Zweimal pro Tag wird auf „BBC Radio 4“ das Wetter für Schiffsmannschaften und Menschen, die in Küstennähe leben, verlesen. „Shipping Forecasts“ sind nicht nur für Seebären eine unerlässliche Institution. Für die BBC selbst, das leidgeprüfte britische Medienbollwerk, herrscht seit Jahren, Tag für Tag die gleiche Wetterprognose: Sturmwarnung. Man ist also bei der British Broadcasting Corporation so einiges gewöhnt. Das gilt auch für Tim Davie, der seit 2020 den Job des Generaldirektors innehatte. Doch mit der Riesenwelle, die sich seit längerem aufgebaut hat, hat er wohl nicht gerechnet. Das hat vor allem auch damit zu tun, dass die Causa als Welle über den großen Teich geschwappt und als Tsunami zurückgekehrt ist.
Doku ist Wasser auf den Mühlen der Kritiker
Hintergrund ist die eine Woche vor der US-Wahl 2024 ausgestrahlte Fernsehdoku „Trump: A Second Chance?“ über die Rede von Donald Trump Anfang Jänner 2021. Der Vorwurf: Besagte Rede soll in der Doku auf irreführende Weise zusammengeschnitten worden sein, sodass der Eindruck entstanden ist, dass Trump, der die Wahl gegen Joe Biden verloren hatte, seine Anhänger zum Sturm auf das Kapitol aufgerufen habe. All das ist Wasser auf den Mühlen der rechtskonservativen Kritiker der BBC, die der Sendeanstalt eine Voreingenommenheit und tendenziell linke Berichterstattung vorwerfen. Anderen wiederum ist die Rundfunkanstalt, die 2020 ihr 100. Geburtstag gefeiert hat, zu wenig überparteilich. Dass der 58-jährige Davie nun den Hut genommen hat, kam unerwartet, selbst der BBC-Verwaltungsrat sei überrascht gewesen, wie es aus dem Umfeld des Senders geheißen hat.
Auch das Image der BBC ist angekratzt
Gut möglich, dass der Schleudersitz des Generaldirektors Tim Davie am Ende des Tages dann doch zu heftig gewesen ist. Während seiner Amtszeit musste er nicht nur gegen die üblichen Stürme kämpfen, die die Rundfunkanstalten im Zuge eines veränderten Mediennutzungsverhaltens erfasst hatten – auch die BBC musste zuletzt den Rückgang von Haushaltszahlern hinnehmen. Diverse Aufreger haben dann auch noch am Image der – von vielen Briten gerne als „Auntie“ (Tante) bezeichneten – BBC gekratzt. Von der Kontroverse um die politischen Äußerungen des Sportmoderators Gary Lineker bis hin zur öffentlichen Ausstrahlung vom Auftritt des Punk-Rap-Duos Bob Vylan beim Glastonbury-Festival, das auf der Bühne den Slogan „Death, death to the IDF“ (Tod den israelischen Streitkräften) skandierte.
Bis eine Nachfolge gefunden ist, wird Timothy Douglas Davie, der in Cambridge Anglistik studiert hat, im Amt bleiben. Dann dürfte der verheiratete Vater von drei Söhnen wohl in ruhigere Gewässer segeln. Für die BBC gilt das nicht, Trump droht ihr mit einer Klage über eine Milliarde Dollar, sollte man sich nicht entschuldigen und die Doku zurückziehen. Aber in London hat man bekanntlich das raue Seewetter immer gut im Blick.