Überdrehte Diskussionen darüber, ob Frauen ihren Babys in der Öffentlichkeit die Brust geben dürfen, vermitteln den Eindruck, dass Stillen ein Imageproblem hätte - doch das Gegenteil ist der Fall: „Stillen hat für Mütter einen sehr hohen Stellenwert“, unterstreicht Christina Kulle, Leiterin der Geschäftsstelle Kärnten des Hebammengremiums. „Die allermeisten Frauen wollen stillen“, sagt auch Eva Wildling, Hebamme und Stillberaterin in Graz, aber oft folge der Nachsatz: wenn es funktioniert.

Für Wildling ist das ein Zeichen, dass Frauen zum Thema Stillen auch Zweifel plagen, die durch überlieferte Mythen oder negative Erzählungen verstärkt werden. Aufgrund dieser Ängste, aber auch durch Druck, schnell wieder arbeiten zu gehen, oder aufgrund von Schmerzen (die sich durch kompetente Beratung meist verhindern lassen) halten sich laut Wildling nur wenige Frauen an die WHO-Empfehlung, bis zum 6. Lebensmonat ausschließlich zu stillen.

Mythos I: Mein Baby bekommt durchs Stillen nicht genug Milch.

Die größte Angst, die stillende Mütter beschäftigt, ist laut den Expertinnen: Kriegt mein Kind genug Nahrung? In einem Fläschchen sieht man genau, wie viel das Kind getrunken hat - doch wie ist das beim Stillen? Die Antwort auf die Frage „Kriegt mein Kind genug?“ liefert das Baby selbst: „Hat ein Baby regelmäßig Harn und Stuhl, zeigt das, dass es genug bekommt“, sagt Kulle. Außerdem funktioniere Stillen nach dem Prinzip: Die Nachfrage bestimmt das Angebot. „Je mehr ein Baby trinkt, desto mehr Milch wird produziert“, sagt Kulle.

Mythos II: Das Flascherl braucht mein Baby nicht so oft wie die Brust.

Ein weiterer Mythos: Wenn ein Baby die Flasche bekommt, muss es weniger oft trinken. „Das stimmt in den meisten Fällen nicht, Babys können nicht so große Mengen trinken, die Frequenz, mit der sie trinken, ändert sich durch den Umstieg auf die Flasche meist nicht“, sagt Kulle.

Mythos III: Nicht zu stillen schont den Busen.

Auch kosmetische Gründe können zum frühen Abstillen oder Stillverzicht führen - ein Trugschluss, wie Stillberaterin Wildling aufzeigt. "Das Brustgewebe verändert sich bereits während der Schwangerschaft. Ob gestillt wird oder nicht, hat kaum Einfluss auf das Aussehen der Brust", sagt Wildling.

Organische Ursachen

Nicht jeder Frau ist es vergönnt, eine freie Entscheidung zum Thema Stillen zu treffen: So können manche Frauen zum Beispiel aufgrund einer Vorerkrankung oder weil einfach zu wenig Drüsengewebe vorhanden ist, nicht stillen. „Auch diese Frauen begleiten wir und zeigen ihnen, dass ihr Kind trotzdem optimal ernährt werden und Nähe erleben kann“, sagt Kulle. Außerdem merkt Kulle an: „Manche Frauen haben in ihrem Leben schon körperliche Gewalt erlebt, für sie kann es daher unmöglich sein, Nähe und das Stillen zuzulassen.“

Ein wichtiger Schritt zu einer erfolgreichen Stillbeziehung zwischen Mutter und Kind ist das Bonding nach der Geburt: Dabei haben Mama und Baby ungestörten Hautkontakt, die Beziehung wird geformt, das Kind spürt Geborgenheit und beginnt in der Folge auch selbst, nach der Brust zu suchen. Muss das Kind nach der Geburt allerdings notversorgt werden, kann dieses Bonding auch nachgeholt bzw. immer wieder wiederholt werden. „Das Kind braucht diese Zeit, um sich auf der Erde einzufinden“, sagt Kulle.

Geringeres Brustkrebsrisiko

Dass Stillen das Beste für Mutter und Kind ist, ist vielfach bestätigt: Stillende Mütter haben ein geringeres Brustkrebsrisiko, der Hormonhaushalt kommt in Balance, die Schwangerschaftskilos purzeln. Und die Vorteile fürs Baby: Muttermilch ist auf die Bedürfnisse des Neugeborenen zugeschnitten. Sie fördert die Verdauung des Babys und versorgt es mit Immunglobulinen der Mutter, die das Immunsystem formen und es für sein Umfeld wappnen. Auch haben gestillte Kinder ein geringeres Risiko, im späteren Leben Allergien zu entwickeln oder übergewichtig zu werden.

„Mütter sollten schon während der Schwangerschaft über das Stillen informiert werden“, sagt Wildling - je mehr Information Mütter haben, desto besser kommen sie auch zurecht.