"Ich erkenne in meinem Gegenüber oft Unsicherheit im Umgang mit mir, auch Mitleid, obwohl beides unangebracht ist. Manchmal lächle ich in so einer Situation das Absurde einfach weg. Manchmal macht es mich auch einfach nur traurig und wütend. In so einer Situation befand ich mich damals am Jugendamt, hochschwanger. Das Gebäude war nur eingeschränkt barrierefrei und die Dame hinter dem Schreibtisch mir eher nicht wohlgesinnt. „Aber“, sie presste die Lippen aufeinander und tischte mir einen Mitleidsblick auf, „jetzt sind Sie eh schon schwanger, jetzt müssen wir auch schauen, wie wir das hinkriegen, net woahr?“ Sie implizierte damit mehrere Dinge, nämlich, dass ich, erstens, zu dumm gewesen wäre zu verhüten, wenn ich schon, zweitens, unbedingt ein normales Eheleben, mit allem was dazugehört, habe führen wollen. Mit diesen zwei Dingen implizierte sie aber noch ein ganz subtiles drittens, nämlich, was das nun alles kosten wird, weil ich mir einbilde, unbedingt auch Mutter sein zu wollen und diese Aufgabe als Frau im Rollstuhl natürlich nicht ohne Hilfe werde bewältigen können. Hätte es da nicht eine ganz einfache Lösung dafür gegeben?

Nur eine "Hautabschürflerin"

Fassungslos verließ ich das Büro mit einem Betreuungsvertrag für Familienhilfe in der Tasche. Ich hatte, was ich wollte, und war trotzdem so verzweifelt wie nie zuvor in meiner Schwangerschaft. Wie werde ich als querschnittsgelähmte Frau jemals ein Kind großziehen können? Ich bin nicht nur Mutter und Ehefrau, sondern auch querschnittsgelähmt ab der Hüfte. Im Behindertenjargon lediglich eine „Hautabschürflerin“, weil ich beide Arme und sogar Bauchmuskeln noch nutzen kann.

Damals, kurz nach meinem Autounfall, erklärte mir mein Gynäkologe, wie fruchtbar ich doch sei und überhaupt, bei meinem Becken sei Kinderkriegen ohnehin ein Kinderspiel, haha, Wortwitz, haha. Ich war baff und hatte eigentlich überhaupt nicht damit gerechnet, jemals wieder Sex zu haben. Und dann das, quasi die Aufforderung eines Arztes zur Vermehrung! Zwölf Jahre nach meinem Unfall kam meine Tochter zur Welt, ganz unspektakulär, drei Stunden Wehen, ab in den Kreißsaal, einfache Geburt, Kind da, Mutter müde, Vater unfassbar stolz. Ja, so einfach hatte ich es, obwohl ich eine Behinderung habe.

Kaum alleine mit den Kindern

Aber so einfach ging es ehrlich gesagt nicht weiter. Mein Leben unterscheidet sich signifikant vom Leben einer nichtbehinderten Mutter, denn nur das engmaschige Hilfsnetz aus Assistentinnen, Omas, Nachbarinnen ermöglicht mir das Muttersein. Ich bin also kaum alleine mit meinen Kindern, die inzwischen fünf und zwei sind. Meine Helferlein sind keine Babysitter, sondern Personen, die meine Beine ersetzen, die trotzende Kinder vom Boden aufheben und heimtragen, Kinder gerade noch erwischen, bevor sie auf die Straße laufen, Spielzeug nach einem Streit ohne Einigung auf den höchsten Kasten deponieren, wo Kinder – und auch ich – nicht hinkommen.

Barbara Sima-Ruml ist mit ihren Kindern selten alleine
Barbara Sima-Ruml ist mit ihren Kindern selten alleine © Jürgen Fuchs

Kinder merken zwar, die Mama kann nicht alles, das bedeutet aber nicht automatisch, dass sie das auch mit Verständnis quittieren. Aktuell versteckt sich mein Sohn gern unter dem großen Esstisch und ich bringe ihn von dort nicht mehr alleine raus. Da ich morgens mit meinen Kindern alleine bin, heißt es, alle Tricks anwenden, die in einer gesunden Mutter-Kind-Beziehung erlaubt sind. Dann bringe ich die Kids in die Kinderbetreuungseinrichtung, damit ich arbeiten gehen kann. Ja, genau, denn auf eine Karriere möchte ich auch nicht verzichten, obwohl ich behindert bin, obwohl ich zwei Kinder habe. Ich habe hochgesteckte Ziele und möchte auch noch viel erreichen. Dafür arbeite ich auch hart und viel. Und auch da wieder – was für nichtbehinderte Mütter heute selbstverständlich scheint, wird an mir oft als „besonders bewundernswert“ hervorgehoben. Arbeiten auch noch – echt stark! Warum denn das bitte?

"Mama hat einen Umfaller gehabt!"

Da fand ich es fast, aber wirklich nur fast, erfrischend undiskriminierend, dass ich als zweifache Mutter einen klassischen Karriereknick verspürte. Als ich bei einem Telefonat für einen wichtigen Fachvortrag beiläufig erwähnte, ich hätte zwei Kinder, war das Gespräch sofort beendet. Kein Interesse mehr, weil kann ja sein, dass ich ausfalle, wenn ein Kind krank wird! Also nicht wegen der Behinderung Karriereknick, sondern wegen der Kinder. Gleiches Problem wie viele Mütter in Österreich, oder? Macht es aber auch nicht besser!

© Jürgen Fuchs

Vielleicht ist meine Familie also doch nicht so anders, obwohl mir tagtäglich vermittelt wird, ich, nein, wir seien so ungewöhnlich. „Mama sitzt im Rollstuhl, weil sie einen Umfaller gehabt hat“, wie meine Tochter zu sagen pflegte, wenn jemand wieder einmal blöd gegafft hatte. Egal, wo wir hinkommen, jedes Mal ist es für die anderen etwas Besonderes, eine Mama im Rollstuhl mit zwei Kleinkindern und Assistentin anzutreffen.

Ich wünsche mir Barrierefreiheit

Es ist ein tägliches Outing, ein Permanent-ausgesetzt-Sein, -beobachtet-Sein. Ich gehe mit meiner Tochter zum Ballettunterricht und werde angestarrt. „Was macht denn die da?“, höre ich tuscheln. Ich betrete mit Sohn und Assistentin die Garderobe beim Geräteturnen, plötzlich herrscht Stille. Eine Mutter fragt mich, warum ich denn hier bin, wenn ich doch dem Kleinen ohnehin nicht helfen könne. Dass mein Kind mich gerne dabei hätte oder auch ich gerne sehen würde, wie er das erste Mal über eine Langbank läuft und dann runterrutscht, ist offenbar irrelevant.

Am liebsten würde ich rausschreien: „Mein Leben ist perfekt!“, aber das darf man ja nicht so einfach sagen, so im Rollstuhl und so. Ich darf nicht damit prahlen, dass ich mit meinem Mann eine tolle Ehe führe, dass ich stolz auf meine Kinder bin, dass mein Berufsleben fordernd ist und wie super ich das auch finde. Meine Kinder sind nicht nur Wunschkinder, sie sind auch absolut perfekt und umgekehrt lieben sie mich so, wie ich bin. Es gibt in meinem Leben nichts, das ich ändern würde. Obwohl, eine Sache wünsche ich mir schon: Ich wünschte, Menschen mit Behinderungen würden in Österreich nicht so auffallen, so besonders sein. Dann wäre die umfassende Barrierefreiheit der gebauten Welt auch keine Ausnahme mehr, sondern die Regel. Wir Menschen mit Behinderungen würden endlich als Teil der Gesellschaft gesehen werden. Ob ich das noch erleben werde?