Mit einem mehrjährigen, fortlaufenden Forschungsprojekt widmet sich das Österreichische Volksliedwerk der eigenen Geschichte. Am Dienstag wurden in Wien erste Ergebnisse präsentiert, die sowohl im Jahrbuch als auch dem Österreichischen Musiklexikon veröffentlicht werden. "Es geht nicht nur um eine kritische Analyse, sondern auch um Reflexion", so Josef Pühringer, Präsident des Volksliedwerks.

Damit bezog sich der ehemalige oberösterreichische
Landeshauptmann auf die Lehren, die man daraus ziehen könne. "In dem
Sinne: Was bedeutet das für die Zukunft des Volksliedwerks, was
müssen wir berücksichtigen und wie sehen allfällige Konsequenzen
aus?" Der Auftrag sei ein "umfassender und durchaus heikler", wurde
das Volkslied doch immer wieder in die Geschehnisse der Zeit
einbezogen, verwies Pühringer etwa auf den Nationalsozialismus.
"Ziel dieses umfangreichen und in mehreren Medien publizierten
Editionsprojekts ist es, institutionsgeschichtliche Lücken zu
schließen und die Institutionen und handelnden Personen einer
kritischen Analyse und Reflexion zu unterziehen."

Ausgegangen war das Projekt von einem Ausstellungsvorhaben über
die Geschichte des Volksliedwerks im 20. Jahrhundert, das 2013 in
der Nationalbibliothek geplant, allerdings nicht realisiert wurde.
"Diese Idee wurde aber genutzt für diesen 'Work in Progress'",
erläuterte Erna Ströbitzer vom Volksliedwerk-Archiv. In einer ersten
Stufe wurden die Sommerakademien 2017 und 2018 zum Themenschwerpunkt "Erbschaft. Traditionslinien und Prägungen" durchgeführt, woraus sich in weiterer Folge wissenschaftliche Referate und Texte entwickelten. Als Basis dafür dienten auch unzählige, in den
Archiven gesichtete Dokumente und Korrespondenzen, die aufgearbeitet und verfügbar gemacht wurden. Gefragt zum zeitlichen Horizont des Forschungsprojekts, meinte Ströbitzer: "Es wird eine Lebensaufgabe, das aufzuarbeiten."

Erste im Jahrbuch publizierte Texte behandeln die Geschichte der Volkskultur Niederösterreich nach dem Zweiten Weltkrieg, das Tiroler
Volksliedarchiv wird wiederum in den ersten drei Jahrzehnten seines
Bestehens ab 1905 beleuchtet. "Ein biografischer Einblick" wird
zudem auf das Schaffen des Volksliedforschers Emil Karl Blümml
(1881-1925) geworfen. Barbara Boisits vom Institut für kunst- und
musikhistorische Forschungen der Österreichischen Akademie der
Wissenschaften, das mit dem Volksliedwerk kooperiert, betonte die
Bedeutung der Aufarbeitung der eigenen Geschichte. "Das wurde in der
Musikforschung ganz generell lange vernachlässigt."

Auf die jüngste Liederbuch-Affäre angesprochen, erklärte
Pühringer, dass besonders kritisierte Lieder "nichts mit uns als
Volksliedwerk zu tun haben. Da gibt es keine Berührungspunkte."
Grundsätzlich gelte es aber, die Thematik differenziert zu
betrachten. "Es gibt durchaus Stücke, die man heute nicht mehr
singt, weil sie missbraucht wurden - aber nicht, weil das Lied per
se schlecht ist". Auch Ströbitzer und Boisits sprachen sich für eine
transparente, die historische Kontextualisierung einbeziehende
Behandlung aus. "Was aber gar nicht geht, ist der Versuch, solche
Lieder für bestimmte Zwecke zu gebrauchen, um irgendwelche
Assoziationen zu wecken", unterstrich Pühringer.