Das älteste Filmfestival der Welt markiert traditionell den Start des Oscarrennens, und in den Schauspiel-Kategorien können sich Biopics als Sprungbrett auf dem Weg zu einer Nominierung erweisen. Heuer trumpfen viele Hollywoodgrößen in mittelmäßigen Wettbewerbsfilmen auf; ihre Leistung schmälert das nicht immer. Nach dem kaum wiederzuerkennenden Jude Law als Wladimir Putin in Olivier Assayas‘ unentschlossenem Polit-Thriller über den Spindoktor, der den farblosen Staatsdiener zum mächtigen Präsidenten und Kriegstreiber formte, geht es am Lido weiter Schlag auf Schlag mit der Starpower.
Die seltsame Filmbiografie „The Testament of Ann Lee“ hievte die norwegische Schauspielerin und Filmemacherin Mona Fastvold (“The World to Come“) in den Wettbewerb: Gemeinsam mit ihrem Partner Brady Corbet (“The Brutalist“) schrieb sie das Drehbuch für die Geschichte der Begründerin der Sekte Shakers, der „Schüttler“ – die titelgebende Ann Lee (1736–1784). Dieses Biopic spaltet bislang die Kritik. Denn er ist eine körperlich-ekstatische Seherfahrung: choreografierte Tanzszenen, religiöser Wahn, der in die Leiber fährt, Gesang. Amanda Seyfried liefert als Ann Lee vielleicht die Performance ihres Lebens ab; selbst in Momenten größter patriarchaler Erniedrigung strahlt diese Figur.
„Wie viele Geschichten über männliche Ikonen haben wir mit dickem Pinselstrich auf großer Leinwand schon gesehen? Können wir so etwas nicht auch mal einer Frau schenken?“ fragte Regisseurin Fastvold vor der Presse. Seyfried, die im fast gleichen Versace-Look erschien wie Schauspielstar Julia Roberts, erklärte, dass diese Rolle „unglaublich therapeutisch“ für sie gewesen sei. Denn: „Ich konnte mich noch nie so frei entfalten. Es war unglaublich, gleichzeitig wirklich tough.“
Unter Muskelbergen
Ebenso ungewöhnlich: Dwayne „The Rock“ Johnson – seine Muskelberge und Haare (!) – würdigen in Benny Safdies „The Smashing Machine“ die pionierhafte Karriere des Mix-Material-Arts-Kämpfers Mark Kerr. Der ist eine Ikone, seine Karriere beinhaltet nebst zahlreicher Titel und Höhepunkte auch viele Rückschläge. Was, wenn er verliere? Fragt ein japanischer Reporter den Wrestler im Film. Darüber mache er sich keine Gedanken, er gewinne. Dann passiert es: Er verliert. Sekundenlang passiert nichts, das Publikum spürt, wie es unter der körperlichen Kontrolle bei einer Fahrt im Lift brodelt. Und dann beginnt Kerr bitterlich zu weinen.
Auch, weil ihm sein schwerster Kampf erst bevorsteht: jener gegen seine Schmerzmittelsucht. Das Genre Wrestlingfilm ist nicht umzubringen, der auf Retro getrimmte Versuch des Hipsterstudios A24 allerdings enttäuscht. „The Smashing Machine“ ist ein testosterongetriebener, pathetischer und grob gezeichneter Hau-Drauf-Film, der zwischen den Schaukämpfen auf seine Figuren vergisst. Etwa auf Kerrs Freundin, gespielt von Emily Blunt.
Dwayne Johnson dabei zuzuschauen, wie er gegen die sportlichen und persönlichen Niederlagen ankämpft, macht durchaus Spaß. Auch wenn man ihm die emotionale Last des nach außen harten Sportlers schauspielerisch schwer abnimmt. Bei der Pressekonferenz sagte der 53-Jährige, eine Rolle wie in „The Smashing Machine“ hätte er sich schon lange gewünscht. „In Hollywood wird man oft in eine Kategorie gesteckt: Wenn man an der Kinokasse mit einer Sache erfolgreich ist, dann ist das dein Platz.“ Er hätte sich gefragt: „Was, wenn es noch mehr gibt?‘“ Die Zaungäste am roten Teppich begrüßten den Imagewechsel und ihr Idol. Auch der echte Kerr kam nach Venedig.
Der heurige Wettbewerb allerdings ist noch keine Win-Win-Situation.