Heftig wogte jüngst der deutsche Blätterwald, als der Salzburger Landestheaterintendant Carl Philip von Maldeghem zum Chef des Kölner Schauspiels designiert wurde. So rüde wurde ihm von manchen die nötige Qualität abgesprochen, dass der Theaterleiter seinen Jobwechsel am Freitag wieder rückgängig machte. Viel Aufmerksamkeit lag daher am Tag danach auf seinen "Geschichten aus dem Wiener Wald".

Nein, man wird den 49-jährigen deutschen Theatermacher auch nach dieser Inszenierung nicht zu den großen Innovatoren des Gegenwartstheaters zählen können. Dennoch muss sich dieser Horvath-Abend keineswegs verstecken. Er löst letztlich genau das ein, warum von Maldeghem offenbar von der Politik wie von einem guten Teil des Publikums in der Mozartstadt geschätzt wird, und bietet eine zeitgenössische, am Werk orientierte, künstlerisch uneitle und dabei keineswegs biedere Interpretation eines modernen Klassikers.

Nichts Lebkuchenherziges

Schon die Ausstattung von Stefanie Seitz vermeidet demonstrativ allen Zuckerguss und alles Lebkuchenherzige, das man den zwischen Wien, Wein und Wachau spielenden Szenen antun könnte: Eine große, dreh- und begehbare Wand aus weißen Fliesen verströmt eine nüchterne Kühle, an der Emotionen wie Körpersäfte abperlen. Für die "Stille Straße im achten Bezirk" werden vor ihr vom Schnürboden bloß eine Schweinshälfte, ein Gerippe und eine "Lotto"-Leuchtreklame heruntergelassen. Mehr braucht es nicht, um Oskars Fleischerei, die Puppenklinik "Zum Zauberkönig" und die Tabak-Trafik von Frau Valerie anzudeuten. In die Wand-Rückseite ist in Mannshöhe eine Nische eingelassen, verwendbar als Altar und Varietebühne.

Von Maldeghem ist kein Anhänger des Überwältigungstheaters. Er sucht nicht nach grellen Effekten und starken Bildern, die große Imaginationsräume öffnen. Aber er hat mit einem guten Ensemble einen betont nüchternen, schlichten Spielstil entwickelt, in dem Emotion aus der Interaktion entsteht und nicht einfach behauptet wird. Die Szenen der Verlobungsfeier an der Donau und im Vergnügungsetablissement sind gekonnt arrangiert und choreografiert. Fallen die Kleider, lässt sich auch nackte Gewalt erahnen, aus Dirndl und Lederhose sprießt die Niedertracht. Putzig ist da nichts.

Der Zauberkönig

Nikola Rudle versucht nicht, sich für eine an vielen großen Rollenvorbildern orientierte Marianne zurechtzubiegen, sondern entdeckt viele Facetten der mutigen, gegen die Zumutungen ihrer Umgebung rebellierenden und dafür bitter büßenden Protagonistin in sich, der jungen Frau von heute. Gerade ihre Zurückgenommenheit überzeugt. Sie zerbricht zwischen zwei Männern. Der eine liebt sie (Christoph Wieschke ist ein treuherziger Oskar, der Gutes will und doch das Böse schafft), den anderen liebt sie (Sascha Oskar Weis ist als Alfred ein egozentrischer, doch stellenweise durchaus liebenswerter Hallodri). Britta Bayer überzeugt als energische Valerie, Walter Sachers trägt als gar nicht so bürgerlicher Zauberkönig darstellerisch am stärksten auf, Gregor Schulz lässt als deutscher Student den kommenden Fanatismus aufblitzen.

Bei zwei Regieeinfällen liegt Carl Philip von Maldeghem allerdings daneben: Donauwalzer als Musikuntermalung der "Geschichten aus dem Wiener Wald" gehörte schon längst auf die Verbotsliste, erklingt an diesem mit zwei Stunden 20 Minuten (inklusive Pause) recht straffen Abend, an dem auch manches gestrichen ist, aber nahezu in Dauerschleife. Und die Großmutter mit einer jungen Schauspielerin (Janina Raspe) zu besetzen und aus ihr eine böse Gottesmutter zu machen, war eine Idee, die nicht aufging. Dass soll aber auch anderen passieren. Als Stefan Bachmann, der jetzige Kölner Intendant, dessen Nachfolger nun aufs Neue gesucht werden muss, 2010 in Wien die "Geschichten aus dem Wiener Wald" inszenierte, verwandelte er das Akademietheater in ein riesiges Altmöbellager. Mit der weißen Fliesenwand schienen die Salzburger gestern recht zufrieden. Langer, freundlicher Applaus.