Bernadette und Olivia haben sich auf einem Katzenbegräbnis am Tierfriedhof kennengelernt. Schwer zu sagen, ob die Liebe zwischen der Anwältin und der Künstlerin trotz aller ihrer Unterschiede gelingen kann. Wie jedes Paar müssen die beiden Vorgeschichten, Eifersüchteleien, Auseinandersetzungen überwinden und in ihrer Beziehung eine gemeinsame Sprache entwickeln. Aber wie soll man in diese Intimität hinein finden, wenn die Redefreiheit grundlegend bedroht ist?
16.000 Wörter täglich spricht der Mensch, hat ein Linguist der Universität von Arizona errechnet. Hochgerechnet auf rund 80 Jahre ergibt das knapp eine halbe Milliarde Wörter pro Person und Leben. Dem allgegenwärtigen Gebrabbel einer 7,8-milliardenköpfigen Weltbevölkerung setzt der britische Autor Sam Steiner in seinem 2015 uraufgeführten Stück "Zitronen Zitronen Zitronen" eine dystopische Gesellschaft entgegen, in der die Redezeit jedes einzelnen auf 140 Wörter pro Tag beschränkt wird.
Der Grund dafür bleibt in dem Zwei-Personen-Stück ausgespart. So wirkt die Versuchsanordnung zwar recht konstruiert - aber weil Steiner das Inkrafttreten und die Auswirkungen des Gesetzes mit der Liebesgeschichte eines jungen Paars verknüpft, bleibt das Thema zugänglich. Zumal im lebhaften Regiedebüt von Anne Mulleners, die am Grazer Schauspielhaus mit der deutschsprachigen Erstaufführung des Stücks betraut wurde. Lockdownhalber fand die Premiere am Mittwoch vorerst digital statt: per Theater-Stream, gefilmt von Thomas Achitz in den Uni-Gewächshäusern und in einer Blackbox. So bald wie möglich, so Corona will, wird dann die Bühnenversion im Schauspielhaus zu sehen sein.
Fein, denn die Digitalversion bleibt, wohl bedingt durch die streamingkonforme Verknappung auf gerade einmal eine Stunde, an Atmosphäre und Stringenz doch einiges schuldig. Immerhin muss "Zitronen Zitronen Zitronen" parallel von einer politischen Verwüstung erzählen - "Die Mächtigen bleiben mächtig, wenn niemand genug Worte hat, sie infrage zu stellen", stellt Olivia dazu einmal fest - und zugleich zeigt das Stück, wie ein privates Glück zwischen Aufbegehren, Aufsteigerehrgeiz und Anpassung an den Rand des Scheiterns gerät. Dabei scheint das Redelimit der Beziehung der beiden anfangs nicht nur schlecht zu tun: Es zwingt zur Wahrhaftigkeit in allem, ohne Ausflüchte und Ablenkungsmanöver. Andererseits: "Es gibt Dinge, die man nicht in 140 Worten sagen kann." So melancholisiert sich die Stimmung, bis sich die aufgestaute Widersetzlichkeit doch noch in einer frenetischen Karaokeversion von Nicki Minajs "Super Bass" entlädt.
Mit Grandezza schultern die beiden Schauspielerinnen Maximiliane Haß und Katrija Lehmann die soziale und emotionale Fracht des Stücks, als Olivia, die aufbegehrt, und als Bernadette, die glaubt, aus allem das Beste machen zu können. Gefühlvoll, aber ohne Rührseligkeit illustrieren sie in Mulleners' schlüssiger Inszenierung das gegeneinander Anrennen in der Liebe genauso wie die Wortlosigkeit, die sich hinter scheinbar harmloser Geschwätzigkeit breitmacht. Und auch wenn im Stückgefüge etliche Lücken klaffen: Mit viel Fingerspitzengefühl wird hier das Gewicht des Schweigens zwischen den Worten vermessen und zum Nachdenken darüber eingeladen, wie, aber auch: warum wir eigentlich kommunizieren.
Zitronen Zitronen Zitronen. Von Sam Steiner. Regie: Anne Mullener. Film: Thomas Achitz. Mit: Maximiliane Haß, Katrija Lehmann Nächste Streamingtermine: 9., 13. und 29. April, jeweils 19.30 Uhr.
Details und Tickets: www.schauspielhaus-graz.com
Ute Baumhackl