Väter, die länger allein beim Kind daheim waren, kennen solche Momente: Man steht mit dem Kind im Arm und mit der Geldbörse in der Hand an der Kassa. Eine ältere Dame schaut mitleidig und fragt, ob man mit dem Kind eh zurecht kommt. Wenn man auf Spielplätzen tagsüber erscheint, wird man skeptisch angeschaut. Und die Kolleginnen der Frau wollen wissen, warum sie nicht zu Hause anruft, während sie selbst beim Partner alle Stunde nachfragen, wenn er nur eine Woche daheim ist. Wird Vätern zu wenig zugetraut?

Margrit Stamm: Zwischen Theorie und Praxis gibt es noch viel Raum. Wir sprechen in den höchsten Tönen davon, wie neue und ideale Väter sein sollen. In der Praxis sieht es dann doch anders aus. Viele Frauen - und das hören sie nicht gerne - trauen den Männern zu wenig zu. Sie haben Angst, dass sie es nicht richtig machen. Gleichzeitig sagen viele Frauen, Männer würden nur so tun, als ob sie wollen und zeigten dann ihre Hilflosigkeit. Es gibt natürlich Unterschiede, aber in der Tendenz würde ich ihre Frage bejahen.

Warum halten viele Frauen in der Familie an dieser traditionellen Rolle fest, während sie in anderen gesellschaftlichen Bereichen längst emanzipatorisch sind?

Stamm: Unsere Studien haben bestätigt, dass relativ viele Mütter von sich überzeugt sind, grundsätzlich die fürsorglicheren Personen zu sein. Sie glauben, dass der Mutterinstinkt quasi in ihnen steckt und Väter die Fürsorge nicht so gut hinbekommen. Diese Meinung ist weit verbreitet und hat unter anderem mit der Forschung zu tun. Die Bindungsforschung hat die enge Bindung zwischen Mutter und Kind sowie deren Wichtigkeit immer wieder betont. Erst langsam setzt sich durch, dass die Bindung zum Vater ebenfalls wichtig ist. Dennoch behält die Mutter die ganz zentrale Bindung.

Was ist es noch?

Stamm: Es hat stark mit der beruflichen Emanzipation zu tun. Sie werden heute zwar als Karrierefrauen akzeptiert, müssen aber mit Kinder beweisen, dass sie trotzdem gute Mütter sind. Und eine gute Mutter zu sein, heißt auch, dass man sich so benimmt, wie die anderen in solch einer Situation. Sie schaut nach den Kindern, ist verantwortlich, dass die Kinder zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, verpflegt sind und gut gefördert werden. Der Vater ist in diesem Mosaik eben nur ein Steinchen und wird nie gleichermaßen zur Verantwortung gezogen. Außer natürlich, wenn es um den Geldbeutel geht. Da wird der Vater fast selbstverständlich noch immer als Haupternährer gesehen.

Sie sprechen in ihrem Buch „Neue Väter brauchen neue Mütter“ von einer Suche vieler Frauen nach Perfektion, die von der Außenwelt noch forciert wird. Man muss möglichst perfekt im Beruf sein, im Aussehen, im Auftreten und zu Hause. Männern wird hingegen in der Familie gerne die Rolle des Unperfekten zugeteilt. Nehmen wir die umstrittene Werbung der deutschen Supermarktkette Edeka, die ein Bild eines Vater zeichnet, der das genaue Gegenteil einer perfekten Mutter ist. Und zum Schluss sagen die Kinder: „Gott sei Dank, bist du nicht Mama!“.

Stamm: Wenn man diese Bild von seiner Polemik reinigen würde, könnte man sogar sagen, das es für das Kind ein Segen ist, wenn der Vater nicht perfekt ist. Wir wissen aus der Forschung, dass Väter mit Kindern anders umgehen als Mütter. Für das Kind ist es wichtig, dass es nicht zwei identische Elternteile hat. Mama ist der emotionale Hafen, die Fürsorgliche, die Empathische. Der Papa ist eher der, der herausfordert, der riskante Spiele spielt und zu Hause auch einmal das kocht, was nicht so gesund ist. Aber das macht das Leben aus. Ich finde es aber problematisch, wie das häufig persifliert wird.

 „Neue Väter brauchen neue Mütter. Warum Familie nur gemeinsam gelingt“ (Pieper, 304 S., 24,70 Euro)
„Neue Väter brauchen neue Mütter. Warum Familie nur gemeinsam gelingt“ (Pieper, 304 S., 24,70 Euro) © Pieper Verlag

Haben Sie den Eindruck aus Ihren Studien, dass Männer eine aktivere Rolle in der Kindererziehung spielen wollen?

Stamm: Reine Langzeitstudien haben wir noch nicht, weil wir vor zehn oder zwanzig Jahren nicht genau die gleichen Fragen gestellt haben wie heute und die Antworten daher nicht direkt vergleichen können. Es zeigt sich aber in den Studien, dass jener Zeitanteil enorm gestiegen ist, den Väter mit Kindern verbringen. Ein Vater macht sehr viel mehr mit den Kindern, auch ein wenig mehr im Haushalt. Es kommt natürlich darauf an, ob ein Vater zu hundert Prozent arbeitet oder weniger. Ein Vollzeit-Berufstätiger kann zu Hause nicht so präsent sein wie ein Vater, der 60 Prozent arbeitet. Dennoch ist der generalisierende Vorwurf unberechtigt, dass Väter zu wenig präsent sind. Man kann sagen, sie machen zu wenig im Haushalt. Das ist ja der große Vorwurf der Frauen. Viele sagen, er hat zwei linke Hände und ich muss dann alles alleine machen. Aber das liegt auch an der Einstellung der Frauen selbst.

Was müssen Frauen ändern, damit sich diese Verteilung verbessern kann?

Stamm: Natürlich gibt es Männer, die sich überhaupt nicht darum bemühen, anzupacken. Aber gehen wir davon aus, dass beim Mann der Wille vorhanden ist und nehmen wir ein Paar, dass die Hausarbeit egalitärer erledigen möchte. Dann braucht es von der Frau ein Zurücktreten von ihren eigenen Vorstellungen, wie der Haushalt erledigt werden muss oder wi die Kinder gepflegt und gefüttert werden müssen. Frauen sind häufig diejenigen, die die Normen für den Haushalt vorgeben. Der Vater wird zum Junior-Partner degradiert, der die Arbeiten so ausführen soll, wie sie das vorgibt. Das ist aber etwas, was viele Männer in ihrer Motivation bremst.

Margrit Stamm
Margrit Stamm © (c) Marco Zanoni

Ein Spirale, oder?

Stamm: Sie ziehen sich dann eher zurück und sagen: Dann mach das doch selbst, wenn ich das immer falsch mache! Wenn Frauen eine egalitärere Partnerschaft wollen, müssen sie mit dem Partner gemeinsam Standards zu vereinbaren. Das gibt zunächst mehr Konflikte, weil man alles neu aushandeln muss. Zum Beispiel wie oft man die Wohnung putzt oder ob man die Babynahrung wirklich selbst zubereiten muss. Vielen Frauen fällt es aber schwer, das Zepter aus der Hand zu geben. Das gilt dann auch für die Kindererziehung.

Sie sprechen in Ihrem Buch von der Türsteher-Funktion der Mutter. Welche Folgen hat dieses Bild für die Kinder?

Stamm: Es ist eine Tatsache, dass sehr vielen Kindern das männliche Rollen-Modell fehlt. Ich möchte aber betonen, dass ich dabei nicht die traditionelle Partnerschaft zwischen einer Frau und einem Mann meine. Das können auch zwei gleichgeschlechtliche Menschen sein. Wenn man eine Familie gründet, ist meistens eine Person die männlichere und eine die weiblichere. Wenn die Mutter immer die Rolle der Bestimmerin einnimmt, sind Kinder gewohnt, dass der Vater sowieso abwesend ist. Auch in der Schule gibt es zu wenige Lehrer. Damit fehlt Kindern das Männliche im Alltag. Sie entwickeln eine sehr enge Beziehung zur Mutter, wir sprechen von der Mutter-Symbiose. Die Kinder lernen, dass die Mutter diejenige ist, die bestimmt und die die ganze Last tragen muss. Sie bekommen ein Mutterbild mit auf den Weg bei dem der Vater nur als Hintergrundperson wahrgenommen wird. Unbewusst zementiert man damit eine Geschlechtsrolle, die wir längst überwinden wollten.

Von vielen Familien hört man: Wenn sich der Mann mehr um die Kinder kümmert, dann haben wir zu wenig Geld. Müsste der Staat stärker eingreifen oder Männer nur mehr Mut haben, einen Karriereknick in Kauf zu nehmen, wie es Frauen seit Ewigkeiten machen.

Stamm: Es ist ein Problem, dass wir in den familienpolitischen Themen zu wenig diskutieren. Wir sprechen immer nur vom Modell der egalitären Partnerschaft. Und darüber, dass Männer nicht wollen. Dabei ist es häufig eine finanzielle Frage. Häufig verdient sie weniger als er. Wenn er weniger arbeitet, dann kann sie zwar aufstocken, aber gemeinsam verdienen sie immer noch weniger. Das ist ein grundsätzliches Problem. Viele Paare planen aber auch zu wenig langfristig.

Wie meinen Sie das?

Stamm: Man schaut immer nur auf die ersten zwei oder drei Jahre bei den Kindern. Aber wenn man Kinder zwischen 30 und 40 bekommt, gibt es noch ein Leben zwischen 45 und 50 oder darüber. Wenn man die Karriere zwischenzeitlich etwas zurückfährt, kann man später wieder voll einsetzen. Das trauen sich viele nicht, weil sie befürchten, es wäre ein Karrierestopp. Aus meiner Sicht ist das heute eine Ausrede. Paare müssen mehr planen, wann die Frau einen Schritt nach vorne macht und der Mann sich zurücknimmt und auch wieder umgekehrt. Viele möchten ja nicht mit weniger Geld leben müssen, weil sie hohe Ansprüche haben an das Leben wie Urlaub, Haus oder Auto. Mit weniger Geld leben müssen, kann aber eine Lebenshaltung werden. Das ist aber schwer, weil es auch mit Status zu tun.

Sollte die aktive Vaterschaft an sich ein stärkeres Statussymbol werden?

Stamm: Ein aktive Vaterschaft braucht Männer, die selbstständige und autonome Wesen in der Familie werden. Väter, die so mit den Kindern umgehen und sich im Haus engagieren können, wie sie das möchten. Was nicht hilft, ist eine intensive Mutterschaft. Frauen, die sich Tag und Nacht um die Kinder kümmern, das Kind ins Zentrum stellen und ihre eigenen Bedürfnisse völlig hinten anstellen. Mütter, die ein Kind so an sich binden, dass es sich nicht mehr entfernen kann. Wenn wir jetzt also aktive Vaterschaft mit intensiver Vaterschaft verwechseln und Väter auch überbehüten und überbetreuen, kann das Kind gar nicht mehr atmen. Männer sollen Frauen nicht imitieren. Sie sollen nicht zu diesen hochemotionalisierten Wesen werden, wie es viele Frauen sind. Wir müssten also zuerste die Mutterrolle modernisieren und von dieser Emotionalität der Mutterschaft wegkommen. Ich würde deshalb begrüßen, wenn wir „aktive Vaterschaft“ und nicht „intensive Vaterschaft“ sagen. Damit meine ich natürlich nicht die intensive Beziehung, sondern meine nur dieses Abhängigkeitsverhältnis und dieses Nichtloslassen des Kindes.

Bräuchte es für die Modernisierung der Mutterschaft mehr öffentliche Aufklärung und sogar politischen Druck?

Stamm: Das Thema gehörte öffentlich viel stärker diskutiert. In der Schweiz und Deutschland läuft es so. In Österreich bekomme ich das nicht so mit. Man forciert enorm die Berufstätigkeit der Frauen und sagt: Liebe Frauen, geht arbeiten!. In Österreich gibt es Elternkarenz, in Deutschland die Elternzeit und in der Schweiz haben wir das noch nicht. Aber immerhin animiert man die Frauen in der Schweiz enorm, dass sie möglichst Vollzeit arbeiten, vor allem die gut gebildeten. Man vergisst nur immer, dass es ja in der Familie viel zu tun gibt, selbst wenn Betreuungsmöglichkeiten vorhanden sind. Das Mutterbild in der Gesellschaft wird allerdings nie diskutiert. Die Familienpolitik müsste dieses traditionelle Bild aufgreifen und den Frauen deutlich machen, dass ihr Überengagement für sie und auch ihre Kinder nicht gut ist. Man spricht allerdings nur immer von der beruflichen Karriere einer Frau. Das müsste unbedingt auch in der Fachwelt hinein zu den Kinderärzten, Säuglingsberaterinnen und in die Elternarbeit. Aber dort animiert man die Mütter ja noch, dass sie mehr auf die Entwicklung der Kinder schauen. Dabei müssten solche Institutionen sagen, nehmt es etwas lockerer, denn es wird alles gut. So heizt man dieses traditionelle Mutterbild noch mehr an.

Es gehört aber auch zur Selbstermächtigung der Väter, an diesem Bild zu rütteln.

Stamm: Ganz genau. Selbstermächtigung der Väter ist ein guter Begriff dafür.