Heute treffen sich die EU-Verteidigungsminister in Wien. Minister Kunasek will ihnen das Modell des sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatzes für den EU-Außengrenzschutz schmackhaft machen. Soll unser Bundeseer hier nur Ideengeber sein oder auch Soldaten und Gerät für eine solche Mission stellen?

ROBERT BRIEGER: Das Konzept, das der Bundesminister vorstellen wird, ist zunächst einmal eine Anregung, in der EU die Frage des Außengrenzschutzes neu zu denken und für jene Zeit, in der Frontex noch nicht die volle Stärke hat, eine militärische Ergänzung zu liefern. Das ist keine militärische Operation, sondern wäre eine Unterstützung. Die Größenordnung einer solchen Unterstützung für ein Land der Größe Österreichs kann man in etwa in der Stärke einer Kompanie beziffern. Das ist aber derzeit nicht aktuell.

Da war etwa andernorts in den Medien zu lesen: "Das Bundesheer soll Migranten in Spanien abwehren". Soll es das?

BRIEGER: Nein, es geht darum, europäische Außengrenzschutzmaßnahmen zu verstärken. Wo das stattfindet und aufgrund welcher europäischer oder bilateraler Vereinbarungen, das ist völlig offen.

Dass Sie die Massenmigration als eine der größten Bedrohungen der Gegenwart bezeichnet haben, hat für einige Irritationen gesorgt. Ist diese Bedrohung eine, der mit militärischen Mitteln begegnet werden muss?

BRIEGER: Zunächst kann ich die Irritationen nicht ganz nachvollziehen, weil ja das Phänomen zum Fall einer Regierung in Österreich beigetragen hat und die Auswirkungen noch jetzt spürbar sind. Es gibt nach wie vor unkontrollierte Zuwanderung, wenn auch im kleineren Ausmaß. Das Gesatmtphänomen ist keines, das mit militärischen Mitteln zu bewältigen ist, aber das Militär kann dabei unterstützen, die Auswirkungen in Grenzen zu halten. Und nachdem wir derzeit auch eine erhebliche Anzahl an Soldaten an der Grenze von vier Bundesländern im Einsatz haben, ist es legitim, wenn der Generalstabschef äußert, dass es eine große Herausforderung ist.

Grenzeinsatz als Prävention

Dieser Assistenzeinsatz an der Grenze erinnert zunehmend an eine Situation, wie sie auch in der späten Phase des "Burgenlandeinsatzes" bestand. Er wird mit Signalwirkung nach außen und dem subjektiven Sicherheitsgefühl der Bevölkerung argumentiert, der tatsächliche Output ist im Vergleich zum Aufwand aber zu hinterfragen. Ist das Festhalten am Einsatz in dieser Stärke eine politische Entscheidung oder militärisch begründbar?

BRIEGER: Es ist bekannt, dass der Assistenzeinsatz von der Regierung beschlossen wird und vom Innenministerium angefordert wird. Daran richtet sich unsere Einsatzleistung. Was den Umfang der Kräfte anbelangt, geht davon auch eine gewisse Präventionswirkung aus. Ich denke, dass unser Ansatz gemessen an der Situation der richtige ist. Dies auch durch den Umstand, dass nicht nur die unmittelbare Präsenz an der Grenze eine Rolle spielt, sondern auch Kontrollen in der Tiefe gemeinsam mit der Exekutive wahrgenommen werden. Das bedingt eine gewisse Mindestgöße.

Robert Brieger (61), stammt aus Wien und lebt in Niederösterreich
Robert Brieger (61), stammt aus Wien und lebt in Niederösterreich © Stanislav Jenis

Die Kapazitäten des Bundesheeres seien "völlig erschöpft", befand der Bundespräsident kürzlich. Der Kommandant der Landstreitkräfte und der Minister haben ihm nicht widersprochen. Könnte das Heer parallel zu seinen laufenden Einsätzen jetzt noch Kräfte für eine größere Katastrophe aufbringen?

BRIEGER: Eine Naturkatastrophe könnte durchaus bewältigt werden, nachdem diese Maßnahmen in der Regel nicht über Monate aufrechtzuerhalten sind. Das allerdings unter Stilllegung bestimmter anderer Bereiche, wie in der Ausbildung und bei Übungen.

Bei allein 17.000 Soldaten im Präsenzstand, dazu jährlich etwa gleich vielen Grundwehrdienern: Warum ist es so schwer, eine entsprechende Mannstärke in den Einsatz zu bringen? Ist das nur ein Problem unseres Militärs?

BRIEGER: Eigentlich ist es umgekehrt. Gemessen an unserer Größe haben wir eine sehr hohe Einsatzleistung. Im Vergleich etwa zur deutschen Bundeswehr haben wir aliquot sehr viele Soldaten im Auslandseinsatz, auch vor dem Hintergrund, dass unsere Soldaten diese Einsätze auf freiwilliger Basis leisten. Im Rahmen einer Mobilmachung wäre das Bundesheer natürlich in der Lage, auch größere Mannstärken aufzubringen.

Zumindest eine Sorge weniger

Ist das Bundesheer mit dem in der Vorwoche beschlossenen Beschaffungspaket seine größten Sorgen los oder ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

BRIEGER: Es liegt dazwischen. Wir sind eine große Sorge los, das betrifft den Ersatz der Alouette-Flotte und die Ergänzung der S-70 (Black Hawk). Aber es gibt natürlich noch andere Herausforderungen, die wir vor uns haben. 

In die Mobilität werden 30 Millionen Euro investiert, der gesamte Bedarf liegt aber bei über 400 Millionen. Da kann man nicht viel ausrichten.

BRIEGER: Das ist eine Einstiegsdroge. Wir werden diese 30 Millionen einsetzen für Lkw, splittergeschützte Fahrzeuge etc. Darüberhinaus gibt es auf dem materiellen Sektor auch andere kostenintensive Bedarfe. Ich denke an die Ausrüstung der Miliz, die Nachrüstungserfordernisse der Kettenfahrzeuge, das Thema Luftraumüberwachung. Es ist ein guter Baustein letzte Woche beschlossen worden, es gibt auch andere Herausforderungen.

Werden Sie sich darum bemühen noch mehr Mittel zu erreichen?

BRIEGER: Ich werde im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten versuchen, die Entscheidungsträger, die Zivilgesellschaft und die Meinungsbildner dahingehend informieren, dass Militär eben Geld kostet und dass letztlich auch die Reputation des souveränen Staates Österreich Schaden nimmt, wenn auf die Dauer unsere Sicherheitspolitik nicht glaubwürdig ist. Hier ist in den letzten 10, 15 Jahren doch sehr stark gespart worden. Wir haben Nachholdbedarf und es ist legitim, wenn der Minister und sein Generalstabschef diesen Nachholbedarf artikulieren - ohne allen ständig auf die Nerven zu fallen.

Die Regierung bezeichnet das Investitionsprogramm als Katastrophenschutzpaket. Verschleiert man damit nicht, dass dieses Gerät primär klassisch militärischen Einsatzzwecken dient?

BRIEGER: Vielleicht ist das ein Hinweis, dass die Kommunikation noch verbessert werden muss, um die militärischen Aufgaben auch in den Köpfen zu verankern. Natürlich sind diese Hubschrauber militärisches Gerät, das für Transportzwecke, Verbindungsflüge, Aufklärungsflüge und andere militärische Aufgaben verwendet werden soll. Es kann anlassbezogen selbstverständlich für Katastropheneinsätze nutzbar gemacht werden. So wie wir das beispielsweise 1999 in Galtür erleben mussten.

Soll der neue Mehrzweckhubschrauber auch bewaffnet sein oder bewaffnet werden können?

BRIEGER: Die konkrete Konfiguration dieser Hubschrauber muss erst erarbeitet werden, aber ich schließe eine Bewaffnung natürlich nicht aus.

Eurofighter: Zukunft ungewiss
Eurofighter: Zukunft ungewiss © Bundesheer/Zinner

Die größte Investition steht noch an: Die Zukunft der Luftraumüberwachung. Dabei ist auch eine Stilllegung des Systems Eurofighter eine der Optionen. Wenn das chronisch unterfinanzierte Bundesheer den Eurofighter - die größte Einzelinvestition seiner Geschichte - nach nicht einmal der Hälfte seiner Nutzungsdauer in den Hangar stellt, wäre das nicht eine Bankrotterklärung der österreichischen Wehrpolitik der letzten Jahre?

BRIEGER: Sie stellen die Frage so, dass ich hier eine Präferenz äußern muss. Also, ich würde empfehlen, das Vertrauen in die Bundesregierung zu setzen, dass eine rationale Entscheidung getroffen wird. Und dann können wir gerne über die Auswirkungen sprechen.

Die Wertschätzung der Politik für das Militär drückt sich in Budgetzahlen aus. So sagen es hochrangige Offiziere. Wird das Heer also von den Regierenden weiterhin gering geschätzt?

BRIEGER: Es ist dem Minister schon gelungen eine nominelle Erhöhung des Budgets herbeizuführen. Und es ist ihm gelungen, mit den ersten Sonderfinanzierungspaketen ein Zeichen zu setzen in Richtung Weiterentwicklung. Was aus militärischer Sicht wünschenswert ist, ist ein höheres Regelbudget, weil es die Planungssicherheit über Jahre erhöht. Idealerweise erfolgt das über eine Legislaturperiode hinaus. Die Streitkräfteplanung ist ein lang andauernder iterativer Prozess, der Planungssicherheit erfordert. Wenn man klar weiß, wie viel Geld man bekommt, kann man es ökonomisch vernünftig militärisch abgeleitet einsetzen. Je weniger man hat, desto mehr ist man zur Improvisation gezwungen und die ist dann im Einzelfall oft teurer. Etwa, wenn alte Fahrzeuge am Leben erhalten müssen, weil es kein Geld für eine neue Gesamtinvestition gibt.

Ist 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukt nach wie vor eine Maßzahl, die man für das Wehrbudget anstrebt?

BRIEGER: Ich strebe die Maßzahl längerfristig an, weil ich glaube, wir müssen uns schrittweise dem internationalen Standard annähern.

Sie wollen die klassische militärische Landesverteidigung wieder als die Kernaufgabe des Bundesheeres in den Mittelpunkt rücken. Warum ist das notwendig und welche konkreten Schritte wollen sie dazu setzen?

BRIEGER: Es ist zunächst notwendig, weil es der Verfassungsauftrag des Bundesheeres ist, Österreich zu verteidigen. Nun hat die militärische Landesverteidigung mehrere Ausprägungen, diese sind hybrider Natur, subkonventioneller Natur bis hin zu terroristischen Szenarien. Aber es gibt noch immer eine große Anzahl konventioneller Waffen auch in Europa, die das Potenzial beinhalten, dass sie auch eingesetzt werden können. Nun spreche ich nicht von einer unmittelbar drohenden konventionellen Attacke auf Österreich. Fakt ist aber, dass weltweit und auch in Europa zahlreiche Konflikte mit konventionellen Mitteln ausgetragen werden. Übrigens werden auch subkonventionelle Konflikte mit konventionellen Waffen ausgetragen. Die Bewältigung dieser Aufgabe auch mit konventionellen Mitteln versetzt das Bundesheer in die Lage auch andere, vielleicht weniger robuste Aufgaben zu erfüllen. Der umgekehrte Ansatz, sich nur die leichten Aufgaben wie Peacekeeping-Einsätze zur Richtschnur zu machen, führt dazu, dass man überfordert ist, wenn eine tatsächliche gravierende Herausforderung auftritt. Deshalb habe ich für mich entschieden, diese Komponente wieder zu stärken. Das geht in den Bereich der Ausbildung hinein und in jenen der Übungen. Natürlich kostet das Geld. Ich würde es aber gerne sehen, wenn unsere Bataillone wieder mit Volltruppenübungen ihr Know-how einmal im Jahr unter Beweis stellen müssen und diese Kernaufgabe wieder vermehrt geübt wird. Der Kampf der verbundenen Waffen sollte wieder zum täglichen Handwerk zumindest des Kaderpersonals werden.

Miliz und längerer Grundwehrdienst

Die Miliz fühlt sich seit Jahren als Stiefkind der Sicherheitspolitik, obwohl sie laut Verfassung eigentlich das Rückgrat der Landesverteidigung bilden sollte. Ist das viel beschworene Wiedererstarken des alten Milizsystems mit hohen Mannstärken nur über einen verlängerten Grundwehrdienst möglich?

BRIEGER: Der Grund, warum die Verlängerung des Grundwehrdienstes vom Bundesminister und mir wieder ins Spiel gebracht wurde, ist ja die Stärkung der Miliz. Wir haben 2006 aus für mich schwer nachvollziehbaren Gründen diese Milizübungen abgeschafft und natürlich ist es nach wie vor für das Halten der Einsatzbereitschaft von Milizkräften notwendig, von Zeit zu Zeit durch Übungen dieses Know-how wieder aufzufrischen. Wenn man darauf verzichtet, dann liegen die Kräfte brach und der Soldat wird nach sechs Monaten nach Hause geschickt und kann sein Wissen nicht mehr auffrischen. Wenn man die Miliz ernst nimmt, dann muss man auch ernsthaft über eine solche Maßnahme diskutieren dürfen. Und diese Maßnahme wäre auch ein Weg um die Einsetzbarkeit der Miliz, die jetzt vorwiegend auf stationäre Einsätze wie dem Schutz der Infrastruktur konditioniert wird, verbreitert - auch mehr in qualitativ höherwertige Aufgaben.

Im Regierungsprogramm finden sich sogenannte Leuchtturmprojekte für das Bundesheer, der Generalstab wurde mit deren Umsetzung beauftragt. Was ist der Stand der Dinge bei den Sicherheitsinseln oder der Rekrutenschule?

BRIEGER: Die Sicherheitsinseln halte ich für ein wesentliches Projekt der Bundesregierung, weil es auch eine gesamtstaatliche Komponente hat in Richtung Umfassende Landesverteidigung. Das ist ein langfristiges Projekt, das aber zukunftsweisend ist und das vor dem Hintergrund eines möglichen Blackout-Szenarios seine Bedeutung hat. Auch die anderen Leuchtturmprojekte werden entsprechend zu betreuen sein. Erwähnenswert ist die Sicherheitsschule in Wiener Neustadt, weil es da nächstes Jahr schon sichtbare Ergebnisse geben soll. 

Was soll im Hinblick auf die Sicherheitsinseln demnächst konkret geschehen?

BRIEGER: Wir sind jetzt dabei, den Bedarf zu erheben. Ich gehe davon aus, dass wir nächstes Jahr in der Lage sind, erste Investitionen zur Herstellung der Autarkie vorzunehmen. Zum Beispiel im Rahmen der Notstromaggregate oder in der Verbesserung der Anbindung an von der öffentlichen Wasserversorgung unabhängige Wasserquellen.

Und die Rekrutenschule? Hier war ein Pilotprojekt angekündigt.

BRIEGER: Es ist noch in der Konzeptphase, es sind erste Überlegungen im Gange. Im Wesentlichen läuft es auf eine weitere Verbesserung der Rekrutenausbildung hinaus.

Sind diese Pläne und Maßnahmen eigentlich alle im Regelbudget abgedeckt?

BRIEGER: Es sind hier Prioritätensetzungen erforderlich, weil das Regelbudget auf diese zusätzlichen Aspekte nicht a priori Rücksicht genommen hat.