Die Adresse heißt 1520 Sedgwick Avenue: Hier steht ein unscheinbarer Wohnbau wie tausend andere, gebaut für die Arbeiterfamilien der Bronx. Der gesichtslose Kasten gilt als Geburtsstätte des Hip Hop. Am 11. August 1973 hatte DJ Herc dort eine Party geschmissen. Herc legte nicht bloß auf, er bastelte aus den Schlagzeug-Breaks seiner Funk-Platten eine rhythmusgetriebene Musik, die zur Blaupause des Hip Hop wurde.
Geboren in der Unterschicht, gemacht aus der Kreativität von Menschen am Rand der Gesellschaft. So geht der Mythos Hip Hop. Im Unterschied zu anderen Mythen entspricht er der Wahrheit. Natürlich kann man die Entstehung nicht auf einen Ort und eine Nacht reduzieren – an allen Ecken der Bronx brodelte damals die Kreativität. Hip Hop war noch nicht auf der Welt, aber lag in der Luft. Und es brodelte auch vor Gewalt. Die Bronx glich einem Kriegsgebiet: in Schutt liegende Straßenzüge, brennende Häuser, Arbeitslosigkeit, Armut, Drogen und die Straßen in den Händen von Jugendbanden. Amerika hatte die Bronx aufgegeben. Auf diesen Ruinen wuchs die Kunst von Leuten, die wenig zu verlieren hatten. Herc war ein Immigrantenkind aus Jamaika, sein DJ-Kollege Afrika Bambaataa war erst noch Anführer einer Jugendgang. Der Teenager gründete die Organisation Zulu Nation, um der Ghettojugend einen kulturellen Gegenentwurf zum Gang-Dasein zu bieten und den Menschen mit der Entdeckung ihrer Wurzeln und ihres Erbes Stolz und Würde zu geben.

DJ Herc und Afrika Bambaataa gelten als Väter des Hip Hop. Mit Grandmaster Flash wurden sie zur „Heiligen Dreifaltigkeit“ des Hip Hop erklärt. Der 1958 als Joseph Saddler in der Bronx geborene Grandmaster Flash erhob Hip Hop zur Kunst. Schon als Kind hatte er Interesse an technischen Geräten gezeigt. Als Jugendlicher verfeinerte der Technik-Nerd das von DJ Grand Wizard Theodore erfundene Scratching, die wortwörtliche Manipulation der Platte mit der Hand. Grandmaster Flash (der sich nach dem Comichelden nannte) verwandelte die Turntables in ein Instrument und gab der von ihm verwendeten Musik eine neue Gestalt. Cutting. Backspinning, Phasing: Zauberworte, die für Techniken stehen, die Grandmaster Flash entwickelte und aus denen er neue Musik mixte. „Man nannte mich ,Mixer‘“, sagte der „Mad Scientist“, sein Labor waren die Block Partys und die Parks.

Breakdance und Graffiti waren die Begleiterscheinungen der neuen DJ-Kultur. Dann kamen die Rapper, die über die Beats ihre Reime sprachen. Um die Stimmung anzuheizen, um zu unterhalten, und der Bewegung eine Stimme zu geben. Bald gab es ganze Rap-Crews, die die DJs in den Hintergrund drängten. Partys verwandelten sich in Konzerte, und Grandmaster Flash war wieder vorn dabei. Als Hintermann seiner Rap-Crew Furious Five dominierte er die späten 1970er, brachte auf Touren den Hip Hop in andere Städte. Und sogar in den Süden der Stadt, bis nach Manhattan. Dort legte er in den Punk-Clubs auf und Debbie Harry von Blondie sang auf „Rapture“: „Flash ist schnell, Flash ist cool.“