Es schaut ein bissl nach Experiment aus, nach Herumprobiererei: 2007 hat Helmut Lang ein Selbstporträt von sich geschossen. Das Wort Selfie war so gut wie gar nicht geläufig, schon gar nicht wurde es mit jener die Professionalität verwendet, mit der heute an das eigene Abbild herangegangen wird. 2007, das war auch das Jahr, in dem das erste iPhone das Licht der Welt erblickte. Bis heute ist das Foto auf dem Wikipedia-Account von Lang zu finden, und es zeugt eindringlich davon, welcher Innovationsdrang in ihm steckt. Heute würde man Early Adopter dazu sagen und vor allem die digitale Welt damit meinen. Aber bei Lang wäre das viel zu kurz gegriffen.

Ein White Cube für die Modenschau, Einblick in die aktuelle MAK-Schau über das Schaffen von Helmut Lang
Ein White Cube für die Modenschau, Einblick in die aktuelle MAK-Schau über das Schaffen von Helmut Lang © kunst-dokumentation.com / MAK

Mit 28 Jahren hat der gebürtige Wiener Peter Scepka seine erste Damenkollektion vorgestellt, fünf Jahre zuvor seine erste eigene Boutique eröffnet. Das Besondere daran: Scepka, der später seinen dritten Vornamen und den Familiennamen der Großeltern mütterlicherseits zu Helmut Lang formen sollte, war HAK-Schüler und danach in Wien Kellner. Die DNA seiner Mode, seiner Marke wurde in keiner Modeschule, an keiner Universität kreiert, sie entstammt seinem eigenen Bedürfnis nach puristischer Kleidung. Man kann es ihm nicht verdenken, waren die 1980er-Jahre doch das Jahrzehnt, in dem sich die Popkultur der opulenten Extravaganz hingegeben hat: Schulterpolster, Karottenhosen, Miniröcke, Neon-Farben, ausgewaschene Jeans, Fransen, Falten, Dauerwellen. Üppigst!

Ein Jahrzehnt lang hat sich die Welt im modischen Dauerfasching befunden, bevor die 1990er-Jahre eine modische Zäsur eingeleitet haben: Die Kids zogen vom ersten Stock in den Keller, Grunge favorisierte Flanellhemden und Westen als modischen Trauerflor für den Weltschmerz, währenddessen Gianni Versace mit Gold, Pomp und Barock die Regler hochdrehte. Die puristische Mode von Helmut Lang erwies sich als die dringend benötigte Atemmaske in einem völlig verrauchten Flieger. Lang zog nach New York, eine Stadt, die sich damals im Umbruch befand – Purismus für den Aufbruch. Schwarz, Weiß und Beige als Grundfarben, die Schnitte Ergebnis einer vorherigen Dekonstruktion, eine intensive Auseinandersetzung mit der Machart und der Stofflichkeit. Gummi und PVC als provokante Bindeglieder, Transparenz und Layering für den Schichtwechsel. Bänder, Reißverschlüsse, Schlaufen, damit machte der „Meister der Coolness“ seine Kollektionen zu puristischen Uniformen für den Großstadtdschungel.

Helmut Lang, Schwarz-weiß-Kopie einer Umschlagwerbung für die Zeitung International Herald
Tribune, zur Ankündigung der Einführung der Helmut Lang Jeans-Produktlinie im Juli 1996
Helmut Lang, Schwarz-weiß-Kopie einer Umschlagwerbung für die Zeitung International Herald Tribune, zur Ankündigung der Einführung der Helmut Lang Jeans-Produktlinie im Juli 1996 © Elfie Semotan

Zur Mode kam noch die Inszenierung im öffentlichen Raum, der ikonische Schriftzug, klug-provokante Slogans – darunter die Parfumkampagne „I smell you on my skin“, die Lang mit Künstlerin Jenny Holzer entwickelt hat –, die Tendenz zum Künstlerischen ist hier längst erkennbar. Nicht zuletzt der White Cube als Maschinenraum – als Store, aber auch für Modeschauen. In der aktuellen MAK-Schau „Séance de Travail 1986-2005“ ist diese Form der Inszenierung in einem 1:1-Nachbau zu sehen.

„Ich wollte Künstler werden, aber ich hatte zu großen Respekt davor“, sagte er der Modezeitschrift „Vogue“ 1998. In diesem Sinne war die Modebranche für ihn eine Spielwiese, ein Versuchslabor, ein Selbsteignungstest für das, was Helmut Lang heute ist: ein Künstler, dessen künstlerische Praxis um Reduktion und der radikalen Auseinandersetzung mit dem Material kreist. 2005 hat der heute 69-Jährige dem Modezirkus den Rücken gekehrt, sechs Jahre zuvor seine Marke an den Prada-Konzern verkauft. Er lebt zurückgezogen in New York und auf Long Island.

Die Modebranche selbst hat sich längst radikal gewandelt, was würde Helmut Lang einer Gesellschaft im Krisenmodus wohl heute modisch entgegensetzen?

Einblicke in die aktuelle MAK-Schau über das Schaffen von Helmut Lang
Einblicke in die aktuelle MAK-Schau über das Schaffen von Helmut Lang © MAK (2)