Die umfassende Retrospektive zum Werk Jan Vermeers, die nun im Amsterdamer Rijksmuseum ausgestellt wird, erfreut sich an einem enormen Ansturm. Fast eine halbe Million Karten wurde nur drei Tage nach der Eröffnung verkauft. Mehr als 100.000 Eintrittskarten hatte man bereits einen Monat vor Start verkauft – und damit einen Rekord für das Museum gebrochen.

Für die Ausstellung muss zuvor online ein Timeslot reserviert werden. Nach der Eröffnung am Freitag gab es einen Sturm auf Karten. Die Website des Museums war stundenlang unerreichbar. Das Museum lässt nur eine begrenzte Zahl von Besuchern gleichzeitig zu, sodass die oft kleinformatigen Bilder für alle gut zu sehen sind. Am Montag teilte dann das Museum mit, dass alle 450.000 bis zum 4. Juni zur Verfügung stehenden Karten verkauft seien. Es wird jetzt untersucht, ob Öffnungszeiten verlängert werden können. Das Interesse sei weltweit "gigantisch", sagte der Direktor des Rijksmuseums, Taco Dibbits.

Direktor des Rijksmuseums, Taco Dibbits, und im Hintergrund Vermeers Aushängeschild: "Mädchen mit dem Perlenohrring"
Direktor des Rijksmuseums, Taco Dibbits, und im Hintergrund Vermeers Aushängeschild: "Mädchen mit dem Perlenohrring"
© APA/AFP/JOHN THYS (JOHN THYS)

Das Œuvre (Gesamtwerk) Vermeers mit Aushängeschildern wie dem "Mädchen mit dem Perlenohrring" (entstanden 1664–1667) bezaubert einfach weltweit Millionen. Die Bilder des niederländischen Malers (1632–1675) sind gemalte Poesie. Er zieht den Betrachter in den Bann mit Farben, Licht und Harmonie. "Vermeer entführt uns in eine in sich gekehrte stille Welt", sagt der Direktor des Amsterdamer Rijksmuseums, Taco Dibbits. Wenn man dem Geheimnis auf die Spur kommen will, dann sollte man es jetzt tun. Für die bis dato größte Vermeer-Ausstellung sind 28 der noch bekannten 37 Werke versammelt. Das gab es noch nie. "Es ist jetzt oder nie", sagt Dibbits. Denn, dass es überhaupt gelang, so viele der kostbaren Bilder zusammenzubringen aus sieben Ländern, grenzt an ein Wunder.

Verzichten muss man dabei auf eines der Hauptwerke, Vermeers "Die Malkunst", die weiterhin friedlich im Kunsthistorischen Museum (Wien) hängt. Als Gründe für die Weigerung der Ausleihe werden hier konservatorische Gründe genannt. Wobei Experten in der "Presse" aufgebrachte Vermutungen durchaus bestätigen, dass hinter dem Schritt zumindest auch Bedenken stehen könnten, dass die Erben des einstigen Besitzers Jaromir Czernin, der das Werk 1940 an Hitler verkaufte, aktiv werden könnten, sobald sich das Gemälde im Ausland befindet. 2011 hatte Österreich die Restitution des Bildes abgelehnt.

Näher zu Vermeer

Unter dem Motto "Näher zu Vermeer" soll der Betrachter dem Werk und Meister so nahe wie nie zuvor kommen. Im Vorfeld wurden Bilder untersucht, viele neue Erkenntnisse auch über den Maler selbst wurden zusammengetragen – die "Sphinx von Delft" wird er genannt. Denn man weiß nur wenig über ihn. Auch nicht, wie er aussah.

Vermeer lebte in der reichen Porzellanstadt Delft südlich von Den Haag, Anfang des 17. Jahrhunderts ein lebendiges Zentrum der Malerei. Jahrelang lief alles fantastisch. Seine Bilder kamen an, und er hatte auch mit seinem Kunsthandel Erfolg. Dabei hatte Vermeer anders als seine Kollegen wie etwa Rembrandt kein großes Œuvre. "Höchstens zwei Bilder malte er im Jahr", sagt Co-Kurator Gregor Weber. Vermeer war aber kein "Tüftler, der ein halbes Jahr an einem Bild gemalt hat", sagt Weber. Er habe "vier Monate nachgedacht und dann einen Monat gemalt".

Die neuen Untersuchungen ergaben auch, wie Vermeer an den Bildern feilte. Beim "Milchmädchen" (1658–1659) etwa übermalte er ein Regal im Hintergrund, es lenkte zu sehr ab. Jetzt erscheint die Szene wie ein Stillleben. Im Zentrum steht das Mädchen, das, tief in sich versunken, Milch aus einem Krug in eine Schale gießt. Das intensive Blau der Schürze zieht den Betrachter in seinen Bann und lässt ihn nicht mehr los. Vermeer malt vorwiegend Alltagsszenen in Innenräumen. Die Attribute weisen auf Wohlstand und Bildung hin: Gläser, kostbare Teppiche, Perlen. Vermutlich lebte er selbst so. Obwohl es im Haus Vermeer kaum ruhig zugegangen sein kann. Der Maler und seine Frau hatten schließlich 14 Kinder.

"Vermeer war fasziniert von der Spannung zwischen der Außenwelt und der Welt des Bildes", sagt Konservator Pieter Roelofs. Fenster, Briefe, Landkarten oder Bilder sind für den Maler Verbindungen zu der Welt draußen. Nur selten malt er auch tatsächlich diese Außenwelt wie "Ansicht von Delft" (1660–1661) – doch auch sie strahlt eine meditative Ruhe aus. Träge schaukelt ein Kahn im Hafen, das Wasser ist spiegelglatt. Die roten Dachziegel glänzen wie nach einem Regenschauer. Kirchtürme strahlen im Morgenlicht. 1672 kam das Unglück. Die niederländische Republik wurde von Feinden überfallen, die Wirtschaft brach zusammen. Vermeers Kunsthandel lief nicht mehr, und auch seine eigenen Bilder konnte er nicht verkaufen. 1675 starb er nach kurzer Krankheit, nur 43 Jahre alt und mittellos. Er wurde Opfer von "Verfall und Dekadenz", klagte später seine Witwe.