Eine Headlinerin, die noch keinen einzigen Release herausgebracht hat - so etwas ist selten: Bei der 14. Auflage des Wiener Popfests erfüllte Uche Yara genau diese Job Description. Die 20-jährige Österreicherin mit nigerianischen Wurzeln begeisterte zum Auftakt des viertägigen Gratis-Festivals das Publikum am Donnerstag mit einer Mischung aus Soul, R&B, Psychedelic Rock und "Tango", wie ihr bekanntestes Lieder heißt. Wen das nicht ansprach, konnte trotzdem glücklich werden.
Denn stilistische Vielfalt wurde auf der Seebühne, dem traditionellen Herzstück der Open-Air-Sause, am mit perfektem Sommerwetter gesegneten Eröffnungsabend groß geschrieben. Nicht umsonst hatte das diesjährige Kuratorenduo Anna Mabo und Dorian Concept im Vorfeld von einem "Gemischtwarenabend" gesprochen, der gewissermaßen pars pro toto eine möglichst große Bandbreite heimischen Musikschaffens abbilden sollte. Mission erfüllt.
Tag eins
18.000 Besucherinnen und Besucher zog es laut Veranstalter an Tag eins zum Fest. Los ging es mit Das schottische Prinzip, einem Frauenquartett rund um Sängerin Julia Reißner, das im Vorjahr ihr Debütalbum "Jolly" veröffentlichte. Die mit und ohne Sonnenbrille souveräne Coolness versprühende Frontfrau - mal Gitarre, mal Keyboard umgeschnallt - ließ stimmlich über weite Strecken an Hildegard Knef denken. Musikalisch ist das Quartett irgendwo zwischen Kurt Weill, Punk und Chanson verortet. Keine schlechte Mischung zum Eingrooven.
Erstmals etwas eng vor der Bühne wurde es dann bei Donna Savage. Mit Beatbastler-Institution Brenk Sinatra, mit dem sie erst im Mai die EP "Parole Donna" veröffentlicht hatte, servierte sie Deutschrap made in Wien-Landstraße. Harte feministische Punchlines a la "Für Hurensöhne wird nicht gebremst" oder "Mein Name ist bekannt auf der Blutwiese" zeugten von einer ordentlichen Portion Selbstbewusstsein und einer klaren Absage an toxische Männlichkeit. Zwischendurch ließ die Rapperin ein paar Wodka-Shots in Plastikbechern an das Publikum verteilen. Dann geht das eingeforderte Mitgrölen vielleicht etwas leichter.
Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler riet ebenfalls zur Ausgelassenheit: "Let's shake it!". Es gebe aktuell zwar eine Vielzahl von Krisen, aber "keine Angst", denn Kunst und Kultur sei "das beste Gegengift" und das Popfest stehe dafür, dass Kultur "uns allen" gehöre. Was das Shaken anbelangt, ließen sich das die Fans von Salò nicht zwei Mal sagen. "Danke, dass ihr hier seid und nicht am Rammstein-Konzert", zog dieser die Zuhörerschaft gleich einmal auf seine Seite. Der Südsteirer mit Wahlheimat Wien, der eigentlich Andreas Binder heißt, wie Rio Reiser singt und laut Eigendefinition Musik macht "für Hundestreichler, Arbeitsverweigerer und alle, die sonst noch Gefühle haben", sorgt mit seiner auf rau gebürsteten, ruppig-punkigen Spielart der Neuen Deutschen Welle derzeit für Furore. Das Schweißtuch um die Schultern gelegt, das Mikro schwingend und zuweilen wild zappeltanzend wie einst Ian Curtis erfreute er die Menge mit Hits wie "Geil auf Betong", "Apollonia sitzt bei Edeka an der Kassa", "AMS" oder "Internetfreundin". Lieder, in denen Kapitalismus-Kritik ebenso Platz hat wie das ewige Gfrett mit der Liebe.
Und heute geht es weiter
Damit war alles angerichtet für den Mainact Uche Yara, die recht bald nach Beginn ihres Sets "Ey, party all night" einforderte. Obwohl noch keine offiziellen Veröffentlichungen am Konto, hat die Singer-Songwriterin in den vergangenen Monaten durch eine Reihe von Festivalauftritten und als Tour-Support von Bilderbuch - nächstes Mal am Samstag auf der Burg Clam - auf sich aufmerksam gemacht. Nun sei sie das erste Mal mit ihrer eigenen Band Headlinerin, freute sie sich und bewies beim Popfest sogleich, dass sie allemal das Zeug dazu hat. Stimmlich beeindruckend und versiert zwischen den Genres wechselnd, beendete Uche Yara das Open-Air-Line-up des ersten Festivaltages - und entließ das Publikum dann doch noch mit einem Versprechen in Sachen Release: "Bald wird es soweit sein."
Das Popfest lädt noch bis Sonntag auf und rund um den Karlsplatz zum Gustieren durch das aktuelle österreichische Musikschaffen. Auf der Seebühne und an acht weiteren Locations sind bei freiem Eintritt etwa noch Ankathie Koi, Bipolar Feminin, Leftovers, Franz Fuexe, Buntspecht, Paul Plut, Lukas Koenig oder Krixi, Kraxi und die Kroxn zu erleben.
Die Kuratorin
"Hallo ist immer ein guter Anfang (...) Hallo, zur Begrüßung biete ich dir meine Hand an“, singt Anna Mabo in ihrem Song. Darin geht sie händeschüttelnd durch die Gegend und begrüßt Kollegen wie Bibiza, Ernst Molden, Der Nino aus Wien oder Herwig Zamernik.
Künstlerin Mabo kuratiert (gemeinsam mit Künstlerkollegen Dorian Concept) das aktuelle Wiener Popfest, bei dem sie das Publikum mit einem ambitionierten Programm begrüßt – heute zum Beispiel mit Ankathie Koi (auch eine ehemalige Popfest-Kuratorin), Bipolar Feminin oder dem „Wiener Schickeria“-Rapper Bibiza. Mabo ist als Popmusikerin eine alternative Größe im heimischen Musikteich, hat am Max Reinhard-Seminar Schauspielregie studiert und war als Regisseurin am Schauspielhaus Wien oder am Landestheater Linz tätig.
Hinter dem Künstlernamen „versteckt“ sie eine bekannte österreichische Familie: Ihr Vater ist Peter Marboe, in den 1990er-Jahren Wiener ÖVP-Kulturstadtrat, der Bruder von Ernst Wolfram Marboe, früherer Fernseh- und Programmintendant des ORF. Das von Mabo verantwortete Programm beschreibt sie so: „Wie die Donau nach dem Regen, mitreißend, aber noch nicht gefährlich.“ Das am Karlsplatz stattfindende Fest ist jedenfalls ein (bei freiem Eintritt) konsumierbarer Querschnitt durch Österreichs alternative Musiklandschaft – zu der auch die Wienerin seit einigen Jahren gehört. 2019 veröffentlichte sie mit „Die Oma hat die Susi so geliebt“ ihr erstes Album, „Notre Dame“ folgte 2021.
Und sie macht auch als Kuratorin eine gute Figur und stellt Musik zwischen „Häh? und Wow!“ vor, die eigenständig ist. Vielleicht hat sie sich auch ein Beispiel an ihrem Popfest-Kollegen Robert Rotifer genommen, Sohn von Ex-SPÖ-Finanzminister Ferdinand Lacina. Sie selbst hat sich ihre Eigenständigkeit auch erarbeitet und hat das „r“ und „e“ aus ihrem Namen gestrichen – um nicht die Tochter von zu sein.