Minusgrade sind ihr großes Plus. Vor allem die Herren der Schöpfung wissen um ihre Vorteile, wäre da nicht ein alles in den Schatten stellendes Gefühl: Diese Hose saugt scheinbar all die männliche Aura auf, die sich in einem Raum befindet, um sie als Wärme wieder abzugeben. Nicht von ungefähr kommt einem rasch der Begriff „Liebestöter“ in den Sinn. Ausgebeulter Popsch, ausgebeulte Knie, wie von Geisterhand hält sich diese Hose aufrecht - oder gar durch dunkle Mächte? Und es gibt immer wieder beherzte Versuche der Modeszene, das schwarze Schaf der Unterwäschefamilie reinzuwaschen. Design-Größen wie Kris Van Assche und Alber Elbaz jubelten 2010 schon über die „Kleidung zum Leben“ und „die Inspiration, die nicht aus exotischen Orten, sondern von der Straße kommt“. Salonfähig ist sie deswegen noch lange nicht. Doch es gibt einen harten Kern, der im Untergrund agiert. Klingt martialisch, ist es auch.

Deckname GZ S94467/14-FGP/2016

GZ S94467/14-FGP/2016 lautet ihr Deckname beim Bundesheer. Sie besteht unter anderem aus zwei „Schenkelteilen“, einer „Schlitzeinfassung“ und „Beinstutzerln“. Die Farbe ist, anders als oft behauptet, nicht Bundesheergrün, sondern Beigegrau, besser gesagt DIN 6173:1983. „Und dass sie mit 95 Grad waschbar ist, macht sie einzigartig“, sagt Herbert Engel, Bekleidungstechniker in der Heeresbekleidungsanstalt in Brunn am Gebirge, dem Epizentrum der Uniformen.

80.000 Stück werden jährlich vom Klassiker unter den langen Unterhosen, der in den bundesheereigenen Größen von 1 bis 6, also von Größe 44 bis 66 erhältlich ist, bestellt. Kein Wunder, denn er scheint seine Vorzüge zu haben. Beinahe euphorisch bestätigt Engel: „Sie ist eine reine Baumwollunterhose und somit klar die beste Unterhose am Markt. Sie ist zwar nicht unbedingt die hübscheste, aber vom Tragekomfort die beste, die es am Markt gibt.“ Auch eine Umfrage unter den männlichen Kollegen in der Redaktion ergab ein recht ähnliches Bild, aber weniger euphorisch. Ernst bleibt aber niemand lang. Zitat eines Kollegen: „Sie gibt mir einfach Sicherheit.“ Viel glaubhafter da schon die Liebeserklärung an die anschmiegsame Begleiterin. „Das ist etwas, was einem gut passt, auch wenn man zehn Kilo mehr hat.“

Nur zur Aufklärung: Die Besitzansprüche an das beigegraue Ungetüm sind kompliziert, wie der Bekleidungstechniker weiß: „Die lange Unterhose bleibt ein bewegliches Bundesvermögen - theoretisch könnte der Staat vor der Tür stehen und sagen: Eine Unterhose sind Sie mir noch schuldig.“ Vielleicht steigert ja das künftig das Ansehen oder gar die Liebe zum Zweibeiner. Wir wissen ja, was selten ist, ist schön. John F. Kennedy schon pflegte seine Long Johns (englisch für lange Unterhose) im Winter zu tragen. Nicht ohne Hintergedanken, so ersparte er sich die langen, eher nach alten Herren aussehenden Wintermäntel und festigte so sein jugendliches Image. Bei einer Auktion im Jahr 1998 wurden sogar zwei Paar der präsidialen Unterhosen für 3450 Dollar versteigert.

Zweiter Frühling als Funktionsunterwäsche

Nicht nur in Politikerkreisen weiß man die Wärme südlich des Gürtels zu schätzen, auch im Sport hält sie mehr oder weniger durchtrainierte Waden flink. Und hat sich bereits eine wichtige Nische geschaffen, sie ist im Winter unersetzbar. Wobei sie sich heutzutage sehr super mit einem Mäntelchen tarnt. Als Funktionsunterwäsche erlebt sie ihren zweiten Frühling. So trifft man das textile Stehaufmännchen sowohl am Rasen an den Beinen von Profispielern wie Arjen Robben oder auf den Laufstegen dieser Welt wie erst diese Woche bei der Männer-Fashion-Week in London. Die Hose, die anscheinend direkt aus der Hölle kommt, ist also nicht totzukriegen.

Was sich aber nie durchsetzen wird, ist die Strumpfhose für den Mann. Aber hier fehlt nicht nur offenbar mehr Raum im Saum, sondern es bräuchte auch ein Wegkommen vom typisch weiblichen Kleidungsstück. Vor allem auch, da die meisten Herren einen ordentlichen Rucksack an Kindheitstraumata mitbringen. Nächste Hoffnung Marsmission 2035: Immerhin hat es auf dem Roten Planeten im Schnitt minus 90 Grad. Vielleicht beschleunigt das ja die Entscheidungsfindung. Bis dahin haben es nur die modisch Tapferen warm in südlichen Körperregionen. Es gilt die Moderegel: Nur wer sich traut, ist vorn dabei, und ist der Ruf erst ruiniert, wärmt es sich recht ungeniert.