Es war bei der Präsentation des Rolling-Stones-Films von Martin Scorsese, als ich Mick Jagger fragte, wie man sich als Legende fühlt. Er grinste und antwortete: „Das Beste an einer Legende ist, wenn sie noch lebt!“ Bitte, Mister Jagger ist heute 77. Was soll dann erst Peter Weck sagen? Der wird am 12. August 90, ist auch eine Legende, aber die genannte andere Legende müsste ihm wohl noch den Kaffee holen gehen. Ein Gespräch mit dem Jubilar im Wiener Grand Hotel.

Papa Weck war Ingenieur und Fabrikant für Flaschenverschlüsse. Richtig?

PETER WECK: Er hat diese Alu-Flaschenverschlüsse mit Latz, den man abreißen musste, erfunden, die entsprechenden Maschinen konstruiert und sich das Ganze patentieren lassen.

Sie selbst haben Flaschenverschlüsse wohl höchstens als Konsument interessiert. Wann ist bei Ihnen die künstlerische Ader erwacht?

WECK: Auslöser war, dass ich eine herzige Stimme hatte. Auf den Rat eines Onkels bewarb ich mich bei den Wiener Sängerknaben, wurde genommen, avancierte zum Sopransolisten und blieb bis zum Stimmbruch im Jahr 1944.

Um die Sängerknaben und ihr Dasein ranken sich viele Gerüchte. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

WECK: Als reinen Glücksfall. Wir waren damals in der Lange Gasse in der Josefstadt einquartiert, vom Augarten war damals noch keine Rede. Es war Krieg, doch davon haben wir in unserem Refugium kaum etwas gespürt. Es war sehr schön, dass ich musikalisch erzogen wurde, das hat mir im Leben viel geholfen. Meine kleine Enkelin Valentina, sie wird, auch im August, ein Jahr alt, ist ebenfalls musikalisch. Sie freut sich immer, wenn sie Musik hört. Ich glaube, da könnten einige Gene rübergerutscht sein.

Hätte Sie der Vater nicht lieber auch auf der technischen Ebene gesehen?

WECK: Es gab einen Versuch. Im Technologischen Gewerbezentrum begann ich ein Maschinenbaustudium. Das Ergebnis: baldiger Abbruch.

Denn gereizt hat Sie ja was ganz Anderes?

WECK: Ich wollte Dirigent werden, ging an die Akademie für Musik und Darstellende Kunst, brach aber auch dieses Studium, nach zwei Jahren, ab.

Das Dirigieren blieb demnach eine unerfüllte Sehnsucht?

WECK: Nicht ganz. 1962 holte mich Disney für den Sängerknaben-Film „Ein Gruß aus Wien“ für die Rolle des Chorleiters. Ich durfte die Wiener Symphoniker dirigieren. Die Musikaufnahmen waren natürlich schon vorher im Studio entstanden. Ich dufte nur vor der Kamera so tun, als würde ich das dirigieren. Bevor wir begannen, stellte ich mich vor das Orchester und bat um Gnade. Erstaunlich: am Ende haben mir die Musiker applaudiert.

„Echte“ Ausbildungsstätte wurde dann das Reinhardt-Seminar. Die Prüfung schlossen Sie mit Auszeichnung ab. Wie betrachten Sie im Rückblick die Seminar-Zeit?

WECK: Mich hat eines sehr gestört, nämlich, dass die Schüler deklamierten wie die großen Schauspieler Raoul Aslan oder Albin Skoda. Sie wirkten nie wie sie selbst. Das habe ich mir zu Herzen genommen und an meiner ganz eigenen Ausdrucksweise gearbeitet. Natürlich: Auch ich hatte Idole, die ich sehr schätzte, aber nie kopieren wollte.

Weiter im Zeitraffer. Ihre erste Bühnenrolle bekamen Sie im Landestheater Klagenfurt, Ihre Debütrolle war der Truffaldino in Goldonis „Diener zweier Herren“. Der berühmte „große Durchbruch“ kam dann aber in Berlin, wo Sie Rudolf Steinboeck den Stani in Hofmannsthals „Der Schwierige“ spielen ließ?

WECK: Der wurde meine Paraderolle. Ich spielte sie wie ein reisender Tenor, an allen möglichen Häusern und auch bei den Salzburger Festspielen. In einer Berliner Vorstellung sah mich Regisseur Axel von Ambesser. Er bot mir daraufhin eine Rolle im Film „Bruder Martin“ neben Paul Hörbiger an. Das war sozusagen mein Einstieg ins Filmgeschäft.

Dort waren Sie, nach der Mitwirkung in Disneys Sängerknaben-Film, noch einmal international aktiv, beim großen Otto Preminger in „Der Kardinal“. Preminger: Ein fantastischer Regisseur, aber ein eher „ungemütlicher“ Mensch. Den Hauptdarsteller Tom Tryon soll er so fertig gemacht haben, dass er in psychiatrische Behandlung musste?

WECK: Wir haben oft erlebt, wie der Tryon nicht einmal eine Kaffeetasse halten konnte, ohne zu scheppern. Also haben sie die Tasse an der Untertasse festgeklebt, Der arme Tryon, ich glaube, das war gleichzeitig das Ende seiner Karriere. Auch Romy Schneider, die ebenfalls mitspielte, hat wegen Preminger oft geweint. Den Pepi Meinrad, der Kardinal Innitzer verkörperte, hat er hingegen respektiert. Der Pepi hat sich sogar manchmal lustig gemacht. Einmal, als Preminger grimmig in die Gegend schaute, hat er gelästert: „Warte, jetzt bin ich dran. Jetzt kommt er gleich und haut mir eine obi!“ Mich hat Preminger sogar ein bissl gemocht. Er hat mir beim Essen aber die Nachspeise verboten. Mit der Begründung: „Sie spielen einen Selbstmörder, der aus dem Fenster springt. Ein Selbstmörder darf nicht so ein Dickerl sein. . .“

1954 kamen Sie an die Josefstadt, 1959 ans Burgtheater, wo Sie elf Jahre lang blieben. Sicher eine unvergessliche Zeit?

WECK: Na was! Wenn man da durch die Gänge wandelte, oh Gott, an fast jeder Garderobentür sah man ein Taferl mit einem großen Namen. Diese Schauspieler und all die Regisseure – das war eine Welt für sich. Sehr viel hing ich mit Heinrich Schweiger, Blanche Aubry und Oskar Werner herum. Der Schweiger war für den Rotwein zuständig, die Aubry für den Schnaps, der Werner für den Schampus und ich für den Weißwein. Wenn wir miteinander ausgingen, hat jeder die Sachen aus seinem „Fachgebiet“ bestellt.

Ihr letzter Auftritt an der Burg ist eine eigene Geschichte?

WECK: Mir ging es nicht ganz gut, ich war auf Kur am Semmering, sollte mich auf die Rolle des Zwirn in „Lumpazivagabundus“ neben Attila Hörbiger vorbereiten. Ich wusste, diese Rolle verlangte Kraft. Der Arzt riet: „Wenn’s Ihnen net gut geht, trinken S’ a Achtel“. Gut gemeint vielleicht, nützte aber nichts. Während des Auftritts erlitt ich einen Kreislaufkollaps, fiel einfach um. Das führte zu einer Art Trauma. Ich wagte mich nicht mehr an diese Rolle heran. Erst viel später wieder, in Zürich, das meine nächste Station wurde und wo ich mit Familie 13 Jahre lebte.

Sie besitzen heute sogar die Schweizer Staatsbürgerschaft?

WECK: Eine etwas verwirrende Geschichte. Ich geb’ ja zu, dass ich mit diesem zweiten Pass lange Zeit liebäugelte, doch das war schwierig, sehr schwierig. Erst 1980, als ich für die Festwochen-Produktion „Die letzten Tage der Menschheit“ – meine letzte Theaterrolle für lange Zeit – nach Wien zurückkehrte, erhielt ich unerwartet die Nachricht, ich könne die eidgenössische Staatsbürgerschaft nun haben. Auch wieder schwierig, weil ich ja Österreicher bleiben wollte. Aber der damalige Unterrichtsminister Fred Sinowatz hat es gnädig durchgewinkt.

Weiter im Zeitraffer. Es kamen die großen Fernseherfolge. Erst „Wenn der Vater mit dem Sohne“, dann „Ich heirate eine Familie“, wo Sie eigentlich nur Regie führen sollten?

WECK: Für die Hauptrolle war Harald Juhnke im Gespräch. Doch die Produktion hatte Bedenken: „Was ist, wenn der wieder zu saufen anfängt?“ Sie fanden keinen, bis sie mich fragten: „Warum spielen S i e das nicht?“ Ich: „Weil ich Regie führe!“ Die Produktion: „Na, dann finden Sie einen anderen Regisseur!“ Wir versuchten es, doch der Mann überstand nur einen einzigen Tag. . . Na gut, am Ende blieb beides an mir hängen.

1981, ein weiteres wichtiges Jahr. Da wurden Sie Direktor des Theaters an der Wien, begannen mit „Cats“ und erzielten, wie eine Wiener Zeitung in der Premierenkritik urteilte, „einen Triumph, dass sich die Bretter bogen“?

WECK: Helmut Zilk, zu jener Zeit Kulturstadtrat in Wien, hatte mich in den „Letzten Tagen der Menschheit“ gesehen. Ein Jahr später sprach er mich bei den Salzburger Festspielen an: „Hören Sie, ich such’ Sie die ganze Zeit!“ Ich: „Na ja, da bin ich“. Er: „Könnten Sie sich vorstellen, ein Theater zu leiten?“ Ich wollte mich nicht gleich entscheiden. Er flog mir in mehrere Städte nach. Stolz bin ich auf das, was er später einmal sagte: „Ich bereue keinen Kilometer, den ich dem Weck nachgeflogen bin!“

Was war ausschlaggebend, dass Sie am Ende zustimmten?

WECK: Meine Vorstellung und mein Ehrgeiz waren, dass man beginnen sollte, weltweit von uns Notiz zu nehmen. Das ist uns gelungen. Die großen Hits wie „Cats“, „Phantom der Oper“ und „Les Misérables“ liefen gleichzeitig in New York, London und Wien. Der nächste Schritt war, von uns aus etwas ins Ausland zu bringen. Das ist uns mit „Elisabeth“ geglückt. Toll, welche Leute ich in dieser Zeit – aus einem wurden inzwischen drei Häuser für mich, denn Raimundtheater und Ronacher kamen dazu – kennen lernen durfte. Zum Beispiel Harold Prince, Andrew Lloyd Webber, Marvin Hamlisch und Billy Wilder, dem ich anlässlich der Welturaufführung des Musicals „Sunset Boulevard“ – er hatte ja einst die Filmfassung inszeniert – begegnete. Ich war Gast in seinem Büro in den Paramount Studios. Ich erinnere mich: Dort standen viele Nofretete-Köpfe herum, die er sich aus Berlin schicken hatte lassen, und die er dann bemalte, sie zum Beispiel in Charlie Chaplin oder die Marx Brothers verwandelte. Diese Figuren wurden in Kunstkreisen sehr geschätzt und teuer verkauft.

Was haben Sie geplaudert?

WECK: Er hat mich gefragt „Was haben Sie so in Wien gespielt?“ Ich: „Zum Beispiel Schnitzler“. Er: „Aha, dann müssen S ein guter Schauspieler sein“. Ich fragte ihn, was er von unserer steirischen Eiche Arnold Schwarzenegger hielt. Er, schmunzelnd: „Was wollen Sie? Kaum beginnt man zu glauben, dass er anfängt zu spielen, wird er in die Luft gesprengt. . .“

 „Elisabeth“ war, 1992, Ihre letzte Produktion als Theaterchef?

WECK: Ich wollte nicht mehr administrativ tätig sein, habe mich dem Fernsehen zugewandt, als Regisseur. Immer wieder wünschte man sich aber, dass ich auch mitspiele. Ich ließ mich überreden, spielte Chargenrollen wie Alfred Hitchcock in seinen Filmen. Das hat mir aber, denke ich, nicht sehr gut getan, weil ich kaum mehr als Schauspieler wahrgenommen wurde.

2012 verloren Sie Ihre Ehefrau Ingrid, genannt „Mausi“, die Sie 1967 geheiratet hatten?

WECK: Völlig ohne „Vorankündigung“ erlitt sie einen Hinterwandinfarkt. Ich hab’ mich davon lange nicht erfangen, habe zwei Jahre lang pausiert. Dann erkannte ich: Das hilf ihr ja nix, und so habe ich mich wieder ins Geschehen gestürzt.

 Noch im vergangenen Jahr haben Sie, über Silvester, in München in „Sonny Boys“ mitgewirkt?

WECK: Das, denke ich, war mein Abschied von der Bühne. Ab und zu Lesungen – ja. Doch ich möchte nicht mehr jeden Tag checken, wann ich wieder Proben habe, nicht mehr an einen Terminkalender denken, sondern mein Leben genießen. Die Neugier wird bei mir aber eine treibende Kraft bleiben. Deshalb schaue ich nie zurück, immer nach vorn.

Es soll eine neue Frau in Ihrem Leben geben?

WECK: Da wurde vieles fehlinterpretiert. Wenn es einen Menschen gibt, mit dem man sich gut versteht, dies und jenes unternimmt, der einem über die Corona-Zeit hinweghilft: ist doch o.k.? Aber Liebesg’schichten und Heiratssachen, ich bitte Sie. Bekanntlich werde ich 90.

Haben Sie je über das Jenseits nachgedacht?

WECK: Unlängst wurde ich in einem Interview gefragt: „Denken Sie auch an das Nachher“? Ich habe geantwortet: „Schon, aber wenn ich einmal drüben bin, kann ich Sie ja nicht mehr erreichen, um zu berichten, wie es dort ist. Und so neugierig bin ich auch nicht, dass ich das unbedingt jetzt schon wissen möchte“.

Wissen Sie schon, wie Sie am Mittwoch feiern?

WECK: Das hat sich heute ergeben. Ich feiere mit Familie und ein paar Freunden, und das wird nach der Corona-Quarantäne sicher sehr schön. Am liebsten hätte ich ja gar nix gehabt. Denn in diesem Alter ist ja eigentlich jeder Tag ein Geburtstag. Falls man aufwacht.