"Wir sind empört, mit welcher Dreistigkeit es bei Regierungsverhandlungen zum Thema ORF ausschließlich um die Interessen der politischen Parteien und Postenschacherei geht. Und wie Führungsfunktionen im ORF mit großer Selbstverständlichkeit unter den Regierungsparteien aufgeteilt werden", teilt der ORF-Redakteursrat am Montagmorgen in einer Aussendung mit und nimmt Bezug auf die "Sideletter" der türkis-blauen- und der türkis-grünen-Regierung. Beide waren in den vergangenen Tagen publik geworden.

Besonders groß ist der Ärger über den Sideletter zwischen ÖVP und FPÖ. Diese hatten in ihrem nicht offiziellen Regierungsprogramm die Einführung einer Budgetfinanzierung des ORF paktiert. Das hätte zu einer "massiven Schwächung des ORF und die Gefährdung seiner Unabhängigkeit" zur Folge gehabt, empören sich die Redakteursratsmitglieder Dieter Bornemann, Peter Daser und Margit Schuschou.

Und weiter: "Als 'kurzfristige Maßnahmen' werden in diesem Papier die Besetzung von Führungsfunktionen im ORF mit konkreten Namenskürzel aufgelistet. Funktionen, für deren Besetzung aber weder die Parteichefs, noch die Regierung und auch nicht der Stiftungsrat zuständig sind.

Gleichzeitig soll der nach parteipolitischen Kriterien besetzte Stiftungsrat noch mehr Einflussmöglichkeiten auf Personal- und Finanzentscheidungen bekommen. Die Geschäftsführung soll streng nach Proporz von den beiden Regierungsparteien besetzt werden."

Postenschacherei muss enden

Der Redakteursrat bezeichnet die Vorgehensweise der Regierungsparteien als "Bruch mit der Verfassung und dem ORF-Gesetz". Dort sei in §1 die „Sicherung der Objektivität und Unparteilichkeit … sowie die Unabhängigkeit von Personen und Organen des Österreichischen Rundfunks" festgeschrieben. Über parteipolitisch paktierte Besetzung von Führungsfunktionen sei weder in der Verfassung noch im ORF-Gesetz etwas zu finden. "Wir verurteilen diese Postenschacherei auf das Schärfste und fordern ein sofortiges Ende dieser langjährigen Praxis", heißt es in der Aussendung.

Mit diesem Vorgehen untergrabe die Politik "das Vertrauen des Publikums in den ORF und frustriert alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die jeden Tag daran arbeiten, das Publikum bestmöglich und unabhängig zu informieren – ohne politische Schlagseite." Hearings und Bewerbungsprozesse drohen zu einem "Schmierentheater" zu verkommen, "wenn von vorneherein in Koalitionsabkommen festgelegt wird, wer in welche Position gehievt werden soll."

Konkrete Kritik übt der Redakteursrat auch an dem im Sideletter festgelegten Nominierungsrecht des neuen Stiftungsratsvorsitzenden durch die Grünen. "Damit entsteht der Eindruck eines Staatsfunks, der Aufträge der Regierung abzuarbeiten hätte. Das gefährdet den Ruf und die Unabhängigkeit der Berichterstattung. Eine zentrale Aufgabe des ORF ist die journalistische Kontrollfunktion der Politik und nicht die Abwicklung staatlicher Initiativen." Der ORF sei weder ein "Hilfsorgan der Regierung", noch eine politische Vorfeld-Organisation, in der Parteien oder die Regierung zu Personalentscheidungen berechtigt wären: "Der ORF gehört den Österreicherinnen und Österreichern und nicht den Parteien!"

Konkrete Forderungen des Redakteursrats

  • Den sofortigen Rückzug aller Personen aus dem Stiftungsrat, die ganz offensichtlich im Sinne von Parteien agieren und nicht zum Wohl des Publikums, des Unternehmens und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wer mit der Politik über Posten verhandelt, hat in einem unabhängigen ORF nichts verloren.

  • Ein neues ORF-Gesetz, dass sicherstellt, dass ausgewiesene Fachleute in den Aufsichtsgremien sitzen und der Einfluss der Parteien zurückgedrängt wird. Transparente Posten-Besetzungen auf allen Ebenen – Qualifikation und Können müssen die Karriere bestimmen und nicht die echte oder vermeintliche Zugehörigkeit zu einer politischen Gesinnungsgemeinschaft.

  • Bereits im Juni sollen die Redaktionen von Radio, TV, Online und Teletext in einem gemeinsamen Newsroom zusammengelegt werden. Hier muss sichergestellt sein, dass nicht eine einzelne Person entscheiden kann, was auf den Informations-Kanälen des ORF berichtet wird. Binnenpluralität und redaktionelle Eigenverantwortlichkeit müssen für alle Medien – Radio, TV, Online, Teletext – garantiert sein.

  • Ein neues Redaktionsstatut, das echte Mitsprache und Mitbestimmung bei der Besetzung von journalistischen Führungsfunktionen sicherstellt – so wie es in zahlreichen Qualitätsmedien in Österreich und im Ausland seit vielen Jahren üblich ist. Damit wird sichergestellt, dass nicht die Parteien bestimmen, wer in den Redaktionen das Sagen hat.

  • Wir appellieren an Medienministerin Susanne Raab, möglichst rasch einen Medienkonvent zu organisieren, um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Senders in Österreich zu diskutieren. Denn die Unabhängigkeit von Personen und Organen im ORF darf nicht länger partei-taktischen Interessen geopfert werden.