Er spielt in der Oberliga der deutschsprachigen Schauspieler. Am 10. Februar 2019 wurde UlrichMatthes, 61, auch – als Nachfolger von Iris Berben – zum Präsidenten der Deutschen Filmakademie gekürt. Seit der Saison 2004/05 ist er festes Ensemblemitglied am Deutschen Theater in Berlin. Er gastierte auch schon am Wiener Burgtheater und bei den Salzburger Festspielen. Jetzt sehen wir ihn in der Verfilmung des Theaterstückes „Gott“ von Ferdinand von Schirach im ORF. ORF2 sendet am 4. März um 22.30 Uhr und zeigt zuvor eine "Schauplatz Gericht Spezial" zum Thema.

Stück und Film heißen „Gott“. Sie spielen den theologischen Sachverständigen und Bischof Helmuth Thiel. Also einen Mann Gottes. Glauben Sie persönlich an Gott?
ULRICH MATTHES: Nein. Ich komme aus einer religiös unmusikalischen Familie, genoss eine sehr liberale Erziehung, wurde zwar konfirmiert, bin aber sonst nie in die Kirche gegangen. Meine Eltern hatten zwar ein respektvoll-freundliches Verhältnis zur Religion, doch das ging nicht so weit, dass sie mich bereits in der Kindheit aufgefordert hätten, als religiöser Mensch glücklich zu werden. Mit 19 bin ich aus der Kirche ausgetreten.

Woran glauben Sie dann?
An Respekt, verbunden mit Privatethos und Immanuel Kants kategorischem Imperativ. Einfach ausgedrückt: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg’ auch keinem andern zu. Daran versuche ich mich zu halten.

Im Zusammenhang mit Ihrem Leben darf man sich darüber ein bisschen wundern. Denn Ihre Rettung fand sozusagen statt, als Sie noch gar nicht geboren waren. Ihre mit Ihnen im fünften Monat schwangere Mutter wurde von einem Auto angefahren, flog 13 Meter durch die Luft und wurde schwerstens verletzt. „Das Kind“, lautete die Meinung der Ärzte, „kann man vergessen“.
Meine Mutter hatte einen gebrochenen Schädel und ein zertrümmertes Bein. Als aber ihr altgedienter, über siebzigjähriger Chirurg dann vor ihr stand und ich – sogar am vorbestimmten Tag – prächtig zur Welt kam, kamen ihm tatsächlich die Tränen. Er meinte: „Wissen Sie, Frau Matthes, ich gehe mit dem Wort ‚Wunder’ sehr sparsam um, doch im Zusammenhang mit Ihnen möchte ich es doch gerne verwenden“.

Ein Wunder also, und dennoch kein Wunder Gottes?
Na ja, meine Mutter, die jetzt 96 ist, glaubt halt nicht so richtig an einen christlichen Gott. Doch sie sagte immer etwas, dem ich mich auf fast kindliche Weise anschließe: Irgendein Schutzengel wird schon über uns beide gewacht haben. Aber generell bin ich Agnostiker.

Zum Bischof Thiel in „Gott“, der vor einer Ethikkommission aus Sicht der Kirche darüber urteilen soll, ob ein an sich gesunder 78-jähriger Mann, der nach dem Tod seiner Frau im Leben keinen Sinn mehr sieht, Sterbehilfe beanspruchen darf. Was halten Sie von diesem Mann?
Er ist natürlich Teil der katholischen Kirche, der ich für ihre Dogmatik kritisch gegenüber stehe, auf der anderen Seite habe ich versucht, ihn als klugen, empathischen Menschen zu spielen. In seiner Glaubensorientierung ist er natürlich der Ansicht: Gott hat uns das Leben gegeben, und nur er darf es uns auch nehmen. Wenn einer gläubig ist, verstehe ich diese seine Position. Er versucht zumindest, zum Nachdenken zu kommen, ob der Entschluss des in unserem Film todeswilligen Herrn Gärtner nachfühlbar ist. Ich finde übrigens auch den jetzigen Papst klug und sympathisch. Ich möchte fast sagen, dass er ein lustiger Mann und nicht so durchgerüttelt vom Glauben ist. Konnte man vielleicht auch von Wojtyla sagen. Weniger wohl von Ratzinger. . .

In Deutschland ist Sterbehilfe erlaubt, und auch in Österreich hat es jüngst diesbezüglich Änderungen gegeben. Finden Sie diesen Weg richtig?
Zunächst einmal: Sicher soll das Selbstbestimmungsrecht des Menschen hochgehalten werden. Zweitens aber: Das Urteil geht so weit, dass es der Gesetzgeber modifizieren und verfeinern müsste. Denn dass eine 20-Jährige, vielleicht aus Liebeskummer, sterben möchte oder jemand anderer, weil er Pleite gemacht hat, das geht natürlich nicht.

Die allgemeine Ansicht ist: Dazu würde sich ohnehin kein Arzt als Helfer hergeben. Aber jetzt ein Sprung zu Ulrich Matthes, dem Schauspieler. Sie waren, mit einem legendären Kleist-Abend, auch Gast am Burgtheater, hatten sogar ein Vertragsangebot vom damaligen Direktor Claus Peymann. Warum haben Sie es nicht angenommen?
Weil mir im entscheidenden Moment ein Vertrag an der Berliner Schaubühne lieber war.

Ähnlicher Individualismus regte sich bei Ihnen auch, als Sie Regisseur Peter Weir für einen Hollywood-Film mit Tom Hanks als Partner absagten. War sicher kein einfacher Entschluss?
Klar habe ich hin und her überlegt. Aber da war plötzlich ein Angebot vom Deutschen Theater Berlin da, unter der Regie von Christian Petzold und mit Nina Hoss als Partnerin in Arthur Schnitzlers „Der einsame Weg“ mitzuwirken. Nun liebe ich Schnitzler über alle Maßen, Stephan von Sala im „Einsamen Weg“ ist eine der wichtigsten Rollen der Weltliteratur und Nina Hoss eine der wunderbarsten Schauspielerinnen Europas. Ich habe mich gefragt: Wenn ich mit 102 Jahren einmal auf mein Leben zurückblicke, welches Angebot wird dann schöner gewesen sein? Ich kam zum Schluss: Arthur Schnitzler, den konnte Hollywood einfach nicht toppen. Übrigens hat dann Tom Hanks doch nicht die Hauptrolle gespielt, sondern Colin Farrell. Der Film hat dann bei uns übrigens „Der lange Weg“ (im Original „The Way Back“) geheißen, aber ich hatte mich für den „Einsamen Weg“ entschieden.

Auch in Berlin machen Sie nun, wie wir in Österreich, einen harten Corona-Lockdown durch. Den ersten Lockdown haben Sie, wie Sie jüngst erzählten, mit Netflix, Lösen von Kreuzworträtseln, dem neuerlichen Lesen von Thomas Manns „Der Zauberberg“, telefonieren, Liegestützen und der Zubereitung von Tomatensalat bewältigt. Gibt es nun, für das neuerliche Eingesperrtsein, noch eine Variante?
Ja, besorgen Sie sich schnell die Filme „Die nackte Kanone 1-3“. Damit Sie was zu lachen haben. Denn Lachen ist jetzt wichtiger denn je.