Beim Festival in Zürich lief „The Green Book – Eine besondere Freundschaft“ als Eröffnungsfilm. Dann erhielt Peter Farrellys Komödie diverse internationale Preise, darunter drei Golden Globes. Jetzt ist der Streifen, der bei uns am 1. Februar in die Kinos kommt, fünffach für den Oscar nominiert. Zu den Nominierten gehört auch Viggo Mortensen, der in der Trilogie „Herr der Ringe“ Furore machte. Die jetzige Oscar-Nominierung ist bereits seine dritte. Im Oktober wurde er 60 Jahre alt.

Wenn Sie bitte zunächst den Filmtitel erklären würden. Was ist oder war das „Green Book“?
VIGGO MORTENSEN: Es war sozusagen das „grüne Buch für schwarze Autofahrer“, das in den USA jährlich erschien. Ein Reiseführer für Afroamerikaner, in dem sie alle Motels, Restaurants und Tankstellen finden konnten, die sie damals betreten durften.
Der Film entstand nach einer wahren Begebenheit.

Der exzellente und elegante schwarze Jazzpianist Don Shirley wurde in den 1960er-Jahren vom italienischstämmigen Fahrer Tony Lip, der vorher als Türsteher in Clubs arbeitete, für eine Tournee von New York aus durch die Südstaaten chauffiert.
VIGGO MORTENSEN: Tony war ein ziemlich „schlichter“ Typ aus der Bronx, der es später jedoch schaffte, als Mafia-Boss Carmine Lupertazzi in der TV-Serie „Die Sopranos“ bekannt zu werden. Er starb Anfang 2013, drei Monate vor dem Pianisten Don Shirley.



Wie kam Regisseur Peter Farrelly zu diesem Stoff?
VIGGO MORTENSEN: Durch Tonys Sohn Nick Vallelonga, der schon vor 25 Jahren erkannte, dass die Story seines Vaters großes Kino sein könnte. Also ließ er ihn vor einer Videokamera eineinhalb Stunden lang erzählen. Dieses Band und ungefähr hundert Briefe waren Grundlage für das Drehbuch, an dem Nick mitarbeitete.

Tony – eine Bombenrolle. Plaudert unablässig mit randvollem Mund, raucht am Steuer, frisst – buchstäblich – mit fettigen Fingern Fried Chicken und hält mit rassistischen Sprüchen nicht hinterm Berg. Die Fahrt mit Don Shirley durch die USA verändert ihn jedoch. Zwei ungleiche Typen kommen zusammen, einer nimmt vom anderen an?
VIGGO MORTENSEN: Denn nichts vermag uns im Leben derart zu verändern wie Begegnungen. Es ist einfach so.

Viggo als Tony – gleich große Begeisterung bei Ihnen?
VIGGO MORTENSEN: Gar nicht. Ich hatte sehr lange Zweifel, ob ich der Richtige war. Ich legte Peter Farrelly nahe, doch einen der vielen tollen Schauspieler mit italienischen Wurzeln zu nehmen. Ich selbst bin ja halb Amerikaner, halb Däne. Aber Peter blieb beharrlich. Ich muss heute gestehen: Dieser Tony, in der Tat – so viel Spaß hatte ich noch nie mit einer Rolle.

Mahershala Ali als Jazzpianist Don Shirley
Mahershala Ali als Jazzpianist Don Shirley © EONE Germany



War sie nicht auch ein Martyrium? Schließlich mussten Sie zwanzig Kilo an Gewicht zulegen? Einfach?
VIGGO MORTENSEN: Jedenfalls ist zunehmen einfacher als abnehmen. Man braucht ja nur viel zu essen. Ab einem gewissen Zeitpunkt Pizza, Pasta und möglichst viele Desserts. Natürlich kommt der Augenblick, wo man des Essens müde wird. Einmal habe ich mir in einer Drehpause gestattet, einen Salat zu bestellen. Da sind sie gleich herbeigestürzt und haben gerufen: „Nein, nein, schrecklich! Du verlierst Gewicht!“ Und gleich brachten sie zwei Portionen Pasta, die ich verschlingen musste. Insgesamt waren es fünf Mahlzeiten pro Tag. Ich war sogar schon so weit, dass ich in Geschäften oder Restaurants immer automatisch „Ja! Ja!“ sagte, als sie mich fragten, ob ich noch Zucker oder Zuckerln wollte.

Ihre Darstellung des Tony hat Ihnen die dritte Oscar-Nominierung eingebracht, wobei es Ihnen eindrucksvoll gelungen ist, Italo-Klischees zu vermeiden. Wie ist Ihnen das gelungen?
VIGGO MORTENSEN: Diese Klischees wurden von der „Godfather“-Trilogie so gefördert, dass sogar die Italiener Italiener zu imitieren begannen ... Dieser Versuchung konnte ich insofern leicht entkommen, als wir ja Tonys Sohn bei uns hatten. Der ließ, zum Beispiel in Umkleidepausen, auf meine Bitte hin unablässig das Band mit seinem Vater laufen, so hatte ich Tonys Tonmelodie bestens im Ohr. Und ich konnte Nick auch viele andere Dinge fragen, zum Beispiel, wie sein Vater die Zigarette gehalten hat. Den Rest habe ich nicht von der „Godfather“-Trilogie gelernt, sondern eher von den „Sopranos“.

The Green Book
The Green Book © Wikipedia



Ihr Partner in der Rolle des Don Shirley ist der wunderbare Schauspieler Mahershala Ali. Er stellte angeblich spezielle Bedingungen?
VIGGO MORTENSEN: Als gläubiger Moslem forderte er, fünf Mal pro Tag beten zu dürfen. Peter Farrelly genehmigte es unter der Bedingung, es dürfe nur jeweils zehn Minuten dauern. Tatsächlich verschwand Ali in regelmäßigen Abständen für zehn Minuten, aber er machte das so unauffällig wie möglich.

Nach dem Riesenerfolg als Aragorn in der „Herr der Ringe“-Trilogie hätten Sie viele Jahre lang der große Action-Held sein können. Wollten Sie dem Anschein nach aber nicht?
VIGGO MORTENSEN: Mich auf diese Art vereinnahmen zu lassen – ein schrecklicher Gedanke. Nein, ich werde mich nie vereinnahmen lassen. Weder von einem Genre noch von der Technik. Ich habe kein Facebook-Konto und schreibe nie SMS-Nachrichten. Ein Handy habe ich zwar, doch nur ein altes Klapphandy.

Dafür schreiben Sie andere Sachen, richtig?
VIGGO MORTENSEN: Ja. Zum Beispiel Gedichte. Die lasse ich im Eigenverlag erscheinen.

Sie haben im Herbst Ihren 60. Geburtstag gefeiert. Hat Sie das nachdenklich gemacht?
VIGGO MORTENSEN: Nein. Da hielt sich die Angst in Grenzen. Ich weiß, manche verschließen sich dem Neuen schon mit 20. Andere nie. Ich gehöre zu Letzteren. Und ich bin, bei aller Neugier, auch nicht brennend ehrgeizig. Weil ich weiß: Das Leben ist zu kurz. Man kann nicht alles können.