Ein Mann, der aussieht wie ein junger Gott. Cool, viril, tiefgründig, aber auch distanziert-vorsichtig. In einem knappen Anzug sitzt er mitten in der Nacht auf einem verlassenen Bahnhof. So wird die Figur Virgil Tibbs eingeführt, ein Kriminalpolizist, der sich im Thriller „In der Hitze der Nacht“ nicht nur mit Mördern, sondern auch mit dem Rassismus des US-Südens plagen muss. Denn Virgil Tibbs ist schwarz. Aber er kämpft, er ist kein Opfer, sondern ein Held, der den Verhältnissen die Stirn bietet.
Sidney Poitier hat diesen Virgil Tibbs auf grandiose Weise gespielt: verletzlich, stolz, einmal cholerisch, einmal resignativ, voller Wut und hochintelligent. Als Detective an der Seite des feisten, vorurteilsbeladenen Kollegen Gillespie (Rod Steiger) wurde Sidney Poitier zur Identifikationsfigur für afroamerikanische Kinogeher, die Dunkelhäutige sonst als Diener oder Entertainer in Nebenrollen zu sehen bekommen hatten.

Im Jahr 1967, als „In der Hitze der Nacht“ erschien, war Poitier aber schon ein Star, oder besser: Er war der erste afroamerikanische Hollywoodstar überhaupt. 1949, mit 22 Jahren, war er aus den Bahamas nach Hollywood gekommen. Die Chancen, dass er es zu Ruhm bringen würde, standen mehr als schlecht. Der Bauernsohn (jüngstes von sieben Kindern) war überhaupt nur Amerikaner, weil sich seine Eltern zum Zeitpunkt seiner Geburt auf Besuch in Florida aufhielten. Er wuchs auf den Bahamas auf und ging blutjung, mit 15, wieder in die USA, wo er nach Gelegenheitsjobs als Tellerwäscher in die Theaterwelt hineinwuchs. Nach ersten Filmrollen und einem bemerkenswerten Auftritt in „Die Saat der Gewalt“ erspielte er sich 1958 eine Oscar-Nominierung. In „Flucht in Ketten“ spielt Poitier einen Sträfling, der – angekettet an Mithäftling Tony Curtis – doch wieder vom Alltagsrassismus eingeholt wird. 1963 kam „Lilien auf dem Felde“ und Poitier als Wanderarbeiter Homer, der Nonnen aus der DDR beim Bau einer Kapelle hilft. Dafür erhielt er dann endlich den Oscar. Es war erst der zweite für eine afroamerikanische Person, nachdem Hattie McDaniel 1939 einen Nebenrollen-Oscar für eine Dienerinnenrolle in „Vom Winde verweht“ erhalten hatte.
Fast 40 Jahre später, 2002, erhielt Poitier den Ehren-Oscar für sein Lebenswerk. Denzel Washington sagte in seiner Würdigung, dass afroamerikanische Darsteller vor Poitier oft in Nebenrollen zu sehen waren, die man für die Kinovorführungen im Süden leicht habe herausschneiden können. Aber das ging bei ihm nicht mehr: „Du kannst Sidney Poitier nicht aus einem Sidney-Poitier-Film schneiden.“ Nach einigen Versuchen als Regisseur hielt das Alter noch schöne Rollen für Poitier bereit, etwa in „Mörderischer Vorsprung“.

So inspirierend Poitiers Laufbahn war, in den radikaleren 70er-Jahren regte sich auch Kritik. Poitier sei der „nette, angepasste Schwarze“, der sich ans Establishment angebiedert habe. Ironischerweise dankte Poitier in der Oscarrede 2002 vor allem den (weißen) Mentoren seiner Laufbahn: Produzenten und Regisseuren wie Darryl F. Zanuck, Norman Jewison und Richard Brooks. Doch das war kein Kotau, sondern eher die großzügige, höfliche Art zu betonen, dass man das Unmögliche nicht im Alleingang möglich machen kann.

Poitier, der für seine erste Heimat Bahamas auch diplomatische Dienste ausübte und sowohl zum britischen „Sir“ geschlagen wurde als auch die amerikanische Freiheitsmedaille erhielt, war bereits zu Lebzeiten eine Legende. Ein Pionier, der seiner Zeit um Jahrzehnte voraus war. Dass er den Wandel Hollywoods zuletzt noch mitbekommen durfte, war die späte Gerechtigkeit für einen Jahrhundertkünstler, der seine Wurzeln nicht vergaß: Dass schwarzen Schauspielern vor ihm keine Chance gegeben wurde, er hat es oft betont.