In der heutigen Businesssprache würde man Ludwig van Beethoven ganz klar als Expat bezeichnen: eine Führungskraft, die aus Karrieregründen ins Ausland geht. Dass er 1792 in Wien landete, war natürlich auch kein Zufall: Die damals viertgrößte Stadt Europas gierte geradezu nach Menschen, die ihr Know-how bringen. Für Beethoven gab es also viele gute Gründe, nach Wien zu kommen, sagt der Historiker Werner Michael Schwarz vom WienMuseum: „Wien ist zu der Zeit Residenz des Kaisers, Sitz vieler Fürstenhäuser, großadelige Mäzene lebten hier. Viele Fabriksgründer, Intellektuelle und Künstler wurden damals von den Möglichkeiten angezogen.“ Bereits um 1790 zählte man rund 27.000 Fremde.

Die Stadt prosperiert und wird schön langsam eng, denn topografisch gedacht muss man Wien immer noch als Festungsstadt sehen, innerhalb der Stadtmauern leben immerhin rund 60.000 Einwohner – viermal so viel wie heute auf dem Gebiet. Auch die Vorstädte wuchsen mit damals rund 150.000 Menschen beständig.

Beethoven erlebte 20 Jahre lang Krieg

„Statistiken aus dem späten 18. Jahrhundert geben für Wien inklusive der Fremden, der Kleriker und der Militärangehörigen rund 250.000 Einwohner an“, so Schwarz. Wobei es von der Stadt zum Land nur ein Katzensprung war: Donau und Donaukanal begrenzten die Stadt, dahinter wucherte dichteste Auenlandschaft – für den passionierten Spaziergänger und Naturliebhaber Beethoven vermutlich ein Hochgenuss. Politisch gesehen fand sich Beethoven in einer Umbruchphase wieder: 1790 starb der Reformkaiser Joseph II., der als Förderer der Aufklärung nicht nur die Pressefreiheit eingeführt, sondern auch die Todesstrafe abgeschafft hatte. Das Klima der Freiheit währte nur kurz, denn mit Franz II. (1792) zogen auch schon wieder dunkle Wolken auf: Spitzelwesen, starke Einschränkungen bei der Pressefreiheit und die Verfolgung von Aufklärern war die Folge.

Die Auswirkungen der Französischen Revolution von 1789 waren laut Schwarz auch in Wien massiv: „Aus dieser Revolution entstehen die Koalitionskriege gegen Frankreich, wo die Österreicher stark beteiligt sind. Man kann also sagen, dass Beethoven mehr als 20 Jahre Krieg erlebt hat.“ Bisweilen sogar vor der Haustür, wie die Schlacht bei Aspern 1809. Teuerungswellen und der Staatsbankrott 1811 waren die Folge. Und doch ist die Liberalisierung der Wirtschaft nicht aufzuhalten: Allein in Wien arbeitet ein Fünftel der Einwohner in der Seidenproduktion.

Maschinen bringen eine Zeitdisziplinierung der Arbeiter mit sich, die Kinderarbeit boomt. Und trotz allem feiert man noch rauschende Feste: Rund 30.000 Dienstboten gibt es um die Jahrhundertwende, schildert Schwarz. Bisweilen nur, um den Kutschen vorauszulaufen und die Ankunft anzukündigen.