„Tatsächlich wurde ich während meiner Zeit in Venedig nie ganz das Gefühl los, aus dem Parkett herausgefischt und auf eine Art bewegliche Bühne geführt worden zu sein, um unaufhaltsam in ein sich stetig verdüsterndes Drama hineingezogen zu werden.“ Das Gefühl trügt nicht! Evelyn Dolman, eher minderbegabter Schreiberling aus London, reist mit seiner frischvermählten Braut nach Venedig und verliert dort, in der Stadt der Masken, immer mehr den Boden unter den Füßen. Die Braut verschwindet bald spurlos, dafür taucht ein ominöses Geschwisterpaar auf, das den unbedarften Briten gnadenlos in ein Netz aus Lügen und Intrigen spinnt. Wir schreiben übrigens das Jahr 1899.

Wie der irische Schriftsteller John Banville in seinem neuen Roman „Schatten der Gondeln“ (im Original: „Venetian Vesper“) seine Hauptfigur und somit uns Leser an der Nase herumführt, ist ein großes Lesevergnügen und spannend obendrein. Nichts ist, wie es scheint; alles Täuschung, alles ein durchtriebenes Spiel, das Evelyn Dolman bis zuletzt nicht durchblickt. Zunehmend verwirrt und buchstäblich benebelt irrt er durch diese schwer zu fassende, durchtriebene Stadt. Die Odyssee endet mit seiner moralischen Kapitulation - und der (erneuten) Erkenntnis, dass John Banville ein gewiefter literarischer Verführer ist, der sich auf dem doppelten Boden der Lagunenstadt mit traumwandlerischer Sicherheit bewegt.  

Und alle Qualitäten von Banville, die er bereits in großartigen Romanen wie „Das Buch der Beweise“, „Sonnenfinsternis“, „Die See“ oder zuletzt „Singularitäten“ zu literarischer Meisterschaft gebracht hat, sind auch hier vorhanden: atmosphärische Dichte, mysteriöse Unterfütterung, stilistische Grandezza. Obwohl eingeräumt werden muss, dass „Schatten der Gondeln“ nicht zum stärksten Werk des Iren zählt. Das mag auch daran liegen, dass es Banville diesmal mit einer mächtigen Gegenspielerin zu tun hat, die Konkurrenten gerne an die Wand spielt. Sie heißt La Serenissima.


John Banville. Schatten der Gondeln. Kiepenheuer & Witsch, 377 Seiten, 25,50 Euro. 

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