"Sterne unter der Stadt" ist eine Liebeserklärung an Wien. Schlägt Ihr Herz auch für Wien?
VERENA ALTENBERGER: Ich liebe Wien! Die Stadt ist von beeindruckender Schönheit, man kann toll angeben mit ihr. Auch mit ihrer Vielfalt: Donauinsel, Donaukanal, Stephansdom, Alterlaa, Grinzing, Prater, Friedhof der Namenlosen, Zentralfriedhof. Es schwingt etwas Morbides mit. "Der Tod muss ein Wiener sein" – das kommt nicht von ungefähr. Wien hat was Abgründiges, manchmal was Versautes, das mag ich auch.
"Entweder du lebst dein Leben oder du riskierst etwas und verliebst dich", sagt die Großmutter einmal im Film zum Protagonisten Alexander. Bedeutet Liebe immer auch Risiko?
Ja! Hat etwas das Potenzial, richtig schön zu werden, hat es immer auch das Potenzial, richtig wehzutun. Diese Dualität ist der Welt einfach innewohnend. Genauso wie der Liebe.
Was kann man denn – im besten Fall – nach dem Einsatz des persönlichen Risikos ernten?
Darüber habe ich viel nachgedacht, weil mich der Ausdruck "starke Frau" so aufregt. Was ist eine starke Frau? Was ist Stärke? Warum sagt man es bei Frauen dazu und bei Männern seltener? Warum steht in einem Drehbuch, das eine komplexe Frauenfigur beschreibt, "starke Frau"? Für mich bedeutet Stärke emotionale Aufrichtigkeit. Also aufrichtig zu sein mit Empfindungen, Gefühlen, Ängsten, Wünschen, Hoffnungen und Sehnsüchten, die man hat. Damit kann man viel gewinnen.
Was denn?
Natürlich die Liebe, eine Form der Angstlosigkeit, vielleicht Zufriedenheit. Fragen mich Leute, ob ich mit meiner Arbeit zufrieden bin, lautet mein Maßstab nicht: War ich gut? Sondern: Habe ich mir mit aller Aufrichtigkeit und Authentizität gekämpft, und in diesem Sinn alles gegeben? Wenn ja, bin ich zufrieden.
Drogenmilieu, Pflegeeinrichtungen: Sie sind schon für viele Filme zur Vorbereitung in Milieus eingetaucht. Wie haben Sie sich auf diese Liebesgeschichte einer schwerkranken Frau vorbereitet? Tatsächlich musste ich mich wenig vorbereiten. Ich weiß sehr gut, wovon die Rede ist, weil meine Mama Krebs hatte und daran gestorben ist. Besonders gut erzählen können wir Geschichten aus unserem Leben. Das war für mich persönlich das Thema Krebs. Deshalb hatte ich das schon auf meiner Wunschliste an das Universum. Dass es in Form einer der schönsten Liebesgeschichten passiert, die ich je gelesen habe, war der ultimative Glücksfall. Es ist mir so viel lieber, so davon zu erzählen, als in einem schweren Drama. Lieber die Angst durch die Liebe besiegen.
Wie haben Sie die Krebserkrankung Ihrer Mutter erlebt?
Eine Krebs-Diagnose macht unendlich einsam. So eine Todesangst kann nur von Menschen nachempfunden werden, die so eine Diagnose bekommen. Wir waren uns als Familie sehr nah. Meine Mama war sehr offen zu uns, aber es hat immer diesen Punkt gegeben, an dem sie einsam war mit ihrer Angst. Dieses Gefühl blieb hängen.

Was hat Ihnen Ihre Mama mit auf den Weg gegeben?
So vieles. Mit der Muttermilch aufgesogen habe ich fast schon banale Sachen wie Naturverbundenheit, Umweltbewusstsein, Tierliebe. In späterer Reflexion – ich habe noch immer kein besseres Wort gefunden – einen positiven Egoismus. Sie hat immer zuallererst ihr Leben gelebt: ihre Träume, Hoffnungen und Wünsche. Sie hat immer gesagt, sie selbst muss 100 Prozent voll sein, bevor sie geben kann. Das ist ein schöner gesunder Ansatz, zuerst auf sich zu schauen. Nicht, weil ich das Wichtigste bin, sondern weil ich nachhaltig geben kann, wenn ich aus dem Vollen schöpfe.
Für diesen Film haben Sie sich die Haare rasiert, als Buhlschaft traten Sie mit Glatze auf. Hasstiraden, Diffamierungen und Beleidigungen waren die Folge. Was hat das mit Ihnen gemacht?
Neben den negativen Dingen ist auch viel Schönes passiert. Ich bekam sehr viele Nachrichten und Glatzen-Selfies aus dem Publikum. Frauen schrieben mir, sie wären nie ohne Perücke zu den Salzburger Festspielen gegangen, aber wenn die Buhlschaft ohne Haare auf der Bühne stünde, könnten sie das ebenso. Ich habe das auch deswegen gemacht, weil ich dem Thema gegenüber Verantwortung verspüre. Das überwiegt und überwog schon damals.
Nimmt der Hass mit Ihrer Popularität zu? Oder wird Ihnen das mehr egal?
Egal wird mir das nie! Es ist wichtig zu verstehen, dass es keinen Hass im Netz gibt – es gibt nur Hass. Alle Leute, die sich schlecht fühlen, weil sie eine blöde Nachricht bekommen, haben zu Recht ein schlechtes Gefühl. Die Leute, die denken, sie schreiben semianonym etwas ins Netz, müssen wissen: Am anderen Ende sitzen Menschen, denen das wehtut.
Ist das der Grund, warum Sie auf Ihren Social-Media-Kanälen dagegen kämpfen?
Ja! Um zu sagen: Ich bin's, ein Mensch! Und deine Nachricht ist gerade bei mir angekommen: Magst du es wiederholen? Dann ist klar, du bist du einer, der hasst. Magst du es mir erklären, dann kommen wir vielleicht ins Gespräch und lernen beide was? Oder magst du dich gar entschuldigen?
Wirkt das?
Ja, oft. Und wenn ich nur irgendjemanden zum Nachdenken bringe, bin ich schon froh, dass ich etwas gemacht habe. Das ist auch wichtig für alle, die mitlesen.
In "Sterne unter der Stadt" wird eine bezaubernde Märchenwelt voller Vintage-Möbel und alten Dingen gezimmert. Wie halten Sie es damit?
Bestes Beispiel: Heute ist ein aufregender Tag für mich: Kulturmontag, Aufzeichnung von "Willkommen Österreich", zig Interviews. Ich habe folgendes dabei: ein Armband der einen Oma, eine Uhr der anderen, einen Ring von meinem Papa, den Verlobungsring meiner Mama. Diese Dinge helfen mir. Ich finde es mehr als okay, dass Dinge eine Bedeutung haben, romantisiert werden.
"Polizeiruf" und "Buhlschaft": 2022 war das Jahr der Abschiede. Was kommt 2023?
Ich habe soeben ein Kinodebüt im Schwarzwald abgedreht und stehe im Sommer und Herbst für zwei neue Kinofilme vor der Kamera, wozu ich noch nicht mehr sagen darf. Und: Ich darf einen Mann spielen. Das freut mich sehr, das stand schon lange auf meiner Bucket-List.
"Griechenland" ist Nummer 1 der Kinocharts, 100.000 Besuche für "Der Fuchs": Eine Frage an Sie als Präsidentin der Akademie des Österreichischen Films – ist das Austro-Kino im Aufwind?
Ich finde es wichtig, diese Erfolge zu nennen. Gleichzeitig kann man in der Statistik der letzten Woche auch Filme sehen, die seit Wochen laufen und insgesamt 800 Zuschauende haben. Und das sind Topfilme. Das ist ein klarer Appell ans Publikum: Wenn wir wollen, dass es Filme aus Österreich gibt, müssen wir ins Kino gehen. Filme aus unserem Land arbeiten sich an der österreichischen Seele und Gesellschaft ab. Das müssen wir bewahren. Filme verstehen, verbessern, beobachten und experimentieren mit unserer Gesellschaft.