Die USA und die Türkei einigten sich am Donnerstagabend in Ankara auf eine fünftägige Kampfpause in Nordsyrien. Aber ob sie hält und was danach kommen soll, ist völlig unklar. Eigentlich sollen die Waffen schweigen.
Nur Stunden, nachdem US-Vizepräsident Mike Pence in Ankara die Einigung auf eine Feuerpause bekannt gab, fielen gestern wieder Schüsse. Augenzeugen berichteten von Artilleriefeuer auf die Stadt Ras al-Ain. Rauchwolken stiegen aus dem Stadtzentrum auf. Wer die Granaten abfeuerte, war unklar. Türkische Streitkräfte hatten die Stadt in den unter schweren Beschuss genommen und sich mit Kurdenmilizen der YPG harte Kämpfe um Ras al-Ain geliefert.
All das zeigt, wie fragil die vereinbarte Waffenruhe ist und wie explosiv die Lage in Nordsyrien bleibt. Während der Feuerpause sollen die kurdischen Milizen der YPG, gegen die sich die vor zehn Tagen gestartete türkische Offensive richtet, aus der Grenzregion zurückziehen. Aber was die Vereinbarung im Detail bedeutet, ist unklar.
Das beginnt schon beim Streit um Worte. Pence sprach von einer Waffenruhe. Doch der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu wies diese Bezeichnung zurück und sprach von einer „Kampfpause“. Danach werde man die Operation fortsetzen. Staatschef Recep Tayyip Erdogan unterstrich am Freitag, die Türkei wolle auf der syrischen Seite der Grenze eine 444 Kilometer lange und 32 Kilometer tiefe „Schutzzone“ schaffen, aus der sich die Kurdenmilizen, die Ankara als Terroristen bezeichnet, zurückziehen müssten. Anschließend will Erdogan dort bis zu zwei Millionen syrische Flüchtlinge aus der Türkei ansiedeln.
Ein Kommandeur der YPG kündigte zwar an, man werde sich zurückziehen und „alles tun, damit die Waffenruhe ein Erfolg wird.“ Eine dauerhafte Präsenz der Türkei in der Region werde aber nicht akzeptiert. Dagegen frohlockte Außenminister Cavusoglu: „Wir bekamen, was wir wollten.“
Tatsächlich steht Staatschef Erdogan zunächst einmal als Gewinner da: Er bekommt einen kampflosen Rückzug der Kurdenmilizen aus der Grenzregion und wendet mit dem Deal, den er mit Pence aushandelte, US-Wirtschaftssanktionen ab. Ob Erdogan die erhoffte „Schutzzone“ etablieren kann, ist offen. Die Amerikaner treiben die YPG, bisher ihr wichtigster Verbündeter im Kampf gegen die die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), in die Arme des syrischen Regimes und dessen Schutzmacht Russlands. Weder Moskau noch Damaskus werden es akzeptieren, dass die Türkei in Nordsyrien dauerhaft eine Besatzungszone einrichtet.
Zutiefst beunruhigend die Aussicht, dass mit dem Rückzug der YPG tausende von den Kurdenmilizen gefangene IS-Kämpfer freikommen könnten. Auch diese Gefahr bannt eine Feuerpause nicht.