Raniero Mancinelli ist in diesen Tagen ein gefragter Mann in Rom, einer der gefragtesten auf dem rechten Ufer des Tibers. Journalisten, Kameraleute, Priester, Touristen und Leute, die einfach nur neugierig sind und ihn kennenlernen wollen, drängen sich in seinem kleinen Geschäft im Borgo Pio, einen Steinwurf vom Petersplatz entfernt. Der 86-Jährige näht seit 70 Jahren Gewänder. Aber er ist nicht irgendein Schneider. Mancinelli ist der Mann, der nach der Wahl den neuen Papst einkleidet.
Drei weiße Soutanen hat er für das künftige Oberhaupt von weltweit rund eineinhalb Milliarden Katholiken in den vergangenen Tagen angefertigt, eine große, eine mittlere und eine kleine. Schließlich wusste er nicht, welche Statur der neue Papst haben wird, und um eine zu nähen, ist keine Zeit. „Am Dienstag vor Beginn des Konklaves habe ich sie im Vatikan abgegeben“, erzählt er stolz der Kleinen Zeitung.
Dort hängen sie jetzt im Apostolischen Palast gleich neben der Sixtinischen Kapelle in der sogenannten „Kammer der Tränen“, die so heißen soll, weil der frisch gewählte Papst sie unmittelbar nach seiner Wahl betritt, um sich umzukleiden und, wenn ihm danach ist, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen.
Für drei Päpste hat Raniero Mancinelli schon Soutanen gefertigt: Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus. Sein Geschäft ist auf Kleidung für Kleriker spezialisiert. Seit 1962, dem Jahr, in dem das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet wurde, führt er sein Geschäft. Auf kleinstem Raum stapeln sich fein säuberlich in vielen Farben und Materialien die Stoffe für liturgische Gewänder in den Regalen: Ob Talare, Stolen, Alben, Kaseln, Zingula, Schultertücher, Chorhemden mit oder ohne Spitzen, Vespermäntel, Birette, Mitren oder römische Kollare – bei Mancinelli kann alles, was Priester an Kleidung wünschen und benötigen, erstanden oder in Auftrag gegeben werden, bis hin zu den Socken, in Rot für Kardinäle, in Violett für Bischöfe und in Schwarz für gewöhnliche Geistliche.
33 Knopflöcher braucht eine Soutane
Und wer will, kann dem Maestro auch bei der Arbeit in seinem Atelier hinter dem Verkaufsraum zuschauen. Wie er Maß nimmt, Stoffe glattstreicht und prüft, ob die traditionell 33 Knopflöcher an einer Soutane sauber gearbeitet sind.
Die drei Talare für den neuen Papst sind aus leichtem Material gefertigt. Es ist derselbe Stoff wie für den verstorbenen Papst, italienische Wolle. „Franziskus wollte etwas Einfaches, nichts Teures“, sagt Mancinelli. Auch das schlichte Brustkreuz, das er trug, stammte aus seinem Geschäft. Drei, vier Tage benötige er üblicherweise für eine Soutane. „Die für den neuen Pontifex haben größere Aufmerksamkeit erfordert. Das weiße Tuch wird rasch schmutzig. Da muss man besonders achtgeben“, erklärt er.
Viele seiner Kundschaften begleite er schon ihr ganzes Priesterleben lang, von der Weihe weg, als noch nicht absehbar war, dass eines Tages Bischöfe aus ihnen werden würden und Kardinäle, geschweige denn Päpste, erzählt der Schneider. Und man merkt jedem Satz an, dass der alte Herr seine Arbeit nicht als gewöhnlichen Beruf versteht, sondern als Dienst, als Berufung.