In Ihrem Buch „Himmlisch frei“ ist der Satz zu lesen: „Der Himmel ist leer geräumt, die Gottheiten haben ausgedient. Und wenn nicht, sind sie Konsumgüter im Supermarkt möglicher Weltanschauungen und Religionen.“ Laut einer aktuellen Umfrage glauben aber nach wie vor mehr als 50 Prozent der Österreicher an einen persönlichen Gott. Ein Widerspruch?
RENATA SCHMIDTKUNZ: Das widerspricht sich nicht. Wenn man Menschen eine solche Frage vorlegt, haben sie meist nur die Möglichkeit, mit „Ja“ oder „Nein“ zu antworten. Was ich beschreibe, ist mehr ein gesellschaftlicher Befund als eine subjektive Aussage oder Annahme. Religion spielt de facto in unserer Gesellschaft nicht mehr so eine große gesellschaftlich relevante Rolle wie noch vor zehn oder 15 Jahren. Das wiederum sagt etwas aus über die Übereinkunft, die unsere Gesellschaft getroffen hat. Ein Beispiel dafür ist die seltsame Diskussion über die kirchlichen Feiertage. Das waren bisher Dinge, die einfach gegolten haben. Und jetzt sagt man, jeder darf sich seinen persönlichen Urlaubstag nehmen, und nicht: Das sind die Traditionen, in denen wir groß geworden sind. Was wir sehen und feststellen, ist eine stetig vorangetriebene Spaltung unserer Gesellschaft. Und dagegen schreibe ich mit meinem Buch an.

Die Bundesregierung hätte den Karfreitag auch zum Feiertag für alle erklären können, aber aus wirtschaftlichen Gründen eine Kehrtwende gemacht. Sehen Sie sich in Ihrer These bestätigt, dass wir anstelle von Materialismus und Effizienz-Denken „wieder mehr Transzendenz brauchen“?
RENATA SCHMIDTKUNZ: Ganz bestimmt brauchen wir ganz grundsätzlich denkerische Alternativen zum zurzeit herrschenden Materialismus und dem verhängnisvollen Effizienz-Denken. Alles in unseren Gesellschaften zielt darauf ab, nur mehr im Hier und Jetzt zu sein, in der – wie Peter Sloterdijk es nennt – „absoluten“ Welt. Aus dem Bürger, der Bürgerin, wird der Konsument, die Konsumentin. Alles Poetische, über die Grenzen Hinausführende wird zusehends verdrängt. Dabei hätten wir die Fähigkeit, über die Grenzen des Materiellen und des rein Vorfindlichen hinauszudenken. Wir könnten Utopien und Ideen entwickeln, uns von Grenzen, die uns mit ideologischen Sätzen wie „Es gibt keine Alternative“ gesetzt werden, befreien und fragen: Wie können wir als Gemeinschaft, als Gesellschaft, miteinander ein gutes Leben leben? Und wir könnten versuchen, Probleme zu lösen, mit denen wir gerade konfrontiert sind, vom Klimawandel bis hin zu sozialen Ungerechtigkeiten.


Heimische Radiohörer kennen Sie vor allem als eloquente Fragestellerin und Leiterin der Ö1-Reihe „Im Gespräch“. War es für Sie ungewohnt, in die Rolle der Vordenkerin und Interviewten zu wechseln?
RENATA SCHMIDTKUNZ: Das ist natürlich ein Rollenwechsel. Aber ich bin seit 30 Jahren Journalistin, habe wahnsinnig viel gelernt in dieser Zeit, bin sehr vielen interessanten Menschen begegnet und habe mich mit vielen Gedanken auseinandergesetzt. Das hat meinen Blick geschärft und mich fragen lassen, was ist da eigentlich los in unserer Gesellschaft? Die absolute Präsenz von Konsumismus, Technologie und Materialismus ist ein Thema, das ich irgendwann behandeln wollte, weil ich seit zehn Jahren beobachte, dass die Dinge ihren Glanz verlieren.


An welchen Glanz denken Sie?
RENATA SCHMIDTKUNZ: Dinge haben ihren Glanz, wenn sie etwas ganz Besonderes für uns bedeuten. Ich habe in dem Buch ja auch über das Heilige nachgedacht. Wenn man jemanden fragt: Was ist dir heilig? Dann sagt er vielleicht Liebe, Treue, Familie, Ehre oder Asyl. Viele Leute sagen, uns sind Berge heilig. Ich bin religionsgeschichtlich zurückgegangen in die Zeit, wo diese Zuschreibungen von Heiligkeit entstanden sind. Und es zeigt sich ganz klar, dass wir Dinge für heilig erachten, die wir ganz dringend zum Überleben brauchen. Die wichtigste Erkenntnis meiner Recherche war, dass sich religiöses Empfinden und Denken genauso evolutionär entwickelt hat wie alle Natur um uns herum, Pflanzen und Tiere und der Mensch selbst. Leben heißt immer Veränderung. Darum kann ich diesem Spruch „There is no alternative“ überhaupt nichts abgewinnen.

Auch Sie selbst haben einige Wandlungen erlebt. Als Tochter einer evangelischen Pfarrersfamilie, die in Kärnten aufgewachsen ist, haben Sie zunächst Theologie studiert, um schließlich aus der Kirche auszutreten ...
RENATA SCHMIDTKUNZ: ... und auf den Tag genau nach sieben Jahren wieder einzutreten, was ich im Buch aber nicht erwähne. Schon als ich ausgetreten bin, habe ich mich gefragt: Wie werde ich ohne Kirche leben können? Wie macht man das, wo man doch dazu gehört zu einer bestimmten Kultur, zu einer bestimmten Art des Denkens? Dann bin ich aufgrund der guten Predigten meiner Pfarrerin wieder eingetreten, weil ich gerne einer Gemeinschaft angehöre, die über jeden Menschen sagt: Einfach weil du da bist, hast du einen Wert, ohne dass du etwas leisten oder darstellen musst. Das hat mir gefehlt in dem manchmal so zynischen Alltag.