Ein Endspiel, in seiner Kernaussage weitaus näher an Beckett als an Goethe, ein Theater der Grausamkeit im Umfeld von Artaud, ein Inferno, bei dem Dante grüßen lässt, eine Orgie an Sex und Gewalt, an der auch Blutbademeister Quentin Tarantino seine Freude gehabt hätte. Und doch ist es ein krachendes, mit explosiver Sprachkraft aufgeladenes, alles menschliche zermalmendes Werk aus der Originalmanufaktur, Marke Martin Kušej. Vor fünf Jahren nahm er sich im damals von ihm geleiteten Münchner Residenztheater, dramaturgisch unterstützt von Albert Ostermaier, Johann Wolfgang Goethes "Faust I" und "Faust II", zur Brust, gemeinsam zerlegten sie das Werk in alle Einzelteile.

Lieblingsklassiker der Deutschen

Runde 60 Jahre arbeitete der Geheimrat am Lieblingsklassiker der deutschen Nation, geblieben ist in Kušejs radikal eingedampfter, hinten und vorne umgestellten Version ein Trümmerhaufen. Kein Stein bleibt auf dem anderen in dieser Reise in die völlige Finsternis, die auch bei der Wiederaufnahme am Burgtheater nichts an Brisanz und Zeitbezügen eingebüßt hat. Die einstige Menschheitsparabel wird zur Sackgasse. Es ist ein völlig rissiger Spiegel, den Kušej der Gesellschaft vorhält.

Mit einem fast grobschlächtigen Protagonisten, der in Worten schwitzt; sein Drang in den Lenden ist weitaus größer als sein Wissendurst, ein Rausch-Realo auf Dauerspeed (exzellent gespielt von Werner Wölbern). Er will Club-Mitglied werden in einer Spaßgesellschaft, die auf direktem Weg in den Abgrund tanzt.

Intensiv und eindringlich

Die Inszenierung, reich an Short-Cuts, Pyrotechnik, Kürzest-Fragmenten und Blackouts, hat im Vergleich zur Münchner Version an Schwärze und Ausweglosigkeit noch zugenommen. Sie rotiert auf kaum zählbaren Achsen und hat doch ein klares Zentrum: Mephisto. Martin Kušej ist nicht der erste Regisseur, der den Verführer als Teufelsweib auftreten lässt, aber das zynische, mitunter fast resignative Treiben, das Bibiana Beglau an den Tag oder in die Nacht legt, ist an Intensität und Eindringlichkeit derzeit einzigartig. Der Pakt mit Faust - ein Kinderspiel. Fast scheint sie Mitleid zu haben mit diesem Triebtäter, der in einer sinnentleerten, egozentrischen und haltlosen Welt fanatisch giert nach ständig neuen Exzessen.

Stahlskelett samt Hebekran

Genial das Bühnenbild von Aleksandar Denić. Er stellt ein monströses, einstöckiges Stahlskelett samt Hebekran in den Raum, mit Vielfachfunktion. Kurz dient ein Geviert in der oberen Etage Philemon und Baucis als Bleibe, ehe diese in die Luft fliegt. Gleich daneben befindet sich, eingezäunt, eine Disco und Kampfarena, darunter, in gleißendes Licht getaucht, Gretchens Kammer; zu öffnen und zu schließen wie ein Garagentor. Und dieses Gretchen, zutiefst berührend und beklemmend weltfremd gespielt von Andrea Wenzl, bietet einen wichtigen Gegenpol zu Fausts Höllenfahrt, die auch vorbei führt an Terroranschlägen und Drogenkriegen.

Ringsum finale seelische Kollateralschäden in einem pechschwarzen Pandämonium. Und doch belegen sie, wie viel Doppelsinn, auch sexueller Anspielreichtum in den Versen von Goethe steckt, wenn man sie nur an der richtigen Stelle abklopft und entstaubt. Das letzte Wort hat die völlige Leere, die Stille, die Düsternis. Passend zu einem Horrortrip, der sprachlos macht. Für das Ensemble gab es kurzen, heftigen Applaus, Jubel für die Protagonisten und einige Buhrufe für Martin Kušej. Er wird's, nach diesem gewaltigen Kraftakt, wohl verkraften.