"Im Zentrum Moskaus gibt es in einer Ausstellung furchtbare Gotteslästerung. Wir laufen dort hin, um das zu liquidieren", hatte der Moskauer Rechtsradikale Dmitri Zorionow den Übergriff Freitagnachmittag auf Twitter angekündigt. Danach war Zorionow, der in Russland unter seinem Pseudonym "Enteo" bekannt ist und der seit einigen Jahren eine lose Gruppierung namens "Gottes Wille" anführt, in die staatliche Manege gegangen. Diese Kunsthalle befindet sich in Wurfweite der Kreml-Mauern.

Mit einer Handvoll Mitstreitern, so zeigten veröffentlichte Videos, machte Zorionow-Enteo dort zunächst seinen Unmut über die gezeigte Ausstellung kund und erklärte, dass diese seine religiösen Gefühle verletzten würden. Abschließend warfen die Aktivisten Exponate zu Boden und wurden schließlich von der Polizei vorübergehend festgenommen. Anwesende Security-Leute waren zuvor passiv geblieben.

Nach Angaben der Manege wurden zumindest vier Arbeiten des 1986 verstorbenen Künstlers Wadim Sidur beschädigt und teils auch zerstört. Dem Vernehmen nach ist die Rede von vier Linolplatten, die im Stil der europäischen Nachkriegsmoderne Szenen aus der Leidensgeschichte Jesu Christi zeigen. Alle betroffenen Werke, die im Rahmen der am Donnerstag eröffneten Gruppenausstellung "Skulpturen, die wir nicht sehen" gezeigt wurden, gehören der Manege und befinden sich somit in russischem Staatsbesitz.

Der in erster Linie als Bildhauer tätige Wadim Sidur hat sich in seiner Kunst vor allem mit menschlichem Leid beschäftigt, er gilt mittlerweile als Klassiker der sowjetischen und russischen Kunstgeschichte. In einem österreichischen Kontext könnte er mit Künstlern wie Alfred Hrdlicka oder Bruno Gironcoli verglichen werden. Sidur, der aus seiner jüdischen Abstammung nie ein Hehl gemacht hat, ist einer breiteren russischen Öffentlichkeit insbesondere für Skulpturen und Denkmäler zum Holocaust bekannt. Ob der Übergriff von "Gottes Willen" auch antisemitisch motiviert war, ist nicht klar - Enteo wollte dies am Samstag nicht bestätigen. "Wenn Andersgläubige über Jesus Christus lästern ist das ein noch schlimmeres Verbrechen als normalerweise", sagte der Rechtsradikale jedoch im Gespräch mit der APA.

Enteo bestritt gleichzeitig, mit seiner Aktion Gesetze verletzt zu haben und erklärte, dass gegen ihn kein Strafverfahren eingeleitet worden sei. Seinerseits beschuldigte er die Manege, mit ihrer Ausstellung "religiösen Hass" zu schüren und damit gegen den berüchtigten Paragrafen 282 des russischen Strafrechts verstoßen zu haben. Mit diesem Paragrafen waren seit 2003 wiederholt Ausstellungskuratoren in Russland strafrechtlich verfolgt worden, die zeitgenössische Kunstwerke zu religiösen Themen präsentiert hatten.

Wsewolod Tschaplin, ein hochrangiger Vertreter der Russisch-orthodoxen Kirche, als deren eifriger Anhänger sich Enteo ausgibt, forderte am Freitag sowohl die Aktivisten als auch als die Manege zur Einhaltung der Gesetze auf. Eine deutliche Verurteilung von "Gottes Willen" unterließ er.

Konträr positionierte sich der liberale Vorsitzende des Kreml-Beratergremiums für Menschenrechte, Michail Fedotow. Er sprach davon, dass Enteo und seine Mitstreiter gleich gegen mehrere Bestimmungen des russischen Strafrechts verstoßen hätten. Zudem verglich Fedotow den Vorgang in der Manege mit den kürzlichen Kunstzerstörungen durch den "Islamischen Staat".

In der russischen Kunstszene sieht man den Vorfall, so zeigen in zahlreichen Reaktionen in sozialen Netzwerken, als gefährlichen Präzedenzfall und auch als Tabubruch. Enteo und auch andere rechtsradikale Aktivisten hatten zwar in den vergangenen Jahren, jeweils ohne rechtliche Konsequenzen, mehrmals Ausstellungen mit zeitgenössischer, provokanter Kunst attackiert und dies in privaten Kunsträumen getan. Nun ist erstmals museale Kunst aus Staatsbesitz betroffen und die Manege, die vom Kulturministerium der Stadt Moskau verwaltet wird, ist ein staatlicher Kunstraum.

Die Täter müssen für die Zerstörung von Kunst aus Staatsbesitz vor Gericht gestellt werden, forderte am Samstag die St. Petersburger Kunstkritikerin Kira Dolinina. "Anderenfalls erteilt der Staat eine Carte blanche für die straflose Zerstörung beliebiger musealer Exponate", schrieb Dolinina. Denn manchen möge, so die Kritikerin, eine nicht russisch-orthodoxe Madonna von Leonardo missfallen, anderen die jüdische Abstammung von Chagall mit seinen christlichen Darstellungen verstören oder gar die schmutzigen Füße des "Verlorenen Sohnes" bei Rembrandt empören.