Mia Hansen-Løve hat in ihren bisherigen sieben Spielfilmen schon einige Menschen aus ihrem Leben zu Leinwandfiguren gemacht. Etwa ihren DJ-Bruder in "Eden – Lost in Music" oder ihre Mutter, eine Philosophie-Professorin, in "L’Avenir – Alles was kommt" – mit Isabelle Huppert. Auch ihre frühere Beziehung zu Regisseur Olivier Assayas verarbeitet sie mehrfach filmisch – zuletzt in "Bergman Island" mit Vicky Krieps.
Nun findet eine schmerzvollere Episode ihren Weg ins autofiktionale Kino: die Demenz von ihrem Vater Ole. Er litt die letzten zehn Jahre seines Lebens am Benson-Syndrome und hatte eine Verbindung zum französischen Gymnasium in Wien. Im echten Leben wie im Film (verkörpert von Pascal Greggory) war ihr Vater ebenfalls Philosophie-Professor. Die Worte und Gedanken sind seine Welt. Eine Welt, die ihm langsam abhandenkommt.
Seine Tochter, toll gespielt von Léa Seydoux als ein Alter Ego der Regisseurin namens Sandra, ist die Protagonistin des Films. Sie ist Mitte 30, arbeitet als Dolmetscherin und ist die Mutter einer achtjährigen Tochter. Als es ihrem Vater zunehmend schlechter geht, muss sie für ihn ein Pflegeheim finden und seine Wohnung räumen – mit all den vielen Büchern, die das Leben ihres Vaters ausmachten.
Es ist eine persönliche Art des Dolmetschens für einen geliebten Menschen, der langsam seine Sprache verliert. Mitten in diese schwierige Zeit tritt plötzlich ihr alter Bekannter Clément in ihr Leben. Mit dem verheirateten Mann beginnt sie eine leidenschaftliche Romanze.
Hansen-Løves Film "An einem schönen Morgen" ("Un beau matin") ist mit melancholischer Zärtlichkeit erzählt. Kurz nach dem Tod ihres eigenen Vaters entstanden, ist das Werk der französischen Filmemacherin ein analog gedrehter Abschiedsfilm – mit wenig Bitterkeit, viel Sonne und einer Hommage an Paris.

Der schöne Morgenfilm ist dabei sehr französisch und weniger künstlerisch-intellektuell als der Ausflug zur schwedischen Insel Fårö in "Bergman Island". Und auch wenn im bürgerlichen Frankreich viel diskutiert wird, drücken der Film und Hollywoodstar Léa Seydoux ("The French Dispatch", "Crimes of the Future") die gemischten Gefühle abseits der Worte gut aus.
Das macht ihn zu einem kleinen, unspektakulären, aber angenehmen und einfühlsamen Episode auf Mia Hansen-Løves autofiktionaler Reise.
"An einem schönen Morgen" feierte seine Premiere heuer in Cannes und war im Programm der Viennale.