Ozon erzählt in „Gelobt sei Gott“ hochseriös und dennoch aufwühlend, erhielt für seine Regiearbeit bei der Berlinale den Großen Preis der Jury. Nun läuft der Streifen in den österreichischen Kinos.
Was haben Ihre Produzenten gesagt, als Sie dieses Thema vorschlugen?
FRANCOIS OZON: Sie haben ein bisschen dumm aus der Wäsche geschaut. Ihre Hoffnung, dass dies volle Kassen machen könnte, war nicht sehr hoch. Letztendlich gaben sie, das kann man buchstäblich betrachten, ihren Segen. Und siehe da: „Gelobt sei Gott“ wurde einer meiner erfolgreichsten Filme.

Was war für Sie der Auslöser für dieses Projekt?
OZON: Tatsachen. Die Wahrheit. Der Kindesmissbrauch durch den katholischen Priester Bernard Preyat. Das beharrliche, langjährige Schweigen seines Vorgesetzten Philippe Barbarin, des Erzbischofs von Lyon. Alles wirklich passiert, alles bereits vorher durch journalistische Investigation gut dokumentiert. Ganz klar war, für wen ich den Film machen wollte. Nämlich für die Opfer.

Legte man Ihnen Steine in den Weg?
OZON: Man wollte den Film verbieten lassen und die Premiere verhindern. Wir fanden jedoch einen klugen Richter, der die Freiheit der Kunst über alles stellte. Ich selbst hatte vor einem Verbot keine Angst, denn das wäre die beste Propaganda für uns gewesen.

Was war der Hauptvorwurf gegen Sie?
OZON: Unter anderem, dass ich die „Täter“ beim wirklichen Namen nannte. Dabei waren die ja eh bekannt. Auch einige der Opfer wären einverstanden gewesen, hätte ich ihre echten Namen verwendet. Doch vor allem das Privatleben der Opfer wollte ich schützen. Vor der Öffentlichkeit – und vor ihren Kindern.

Inzwischen haben Sie faktisch „gewonnen“. Gegen Bernard Preyat, der die Missbrauchsfälle gestanden hat, wurde von einem Kirchengericht die Höchststrafe verhängt. Es enthob ihn seiner klerikalen Würde. Kardinal Philippe Barbarin wurde ob seines beharrlichen Schweigens zu den Vorfällen zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Aber Sie waren vom Verhalten von Papst Franziskus enttäuscht?
OZON: Von ihm fehlte mir ein klares Wort. Barbarin selbst ließ sein Amt nach dem Urteil ruhen, der Papst hat ihn mittlerweile faktisch abgelöst, indem er einen Apostolischen Administrator nach Lyon schickte, womit Barbarins Jurisdiktion mit sofortiger Wirkung ruhte. Was mir am Verhalten des Papstes nicht gefiel, war, dass er den Satan für den Kindesmissbrauch durch Priester verantwortlich machte.

Ihre Meinung zum „Satan“?
OZON: Ich empfand es als bedenklich, dass die Kirche in unserer Zeitz den Teufel aus dem Hut zaubert. Widersprüche zwischen Wort und Tat müssen sich auflösen, wenn es darum geht, Missbrauch von Kindern zu verschleiern. An den Satan glaube ich nicht, wohl aber daran, dass Menschen diabolische Elemente in sich tragen. Genauso aber interessiert mich die menschliche Seite. Sie sehen ja im Film, dass ich dem Priester, der das Böse verkörpert, auch menschliche Züge zugestehe.

Den Titel „Gelobt sei Gott“ haben Sie sicher bewusst gewählt?
OZON: Er bezieht sich auf ein Zitat, das Kardinal Barbarin bei einer Pressekonferenz aussprach. Gottlob seien die Taten ja verjährt, meinte er damals. Gottlob, sage i c h, ist die Verjährungsfrist in Frankreich inzwischen von zwanzig auf dreißig Jahre verlängert worden. Das ermöglicht auch älteren Opfern, zu klagen.

Hatten Sie selbst einmal ein, sagen wir: merkwürdiges Erlebnis, mit einem Priester?
OZON: Ich hatte sozusagen eine klassische Erziehung, bin katholisch aufgewachsen, habe den Katechismus gelernt und bin gefirmt worden. Als ich als Jugendlicher die Sexualität entdeckte, fiel mir die Scheinheiligkeit der Kirche auf und ich habe mit meinem Glauben gebrochen. Bei den Dreharbeiten zu diesem Film fiel mir noch etwas ein. Tatsächlich gab es ein bizarres Erlebnis mit einem Geistlichen. Ich muss zirka acht Jahre alt gewesen sein, da wollte einer beim Katechismus-Unterricht mit mir Verstecken spielen. Er wüsste ein tolles Versteck, sagte er, fing an, heftig zu atmen und wollte mich an sich drücken. Spontan habe ich ihn weggeschubst und bin davongelaufen. Erst beim Dreh zu „Gelobt sei Gott“ wurde mir ob dieser Erinnerung bewusst, wie leicht man als Kind Opfer werden kann. Da stellte sich in der Tat ein starkes Schwindelgefühl ein.

Glauben Sie, ist dies ein Film gegen die Kirche?
OZON: Absolut nicht. Es ist ein Film f ü r die Kirche, für ihre Befreiung. „Gelobt sei Gott“ ist kein Propagandafilm. Ich stelle Fragen. Antworten habe ich nicht. Aber eines hat mich an der starken Zuschauerresonanz in Frankreich besonders glücklich gemacht. Wäre ich vor einiger Zeit gefragt worden, ob Kino etwas verändern kann, ich hätte klar mit „Nein!“ geantwortet. Doch dieser Film hat in der Tat etwas verändert. Es hat klare Urteile gegeben. Kino, denke ich heute, kann zumindest Türen öffnen.

Noch einmal zurück zur vorherigen Frage: Glauben Sie nun an Gott oder nicht?
OZON: Den Glauben an Gott im klassischen Sinn habe ich verloren. Doch ich glaube an etwas Höheres, ja.

Beten Sie?
OZON: Normalerweise nicht. Wenn ich im Flugzeug sitze, schon.