Kleine Zeitung

Unsere Kritik

Standard

Regisseur Romeo Castellucci ist nicht nur bei Giovannis Todesqualen der präzise Gestenpsychologe. Diesmal jedoch serviert er auch Materialschlacht und optische Knalleffekte. Dirigent Teodor Currentzis und sein music Aeterna Orchestra sind an das ganze Ideengeflecht Castelluccis gewissermaßen mitatmend seelisch gebunden. Der originelle Extremist, der schon mal eine ganze Giovanni-Einspielung zurückgezogen hat, da sie nicht seinen Vorstellungen entsprach, sucht den drastischen Akzent; brutal schneiden manche Akkorde in die Szenen hinein. Es ist dabei allerdings nichts Selbstzweck, es wirken die Akzente dramaturgisch sinnvoll.

Die Presse

Romeo Castellucci liefert zum Festspieljubiläum mit enormem Aufwand ein säkulares Mysterienspiel der Rätsel und Assoziationen rund um eine zerstörerische, aber ewige Naturkraft, ein Pendant zum „Jedermann“. Teodor Currentzis begeistert seine Fans mit unausgesetzten Explosionen und Extremen. Nach über vier Stunden: Jubel im Großen Festspielhaus.

Salzburger Nachrichten

Mozarts Dramma giocoso bei den Salzburger Festspielen, das weckt hohe Erwartungen. Teodor Currentzis' delikates Klangkonzept und Romeo Castelluccis spektakuläre Bilderflut hüllen die Oper aller Opern in ein neues Licht. Nach einem Jahr Verspätung ist diese Produktion nun auf die Bühne gekommen. Die hohen Erwartungen werden zu weiten Teilen erfüllt. Castellucci lässt eine Bilderflut auf die Zuseher los, die spektakulär ist, aber den Besucher auch vor Rätsel stellt, wie man es nicht zuletzt von seiner „Salome“ kennt.

APA (Austria Presse Agentur)

Regisseur Romeo Castellucci und Dirigent Teodor Currentzis waren mit viel Vorschusslorbeeren ins Rennen gegangen. Von einem "Dreamteam" sprach nicht nur Festspiel-Präsidentin Helga Rabl-Stadler, "einen der allerungewöhnlichsten 'Don Giovannis', die man überhaupt erlebt hat", hatte Intendant Markus Hinterhäuser angekündigt. Letzteres stimmt wohl. Gänzlich glücklich wird man jedoch nicht mit ihm. Hatte Castellucci 2018 für seine "Salome" ein klares und in jeder Sekunde schlüssiges Konzept der Reduktion auf einige wenige rätselhafte Zeichen gehabt, überfrachtet er den "Don Giovanni" nun mit einer Fülle von Einfällen, von denen manche banal, andere überkompliziert wirken. Hatte Currentzis 2017 bei seinem Festspiel-Debüt mit "La Clemenza di Tito" elektrisiert und die Tempi bis zum Zerreißen gespannt, so wirkt dieser vom musicAeterna Orchestra dargebotene Mozart verhalten, weich gezeichnet und wohltemperiert. Dieser "Don Giovanni" zielt auf ein größeres Ganzes - was ihn freilich viel Schwung kostet.

ORF

Angekündigte Revolutionen und befürchtete Skandale finden bekanntlich nicht statt. Aus dem „Mausoleum“ würde Teodor Currentzis Mozarts Klassiker holen. Das hat Regisseur Romeo Castellucci im Vorfeld der mit Spannung erwarteten Salzburg-Premiere des gemeinsamen „Don Giovanni“ versprochen. Der Montagabend zeigte: Der wahre Revolutionär stand hinter dem Pult. Castellucci dagegen hatte so viele Ideen aus seinem Werkkatalog in der Tasche, dass er zum Schürzenjäger seiner eigenen Ideenmaschinerie wurde. Das Publikum war begeistert und auch übersättigt von diesem Feuerwerk an Einfällen, die alle hinter einem Gaze-Vorhang gezündet wurden. Auch zur Tradition geht man 2021 lieber auf Sicherheitsabstand.

BR Klassik (Bayerischer Rundfunk)

Der neue Salzburger „Don Giovanni“, dirigiert von Teodor Currentzis und inszeniert von Romeo Castellucci, ist ästhetische Schwerstarbeit. Salzburg zeigt, was es alles drauf hat: Auf der Riesenbühne des Großen Festpielhauses tobt eine symbolschwangere Materialschlacht und im Orchestergraben ein Maximum an Tempo- und Langsamkeitsrekorden.

Die Welt

„Don Giovanni“, die erste Oper die bei den Salzburger Musikfestspielen 1923 noch auf deutsch als „Don Juan“ erklang, sie wird in deren 101. Jahr ein wenig mutwillig gemetzelt und gefleddert, totschlagen kann man sie ja nicht. Dabei wird sie scheinbar doch ungekürzt gespielt – und ist schnell das unwichtigste Element dieses eitel auftrumpfenden, bedeutungshubernden Abends. Der freilich wird zum kritiklos bejubelten Triumph originalitätssüchtiger Adepten über ein hier nur noch unter ferner liefen existentes Meisterwerk. Das Publikum genießt, labt sich an der lange entbehrten Musik, an gespreizt ausgestellten schönen Klangstellen und erlesen inszenierten, mal rätselhaften, mal banalen, sehr oft kitschigen Arienarrangements, denen pfeilschnell jegliche Story abhanden kommt.

FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

"All das, was alten Musik-Generälen wie Karajan und Solti vorgeworfen wurde - die Gesten der Macht -, führt Currentzis mit der Attitüde des Provokateurs wieder ein. Aber vielleicht wird irgendwann ein steinerner Gast an seine Pforten pochen und sagen, was der Commendatore dem Sünder zuruft: 'Di rider finerai pria dell'aurora" - Dir wird das Lachen vergehen, bevor der Tag anbricht.'"

NMZ (Neue Musikzeitung)

"Teodor Currentzis legt mit den Musikern seines musicAeterna Orchestra in der Ouvertüre krachend und knarzend los und er macht aus der Champagnerarie mit hochgefahrenem Graben und stehenden Musikern eine Showeinlage, die sich gewaschen hat. ... Oder umgekehrt. Currentzis ist zwar wie immer eigensinnig mit seinen Tempi, aber diesmal ausgesprochen einfühlsam und geradezu zärtlich beim Umschmeicheln der Stimmen des durchweg vorzüglichen, wirklich miteinander singenden Ensembles."

Süddeutsche Zeitung

"Das ist der beunruhigende Kern dieser Aufführung, so radikal und verstörend kommt dieses Axiom sonst nie heraus. Der Bühnendialektiker Castellucci zeigt die zerstörerischen Folgen dieses absoluten Begehrens. Die Bekenntnisse zur als Freiheit gedeuteter Libertinage, zu Wein, Haut Cuisine und Frauen, enden im Zusammenbruch des Helden. Die Hölle bricht aus Giovanni heraus. Er reißt sich den Anzug vom Leib, wälzt sich nackt in weißer Kreidefarbe. Es ist einer der großen magischen Momente von Theater, auch deshalb, weil nackte Opernsänger eine Seltenheit sind."

Tagespiegel

100 Meter breit ist das Bühnenportal im Großen Festspielhaus in Salzburg, 25 Meter tief der Bühnenraum. Hier hat Romeo Castellucci ausreichend Platz gefunden für seine 1003-plus-x Schnapsideen zu „Don Giovanni“. Castellucci ist der zur Zeit meistumschwärmte Zampano musikferner Opernregie, er gilt als Alleinherrscher über alle ungelösten Bilderrätsel.  Seine Neuinszenierung dieser Mozartschen DaPonte-Oper, die im August 1922 als erste Oper der Salzburger Festspiele überhaupt unter Stabführung von Richard Strauss aufgeführt worden war, ist heuer das mit Abstand kostbarste Juwel im Reigen der Centenarfeier-Premieren: pompös ausgestattet, mit den meisten Mitwirkenden, dem größten technischen und logistischen Aufwand.

Frankfurter Rundschau

Das Ganze ist eine Riesensache, das muss man zunächst einmal feststellen. Das Prinzip Chaos lässt sich vom Prinzip Festspiele darstellen wie nirgends sonst, der neue „Don Giovanni“ ist überhaupt ein Triumph des Prinzips Festspiele, denn während die Prinzipien walten, bekommt das Publikum noch dazu Spektakel und Augenweide geboten. Die Bühne des Großen Festspielhauses ist gerade groß genug dafür. Ein Auto fällt von der Decke. Ein Klavier fällt von der Decke. Was glauben Sie, was das für Geräusche macht. Vom Graben aus lässt sich Currentzis mit dem Music-Aeterna Orchestra nicht nur an dieser Stelle alle Zeit der Welt. Bild und Ton greifen ineinander wie selten, und als Leporello seinen Herrn auffordert, doch von den Frauen zu lassen, entsteht angesichts dieser ungeheuerlichen Zumutung die vermutlich größte Kunstpause, die es je in einem „Don Giovanni“ gab.