Über Nacht wurde sie weltberühmt, durch ein Video, auf dem sie leidenschaftlich mit ihrem italienischen Freund Raffaele Sollecito herumknutschte. Nur wenige Minuten zuvor erreichte die 20-jährige Austauschstudentin Amanda Knox eine Schreckensnachricht. Ihre Mitbewohnerin Meredith Kercher wurde ermordet in ihrem Zimmer aufgefunden. Knox‘ Reaktion auf den Tod ihrer Kollegin wurde als zu beherrscht empfunden. Boulevardmedien war schnell klar: Sie muss die Mörderin sein. Fortan wurde sie medial der „Engel mit den Eisaugen“ genannt. Tatsächlich wurden die junge Frau und ihr damaliger Freund 2009 von einem italienischen Gericht schuldig gesprochen – eine Haftstrafe von 26 beziehungsweise 25 Jahren sollten sie absitzen. Vier Jahre später waren sie wieder auf freiem Fuß und beteuerten ihre Unschuld.
Grobe Ermittlungsfehler und mediale Vorverurteilung
Wie sich später herausstellte, gab es grobe Ermittlungsfehler, das ursprüngliche Urteil war auch von medialen Hetzkampagnen beeinflusst. Zu drei Jahren Haft wurde die heute 37-Jährige jedoch wegen Verleumdung verurteilt – sie hat einen unschuldigen Barmann beschuldigt, ihre Mitbewohnerin getötet zu haben. Erst im Jänner hat ein italienisches Höchstgericht die Strafe bestätigt, Knox hat die Haftstrafe jedoch schon abgesessen.
Bis heute ist der Mord ungeklärt, der Ivorer Rudy Guede wurde nach einem Teilgeständnis zu 16 Jahren Haft verurteilt, Ermittler gehen aber davon aus, dass er nicht allein gehandelt hat. Heute ist Amanda Knox unter anderem Aktivistin und versucht ihren geschädigten Ruf, so weit möglich, zu reparieren. Die von ihr und Monica Lewinsky produzierte Miniserie „The Twisted Tale of Amanda Knox“ (Disney+) gibt der zu Unrecht Verurteilten ein Sprachrohr.
Verkörpert wird Knox von der Darstellerin Grace Van Patten („Tell Me Lies“, „Nine Perfect Strangers“). Die 28-Jährige war vom Konzept der Serie von Beginn an angetan, wie sie der Kleinen Zeitung im Gespräch erzählt. „Ich erinnere mich daran, als ich die Dokumentation über sie geschaut habe und von ihr und ihrem Schicksal so fasziniert war. Sobald dieses Projekt ins Rollen kam, war ich sofort Feuer und Flamme. Als ich dann herausfand, dass ich selbst Teil davon sein würde, war es mir ein Anliegen, ihr zu helfen, die Macht über das eigene Narrativ zurückzugewinnen.“
Kritik an medialer Berichterstattung
„Die mediale Berichterstattung“, so die junge Darstellerin, hätte sich „stark von dem unterschieden, was tatsächlich geschah“. Mit der echten Knox hat sie in Vorbereitung auf die Rolle eng zusammengearbeitet. „Wir haben viele Gespräche geführt, ich hab ihr zig Fragen gestellt und sie war ausgesprochen großzügig und offen zu mir. Dafür bin ich sehr dankbar.“ In acht Episoden rollt die Miniserie, zwei Jahrzehnte umspannend, den Verlauf der Causa Knox auf. Aus einer, muss man sagen, sehr subjektiven Perspektive.
Knox ist heute Aktivistin, aber auch Geschäftsfrau. Wie sie ihr Schicksal für mediale Selbstinszenierung ausschlachtet, lässt manch einen sauer aufstoßen. Mitunter auch die Hinterbliebenen des Mordopfers. Mit der von K. J. Steinberg entwickelten Serialisierung wurde nun ein weiterer Versuch in Angriff genommen, das Image von Amanda Knox reinzuwaschen. Mit teils fragwürdigen Stilmitteln. „Die Serie fängt ihre Essenz ein, mit den leuchtenden Farben und einem Ton, der der „fabelhaften Welt der Amélie“ nachempfunden wurde“, schwärmt ihre Darstellerin.
Die Tücken von True Crime
Eine Geschichte über Mord- und Totschlag in der Ästhetik quirliger Euro-Komödien nachzuerzählen, hat einen befremdlichen Beigeschmack. Genauso aber auch, dass hinter dem Erfolgsmodell „True Crime“ – gerade in Podcast-Form äußerst populär – ein ausschlachtendes, oft faktenverdrehendes System steckt. „Wir alle tragen Mitschuld daran, dass wir für True-Crime-Medien abgestumpft sind. Viele dieser Geschichten werden fürs Fernsehen sehr morbide nacherzählt“, stellt Van Patten folgerichtig fest.
Der Versuch, dem Opfer einer Verleumdungskampagne die Würde zurückzugeben, ist in der Theorie begrüßenswert. Man wollte „der Öffentlichkeit eine andere Seite der Dinge zeigen“, betont Schauspielerin Van Patten immer wieder. Die Leidensgeschichte, die viele Betroffene betrifft, verdreht man allerdings zum verzwickten, hochgradig subjektiven Märchen, das sich in der eigenen Überinszenierung suhlt. Das ist mitreißend anzuschauen und mitunter auch erstklassig gespielt, aber vor allem eins: einseitig.
Bewertung: ●●●○○
„The Twisted Tale of Amanda Knox“ ist auf Disney+ verfügbar.