Wie kann es sein, dass sich Freude und Lust der Taferlklassler am Lernen mit den Schuljahren in Frust und Abneigung wandeln?
MATTHIAS HUBER: Studien zeigen, dass Kinder am Anfang ihrer Schullaufbahn mit großer Lernbereitschaft bei der Sache sind. Doch die Lernfreude geht in den ersten vier Jahren schrittweise zurück und wird spätestens in der fünften oder sechsten Schulstufe bei vielen von Frustration abgelöst. Das liegt unter anderem daran, dass in der Schule die Mitbestimmung, das Kompetenzerleben und die soziale Eingebundenheit fehlen. Zudem ist das Stresslevel im Unterricht oft zu hoch oder zu niedrig.

Stress beim Lernen: Sollte Unterricht nicht stressfrei sein?
Das ist ein Irrglaube. Schule kann nicht stressfrei sein, sonst funktioniert das Lernen nicht. Es braucht ein Stresslevel im guten Mittelfeld, weder Langeweile noch Überforderung. Aber nicht die zu erbringende Leistung ist das Problem, sondern die Beurteilung und ihre antizipierten Folgen. Das heißt: Wer fordert, der fördert, solange den Schülern auch Erfolgserlebnisse ermöglicht werden.

Welche Rolle spielen beim Lernen Emotionen?
Emotionen sind eine zentrale Voraussetzung von Wahrnehmung, Lernen, Gedächtnis, Sprache, Moral oder adaptivem Sozialverhalten. Ohne Emotionen wären wir nicht in der Lage, kreativ zu arbeiten und Entscheidungen zu treffen. Zudem signalisieren Emotionen, was, wann und wie gelernt werden soll. Sie übernehmen somit eine zentrale Vermittlungsleistung in Bildungsprozessen. Um die Zufriedenheit und vor allem die Lernbereitschaft zu steigern, ist es zielführend, die Handlungsfähigkeit und die damit einhergehende Selbstwirksamkeit der Schüler zu erhöhen.

Matthias Huber, Erziehungswissenschaftler
Matthias Huber, Erziehungswissenschaftler © PH Kärnten

Wenn ein Kind in etwas bestärkt wird, das es gut kann, hat dies Einfluss auf die allgemeine schulische Leistung?
So könnte es gesehen werden. Das subjektive Erleben von Erfolg und zu wissen, dass man in etwas gut ist, haben globale Effekte auf die Leistung und somit auf andere Schulfächer. Es geht darum, Schülern zu vermitteln, dass sie selbst etwas wert sind, besonders, wenn sie dies von zu Hause nicht mitbekommen.

Geborgenheit ist in Ihrer Forschung als Erziehungswissenschaftler eine wichtige Komponente für schulischen Erfolg. Wie kann das vermittelt werden?
Das Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit und Vertrauen geht mit Kontinuität und Struktur, also Regelmäßigkeit und Grenzen einher. Ein wenig paradox, aber die Schule braucht soziale Autorität, mit klaren Strukturen und Regelmäßigkeiten. Das vermittelt Schülerinnen und Schülern ein gewisses Maß an Geborgenheit.

Die Kontinuität fehlt zurzeit vielen. Seit Beginn der Corona-Pandemie befinden sich Kinder und Jugendliche immer wieder im Distance Learning. Welche emotionalen Auswirkungen hat das?
Corona zeigt uns deutlich, wie schwer der Wegfall von Normalität, Kontinuität und vertrauten Strukturen wiegt und wie wichtig die Schule als sozialer Lernort ist. Neben einer massiven Zunahme an Ängsten finden sich mittlerweile bei einem Drittel der Kinder und Jugendlichen Hinweise auf eine psychische Belastung. Besonders betroffen sind dabei Kinder aus sozial schwächeren Familien.

Wie könnten Lehrpersonen das Gefühl von Geborgenheit und Partizipation auch im Homeschooling transportieren?
Um der Isolation im Fernunterricht entgegenzuwirken, sollten Lehrkräfte vermehrt auf Eigenverantwortung und sozialen Austausch setzen. Dies gelingt beispielsweise durch projektorientierte Kleingruppenarbeiten und das Vertrauen in die Selbstkontrolle der Schüler.