Hinter dem Rücken knistert das Holz im Kachelofen, durchs Fenster sieht man dichte Schneeflocken tanzen, vor einem dampft der heiße Tee. Alles gut. Alles kitschig-gemütlich. Alles wie im Werbeprospekt. Alles eine halbe Stunde her.

Jetzt?

Unter dem Rücken raschelt der Schlafsack über die Isomatte, durchs Fenster sieht man . . . nichts (weil es draußen stockdunkel ist und das „Fenster“ nur ein kleiner Lüftungsschlitz ist). Und das einzige, was dampft, ist der eigene Atem vor der Nase – einer mittlerweile kalten, rot angelaufenen Nase. Mehr schaut gerade nicht aus dem Daunenberg, in den man seinen Körper vergraben hat. Es ist nämlich kalt. Nein, nicht ein bisserl kühl, sondern das, was man auf der nach unten offenen Zähneklapper-Skala „saukalt“ nennt.

„Daunen-Pyjama“ bei minus 12 Grad
„Daunen-Pyjama“ bei minus 12 Grad © KK

„Minus zwölf Grad“, hatte der Wirt der Stöfflhütte beim Abendessen die temperaturmäßigen Aussichten auf die Nacht konkretisiert. Und sicherheitshalber noch einen Schnaps auf den Tisch geschoben. Wenig später fiel die Hüttentüre hinter einem ins Schloss und man steht in einer zünftig-eisigen Südtiroler Winternacht.

Der Lichtkegel der Stirnlampe streift über das Schneefeld vor einem. Irgendwo dort muss sie stehen, die Schlafstätte für diese Nacht: ein Zelt!
Als „echtes Naturabenteuer mit Dolomitenblick“ preist der örtliche Tourismusverband dieses außergewöhnliche Angebot an. Kein Wort davon ist gelogen.

Es beginnt schon am späten Vormittag mit einer (bei ausreichend Schnee: Schneeschuh-) Wanderung von der Gasserhütte hinauf auf die Villanderer Alm, einer der größten Hochalmen Europas. Auf mehr als 20 Quadratkilometer breitet sich zwischen 1700 und 2500 Meter Seehöhe hoch über dem Eisacktal eine sanft gewellte, alpine Hügellandschaft aus. Ein Verirren ist – bei Schönwetter – praktisch unmöglich, da kein Baum die Aussicht bremst und man die Etappenziele ständig im Blickfeld hat: je nach Gehzeitbudget die Sarner Scharte, den Kassianspitz oder den Villanderer Berg. Am besten alle drei hintereinander über das Prackfiederer Jöchl, den Totensee und das Totenkirchl. Hier soll im Mittelalter der letzte Pesttote gefunden worden sein.

Zimmer mit Aussicht: Blick aus dem Schlafsack in den Sonnenaufgang über den Dolomiten
Zimmer mit Aussicht: Blick aus dem Schlafsack in den Sonnenaufgang über den Dolomiten © KK

Die gruselige Legende wird durch ein sagenhaftes Panorama konterkariert, von dem man spät abends im Zelt noch schwärmt. Im Westen die Ötztaler, Stubaier und Zillertaler Alpen und die Ortlergruppe, im Süden die Brentagruppe und im Osten die schroffe Perlenkette der Dolomiten mit der vorgelagerten Seiser Alm. Letztere sind das Erste, was man in der Früh nach dem Aufwachen sieht, wenn man den Reißverschluss des Zelts öffnet. Der optische Genuss wird nur durch eine praktische Frage getrübt: Wie ohne gröbere Erfrierungen in die eiskristallverzierten Schuhe schlüpfen, die man am Vorabend vor dem Zelt vergessen hat. Anfängerfehler!

Die Nacht selbst in der Campingtiefkühltruhe war . . . viel zu warm. Der Bergführer hatte schon recht, als er vor zu viel Kleidung im Schlafsack warnte. Die Angst vor dem nahenden Erfrierungstod war unbegründet. Solange man keine nackte Haut an die wirklich sehr frische Luft lässt, bleibt die größte Herausforderung der Untergrund, der mit einer ergonomisch-weichen, sich an den Körper anpassenden Kuschelmatratze eher nichts gemein hat. Aber in den kurzen Schlafpausen bleibt so wenigstens Zeit, zunächst den Schneeflocken auf der Zeltplane zuzuhören und später den Sternenhimmel durch die kleine Fensterlucke zu bestaunen. Beides wirkt wie eine lauschig temperierte Wärmflasche fürs Gemüt.