Der Auftakt des vom ehemaligen ÖSV-Trainer Karl "Charly" Kahr angestrebten Medienprozesses gegen die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) ist am Donnerstag auf 24. Jänner vertagt worden. Zuvor waren drei der vier Redakteure einvernommen worden, die über Missbrauchsvorwürfe gegen den mittlerweile 86-Jährigen geschrieben hatten.

Die SZ hatte im Februar berichtet, Kahr habe sich als Trainer der österreichischen Ski-Damen in den 1960er- und 1970er-Jahren an Athletinnen vergangen. Konkret bezog sich die Zeitung auf zwei ehemalige Rennläuferinnen. Eine von ihnen gab an, sie sei als 16-Jährige im Winter 1968/69 vom damaligen Damen-Cheftrainer vergewaltigt worden, die zweite erklärte, Kahr sei im Winter 1976 über sie hergefallen, als der Weltcup im kanadischen Quebec Station gemacht hatte.

Der Steirer bestreitet die Vorwürfe, sein Rechtsbeistand Manfred Ainedter klagte die SZ wegen übler Nachrede, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und Verletzung des Identitätsschutzes. Der Jurist argumentierte auch bei der heutigen Verhandlung, Kahr übe seit mehr als 30 Jahren kein Traineramt mehr aus, die Vorfälle lägen 50 Jahre zurück, sein Mandant sei daher nicht mehr als eine Person des öffentlichen Interesses anzusehen. Daher hätte sein Name in Verbindung mit dem Tatverdacht nicht genannt werden dürfen. "Irgendwann hat jeder ein Recht auf seine Privatsphäre und Persönlichkeitsschutz."

Zulässige Verdachtsberichterstattung 

Die Wiener Medienrecht-Spezialistin Maria Windhager, die die Zeitung vertritt, bekräftigte, dass es sich bei dem Artikel um eine völlig zulässige Verdachtsberichterstattung gehandelt habe. "Wir werden den Wahrheitsbeweis antreten", kündigte die Juristin an. Man habe von den Opfern eidesstattliche Erklärungen, zudem wären diese, ihre Namen waren im Bericht nicht genannt gewesen, auch zur Aussage vor Gericht bereit.

Sie sah auch einen Zusammenhang mit der aktuellen #MeToo-Debatte. "Sexuelle Gewalt darf nicht totgeschwiegen werden." Die Vorwürfe seien belegbar. Dass die Opfer jahrelang aus Scham geschwiegen hätten, könne nicht gegen sie verwendet werden. Und die Täter könnten sich nicht auf den höchstpersönlichen Lebensbereich berufen. Man habe von Kahr eine Stellungnahme einholen wollen, der zu einer Person der Zeitgeschichte geworden sei und noch immer in der Öffentlichkeit gefeiert werde.

Ob Kahr eine Persönlichkeit des öffentlichen Interesses sei, habe einer der SZ-Redakteure auch überprüft, wie er heute aussagte: "Ich habe bald gelernt, dass man ihn in Österreich ebenso kennt wie in Deutschland einen ehemaligen Fußball-Bundestrainer." Alle drei Journalisten sagten aus, man habe nach ersten Hinweisen, dass es sich lohnen würde, dieses Thema aufzunehmen, akribisch recherchiert.

An Nicola Werdenigg, die bereits zuvor mit Missbrauchsvorwürfen an die Öffentlichkeit gegangen war, hätten sich viele Opfer gewandt, die sich damals niemandem anvertraut hätten, da sie damals durch die Stigmatisierung ein Ende ihrer Karriere befürchtet hätten, berichtete ein Journalist von seinem Gespräch mit der ehemaligen Rennläuferin. So sei es ihm auch glaubwürdig erschienen, dass viele andere Mädchen nichts mitbekommen hätten.

Ausführlich recherchiert

Mit den zwei mutmaßlichen Opfern Kahrs habe man zwei Tage ausführlich gesprochen. "Sie hatten von den Vorfällen ein sehr klares Bild mit vielen Details, aber rundherum wussten sie nicht alles", so ein Redakteur. Das sei viel glaubwürdiger als eine "glatte" Geschichte. Auch innerhalb der Familien der beiden Betroffenen seien die Vorfälle schon Jahre zuvor thematisiert worden.

Ainedter glaubt nicht, dass es derartige Vorfälle gegeben haben kann, "ohne dass die 16-, 17-jährigen Mädchen darüber getuschelt, geredet hätten". Er beantragte deshalb für den nächsten Verhandlungstermin die Creme de la creme der ÖSV-Damenmannschaft vor 40, 50 Jahren, u.a. Annemarie Moser-Pröll, Monika Kaserer und Brigitte Habersatter, aber auch den damaligen Mannschaftsmasseur, bei dem sich die Mädchen angeblich ausgeweint hätten. Bedauerlicherweise wäre Christl Haas, die damalige ÖSV-Damen-Beauftragte, nicht mehr am Leben. Windhager wiederum beantragte als Zeugen u.a. Werdenigg und eine der Frauen, die Kahr gegenüber der SZ des Missbrauchs bezichtigen.

Prozess gegen Ex-Skirennläuferin vertagt

Auch ein weiterer Prozess wegen übler Nachrede, den Kahr gegen eine ehemalige Skirennläuferin und deren Ehemann am Bezirksgericht Bludenz angestrengt hat, wird erst im Jänner fortgeführt. Ursprünglich sollte der Prozess am 9. November seine Fortsetzung finden. Ein Zeuge könne aber zum Termin nicht anwesend sein, begründete die zuständige Richterin am Donnerstag die Verschiebung.

Das Ehepaar soll Kahr in WhatsApp-Nachrichten an den ehemaligen Skistar Annemarie Moser-Pröll diffamiert haben. Die ehemalige Sportlerin, die in den 1960er- und 1970er-Jahren Opfer von Übergriffen geworden sein soll, hatte ihrer ehemaligen Teamkollegin Moser-Pröll am Silvesterabend 2017 ein Foto gesendet, das diese mit Kahr zeigte, dazu die Nachricht: "Dein Entjungferer Charly. Du warst noch keine 16 Jahre alt." Ihr Ehemann schrieb zudem, Pröll solle sich schämen, "einen CK in Schutz zu nehmen", der gemeinsam mit Toni Sailer "viele Mädchen missbraucht und gebrochen hat". Moser-Pröll hatte die kolportierten Übergriffe im ÖSV-Team stets in Abrede gestellt.

Moser-Pröll leitete die Nachrichten an Kahr weiter. Dieser sprach von "Verleumdung" und ging vor Gericht. Der Prozess am Bezirksgericht Bludenz wurde am 6. April 2018 nach mehr als neun Stunden Verhandlung vertagt. Um den Wahrheitsbeweis der Vorwürfe in den Nachrichten erbringen zu können, müssten weitere Zeuginnen gehört werden, so Richterin Daniela Flatz. Darunter sollen etwa Frauen sein, die ihre Rennläuferinnenkarriere nach Missbrauchserfahrungen aufgaben, wie das Ehepaar behauptete. Kahrs Anwalt Manfred Ainedter wollte unter anderen die ehemaligen Rennläuferinnen Monika Kaserer und Brigitte Habersatter-Totschnig sowie den damaligen Mannschaftsmasseur befragen lassen.