so viel erreicht.“

Aber die positiven Meinungsumfragen sind nur Momentaufnahmen. Ausruhen kann sich der Premier auf den Lorbeeren nicht. Auf Mitsotakis kommen schwierige Zeiten zu. Bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr versprach er dem von der Schuldenkrise ausgezehrten Land die Rückkehr zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum. Mitsotakis senkte die Steuern und warb mit Reformen um ausländische Investoren. Um 2,8 Prozent sollte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr steigen. Doch jetzt stürzt die Corona-Pandemie das Land wieder tief in die Rezession zurück. Die EU-Kommission prognostiziert den Griechen einen Rückgang des BIP um 9,7 Prozent und einen Anstieg der Arbeitslosenquote auf fast 20 Prozent. Hunderttausende zittern wieder um ihre Jobs.

Mit Milliardenspritzen versucht Mitsotakis jetzt, die vom Lockdown betroffenen Unternehmen zu stützen und Arbeitsplätze zu retten. Für die bisher beschlossenen Staatshilfen muss Finanzminister Christos Staikouras rund 17 Milliarden Euro locker machen, was nahezu zehn Prozent des letztjährigen BIP entspricht. Im diesjährigen Haushalt dürfte das zu einem Fehlbetrag von rund sieben Prozent des BIP führen. Griechenlands Schuldenquote, die eigentlich in diesem Jahr auf 169,3 Prozent des BIP zurückgehen sollte, wird sich der 200-Prozent-Marke annähern. Damit wirft Corona das Land bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen und dem Schuldenabbau erheblich zurück.

Da braut sich etwas zusammen

Auch außenpolitisch braut sich etwas zusammen: Im Streit um die Bodenschätze des östlichen Mittelmeeres plant die benachbarte Türkei jetzt Bohrungen in Gewässern, die Griechenland als eigene Wirtschaftszone beansprucht. Griechenland beruft sich dabei auf die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen. Auch die EU und die USA halten die türkischen Ansprüche für völkerrechtswidrig. Die Frage ist aber, wie weit sie bereit sind, Athen zu unterstützen, wenn sich der Konflikt weiter zuspitzt. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan hat bereits angekündigt, dass er seine Bohrschiffe in den umstrittenen Seegebieten von Einheiten der Kriegsmarine eskortieren lassen will. Kommt es dazu, könnten die Spannungen gefährlich eskalieren.