Im Literarischen wie im Politischen steht Michael Scharang seit jeher auf der Seite der Arbeiter, der Unterprivilegierten. Nun hat der aus Kapfenberg stammende Autor einen neuen Roman publiziert. "Aufruhr" heißt er. "Diese Geschichte begann in New York, fand ihre Fortsetzung in Wien und endete damit, dass die österreichische Regierung ins Ausland flüchtete." So lautet der erste Satz. In dem Buch lässt die vom Kapitalismus herbeigeführte eklatante Ungleichheit eine radikale Veränderung nahezu unausweichlich erscheinen. Scharang schildert, wie Aufständische für drei Monate die Macht in Österreich übernehmen. "Es ist keine Revolution! Hätten sie ein revolutionäres Programm, würde alles auseinanderdriften. So sind aber außer den Faschisten alle dabei."

"Es geht immer um die Machtverhältnisse", analysiert Scharang. "Wir dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Linke in Europa ungeheuer verloren hat. Ich suche ja die Schuld nie bei den Gewinnern, sondern immer bei den Verlierern. Die Linke hat verloren! Wie kann das sein?" Das Erfolgsgeheimnis der Linken sei die konkrete Arbeit, meint er, und verweist auf die in Graz gut verankerte KPÖ. Die Krise der Sozialdemokratie liege auch in der fehlenden Basisarbeit. "Den Kontakt zu den Lohnabhängigen haben sie verloren."

Es sei ihm wichtig, dass die Aufständischen in "Aufruhr" keine revolutionären Slogans verbreiteten, sondern praktisch arbeiteten, sagt der Autor. Und sie verstehen auch zu feiern. Dadurch und durch einfache Täuschungsmanöver, ja sogar durch Agit-Prop-Schaufenstertheater werden sie zur Massenbewegung. Wird das Buch hier zum Schelmenroman, der sich über derartige Methoden des politischen Kampfes auch ein wenig lustig macht? Nein, nein, entgegnet Scharang: "Das Ganze ist schon eine Anleitung zur Praxis. Am Anfang kann man es als Komödie lesen. Dann wird es aber ernst."

Während seine Hauptfigur, der aus den USA nach Wien gekommene Psychiater Maximilian Spatz, im Gespräch sofort das Vertrauen der unterschiedlichsten Menschen gewinnt, hat Scharang den Ruf von jemandem, der ordentlich austeilen kann. "Ich habe immer unheimlich gerne polemisiert", erinnert er sich. "Ich habe aber nie eine Person angegriffen, sondern nur das, was sie gesagt oder geschrieben hat. Es gab eine schöne Zeit, in der Robert Menasse und ich mit unseren gegenseitigen Beschimpfungen ganz Österreich unterhalten haben. Das war dann leider aus. Schade!" Zu seinen Lieblingsgegnern hätten auch Franz Schuh und André Heller gezählt, erzählt er freimütig.

Heute findet er etwa über Daniel Kehlmann deutliche Worte: "Er kann einfach nicht schreiben. In 'Die Vermessung der Welt' jagt schon auf den ersten zwei Seiten ein lächerliches Klischee das andere." Allerdings kenne er wenig zeitgenössische Literatur, gibt Scharang zu. "Ich war nie ein großer Leser. Für mich war Lektüre immer Lernen: Von wem kann ich was lernen?" Nach Kollegen, die er schätze, gefragt, fallen ihm Franz Innerhofer, der sich 2002 das Leben nahm ("Er wurde wirklich vom Betrieb umgebracht."), und Elfriede Jelinek ein.

Und wie hält er es mit dem zweiten lebenden österreichischen Literaturnobelpreisträger, Peter Handke? "Ich war immer gegen Handke, schon als wir beide als Kinder im Forum Stadtpark gelesen haben. Er war ein führender Reaktionär in der Bewegung gegen die 68er, die hat er gehasst. Nur einmal war ich an seiner Seite - das war in der Jugoslawien-Frage. Was die Massaker angeht, gibt es ganz eindeutige Distanzierungen von ihm. Die wollte aber niemand hören." Seinen Hauptvorwurf gegen ihn habe er 1987 in einem Essay namens "Heilige Schriften" formuliert. Untertitel: "Über die Feierlichkeit in der Gegenwartsliteratur am Beispiel Handke".

Im Sammelband "Das Wunder Österreich" ist der Text nachzulesen. Mit seinem "Wortgebimmel" habe sich der "literarische Phrasendrechsler" für die "Rolle des literarischen Oberpfaffen" empfohlen, heißt es dort: "Handke lebt heute literarisch in einer Welt, in der kein Furz gelassen werden darf, ohne daß er auf seine tiefere Bedeutung untersucht wird."

Unerwartet kommt da, dass Scharang die aktuelle Coronakrise und ihre wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Auswirkungen gänzlich gelassen kommentiert. Er lebe als Angehöriger einer Risikogruppe nicht anders als vorher, meint der Autor. "Für mich hat sich eigentlich nichts geändert." Hat er keine Bedenken, was die derzeitige Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten angeht? "Wenn es gesundheitspolitisch sinnvoll ist, dann stört mich das nicht. Mich stören viel mehr die intellektuellen Schmeißfliegen, die davon faseln, welche Chancen die Krise in sich birgt."

Und die Arbeitslosigkeit, die in kürzester Zeit Rekordhöhe erreicht hat? "Die wird zurückgehen, wenn die Betriebe wieder zu arbeiten beginnen. Meine Prognose ist, dass sich nichts ändern wird. Wenn es eine Impfung gibt, wird alles sein wie früher. In zwei Jahren redet kein Mensch mehr von der Coronakrise. Die Situation ist aber ein großes Glück für die Grünen." Wieso das? Wenn deren Wähler die versprochenen Umwelt- und Klimamaßnahmen einfordern werden, könnten diese dann nämlich sagen: "Sorry, es ist kein Geld da!"

Michael Scharang. "Aufruhr", Suhrkamp Verlag, 306 Seiten, 24,70 Euro. Das E-Book bereits erhältlich, die Auslieferung der gedruckten Buchausgabe erfolgt am 18. Mai.