Ich liebe es, auf den Wiener Flohmarkt zu gehen. Lange schon kenne ich dort eine Frau aus Nigeria, die kunstvolle Figuren aus ihrer Heimat verkauft. Sie sind wunderschön und zu teuer für mich. So schaue ich sie nur an. Die Frau nennt mich ihren „Darling“ und fragt spöttisch, ob ich wieder zum Schauen komme.

An einem anderen Stand traf ich einen Mann, er stamme aus Ghana. Auch er verkaufte Figuren. Ich fand einen zarten Knaben aus poliertem, schwarzem Holz. Ich handelte den Mann um ein Drittel herunter und dachte, der Knabe ist der ideale Geist für mich. Ich brauche nämlich in meinem Leben einen hölzernen Geist. Einen, der es gut mit mir meint, der auf mich aufpasst. Ich hatte einen gehabt, der bei mir schlief, und als ich einmal mein Federbett ausschüttelte, war er aus dem Fenster ins Gebüsch gefallen, und ich hatte ihn nicht gefunden. Das ist ein schlechter Zustand. In so einem Zustand wenden sich die Menschen von mir ab, sogar mein Sohn ging auf Distanz, worüber ich sehr traurig war.

Bei der Frau aus Nigeria hätte ich um diesen Preis nichts bekommen. Als ich sie bald wieder traf, drohte sie mir mit der Faust und zischte, ich dürfe nie wieder ihre Sachen anschauen.

„Ik weiß“, sagte sie in ihrem abgehackten Tonfall, „du kaufst bei meinem Feind!“ Ich solle gehen, sie verbiete mir, ihre Figuren anzusehen. Ich solle die Figuren gefälligst mit Respekt behandeln. Man schaue jemandem nicht in die Augen, den man nicht kennt. Das gelte auch für ihre Figuren.

Ihr Feind, der Mann aus Ghana, zog mich am Mantelärmel und sagte: „Schwester, geh nie wieder zu der Witch! Es könnte sein, dass sie dir Böses tut.“

„Was meinst du mit Böses, Bruder?“, fragte ich.

„Sie wird dich und die Deinen verwünschen.“

„Wer sind die Meinen?“, fragte ich und sagte auch, dass ich ihm nicht glaube. Ich traute ihm nicht. Ich dachte sogar, es könnte sein, dass das Gegenteil eintritt und mein Sohn sich mir wieder zuwendet, wenn ich mich mit der Witch versöhne. Das hätte bedeutet, dass er mich zu seinem Vater führt und dass der mir verzeiht, worüber ich aber nicht sprechen will.

 Und keine halbe Stunde später, bei den frischen Zitronen am Naschmarkt, sah ich den Mann aus Ghana und die Witch. Sie beugte sich über ihn und schlug auf ihn ein. Der Mann ist schmächtig, die Witch ist eine Riesin mit einer Turmfrisur. Sie bemerkte mich und rannte sie mir nach. Ich war schneller. Sie ist alt und breit in den Hüften.

Ich lief nach Hause. Winter war. Sehr kalt. Schnee war angekündigt. Meine Hände fühlten sich eisig an, und ich fand meinen Hausschlüssel nicht, und mein Herz fühlte sich auch eisig an. Ein Mann trat heraus, von dem ich wusste, dass er ein Komiker ist und als Komiker riesige Erfolge feiert, aber gar kein Komikergesicht hat. Er trug eine Fellmütze, und ich dachte, auch ich muss mir eine Fellmütze kaufen, will ich mir die Ohren nicht abfrieren.

In dem Haus ist unten ein kleiner chinesischer Supermarkt, die Besitzer lagern ihr Gemüse in den Kellerräumen. Oft riecht es faulig. Eine Chinesin kam mir entgegen. Sie zog einen Handwagen, darauf waren Kisten voll mit Ingwer. Ich nahm mir schnell ein Stück, so groß wie meine Faust. Dieser Ingwer steht mir zu, dachte ich, fraglos, schließlich benutzt sie unseren Kellerraum, das hatte ich ihr vor Jahren erlaubt. Ich wartete auf den Lift. Als er endlich da war, herauf von den Kellerräumen, trat ein kleiner Chinesenknabe heraus. Er grüßte mich mit einer feinen Verbeugung. Der Ingwer beulte meine Manteltasche aus. Er blickte darauf

„Darf ich fragen?“, sagte er. „Kann ich bei Ihnen einen heißen Tee bekommen?“

„Ja, gern“, sagte ich.

Er folgte mir in die Wohnung und setzte sich auf das Sofa. Ich sah, dass seine Schuhsohlen dreckig waren, faulige Salatblätter klebten daran. Ich sagte nichts, ärgerte mich aber. Ich liebe Sauberkeit.

„Meine Mutter“, sagte er, und ich wunderte mich über sein gutes Deutsch, „will, dass ich die Treppen mit Seife putze, danach mit klarem Wasser spüle. Ich will aber nicht. Es ist so kalt. Wenn sie mich sucht und nicht findet, wird sie vergessen, was sie mir aufgetragen hat.“

„Bitte“, sagte ich und fragte nach seinem Namen, konnte und kann ihn aber nicht wiederholen, „bitte, zieh die Schuhe aus!“

Auch die Socken starrten vor Schmutz.

„Zieh auch deine Socken aus“, sagte ich, „ich gebe dir neue.“

Ich holte aus der Schublade Wollsocken von meinem Sohn. Oder waren es die von meinem Mann?

Das Teewasser kochte. Ich hatte die Figur, die ich bei dem Mann aus Ghana gekauft hatte, auf den Eisschrank gelegt. Als ich Milch und Butter herausnahm, rutschte sie und fiel auf den Boden. Die Augen starrten mich mit Vorwurf an. 

Der Knabe sagte: „Chinesen verzehren keine Milchprodukte.“

Ich hob die Figur auf, küsste auf das lackierte Holz und zeigte sie dem Knaben. Er fand sie hässlich und sagte, ich solle sie vernichten, sie rieche nach Unglück.

„Wie kommst du darauf?“, fragte ich.

„Ich rieche es“, sagte er. „Sie riecht nach Unglück.“

Er zog die Wollsocken an, jetzt wusste ich, sie waren die von meinem Mann, die ich ihm gestrickt hatte. Er nippte an seinem Tee, wie es vornehme Frauen tun. „Ich weiß“, sagte er, „Sie haben ein Stück Ingwer gestohlen. Es ist in Ihrer Manteltasche.“

„Ich gebe es zu“, sagte ich. „Aber ihr habt dafür mein Kellerabteil.“

„Sie hätten wenigstens fragen sollen. Er kennt sich jetzt nicht aus.“

„Wer kennt sich nicht aus?“

„Auch die Dinge verdienen Respekt“, sagte er. „Das müssen Sie lernen!“

„Ich bin eine Diebin, und du bist frech“, sagte ich.

Wir hörten im Flur Schreie. Eine hohe Frauenstimme.

„Verraten Sie mich nicht“, sagte der Knabe. „Es ist meine Mutter. Ich bin noch nicht zu Ende aufgewärmt.“

„Baihu!“, schrie die Stimme.

Der Knabe flüsterte: „Baihu heißt weißer Tiger.“ Und er fragte: „Haben Sie wenigstens Respekt vor mächtigen Tieren?“

„Angst habe ich, Angst ist aber kein Respekt.“

„Baihu!“, schrie die Mutter.

„Sie wird erst aufhören, wenn sie mich gefunden hat“, sagte der Knabe.

Ich öffnete die Wohnungstür einen Spalt. Die Mutter wischte den Boden vor meiner Tür. Sie roch nach Schweiß und funkelte mich an, als ob sie alles wüsste. Wirklich alles.

Irgendwann stand der Knabe vom Sofa auf und ging in den Wollsocken meines Mannes aus der Wohnung, bleib aber im Flur stehen. Wir hörten seine Mutter, die jetzt im Untergeschoß putzte. Sie sang wütend.

Ich soll ihr berichten, sagte er, dass auf meinem Fußabstreifer, ein ohnmächtiger Chinesenknabe liege. Ich solle sagen, es könnte womöglich der ihre sein. Dann legte er sich vor meiner Tür nieder. Ich rief.

 Die Mutter stürmte die Treppen herauf, und als sie ihren Sohn da liegen sah, weinte sie bitterlich. Sie trug ihn in den Lift und fuhr mit ihm nach unten.

In der Wohnung stank es nach faulem Gemüse. Ich öffnete alle Fenster. Obwohl es zu schneien angefangen hatte und ein Eiswind hereinwehte. Ich nahm die Figur aus Ghana und besprühte sie mit meinem Parfum. Ich zog mich aus und legte mich mit meiner Figur ins Bett. Die Decke war flauschig und warm. Ich bin gerettet, dachte ich. Ich musste mir eingestehen, dass die Chinesin eine gute Mutter war, denn sie hatte ihren Sohn zu sich geholt. Ich schlief bei offenem Fenster, es schneite auf die Fensterbank, und Schnee fiel auf das Parkett.

Weil ich mich so einsam fühlte, redete ich mit meiner Figur, befühlte sie mit meinen Fingern, als wäre sie lebendig. „Du bist aus Holz“, sagte ich, „aus schönem Holz. Ich entschuldige mich, dass wir Menschen vor Holz so wenig Respekt haben. Verzeih mir, bitte. Sag es allem Holz in deiner Sprache weiter! Danke.“