Campbell Island ist weit entfernt von jeder Zivilisation. Rund 700 Kilometer sind es von der unbewohnten subantarktischen Insel bis zum neuseeländischen Festland. Die Insel ist von Natur aus relativ karg – die besagte Sitka-Fichte sticht den wenigen Besuchern dadurch direkt ins Auge. Sie soll ungefähr um 1907 vom damaligen Generalgouverneur in Neuseeland, Lord Ranfurly, gepflanzt worden sein. Der nächste Baum ist sage und schreibe 250 Kilometer entfernt.

Der neun Meter hohe, ansonsten aber eher unauffällige Baum ist inzwischen sogar vom Guinness-Buch der Rekorde als „abgelegenster Baum der Welt“ ausgezeichnet worden. Zuvor trug ein Baum in Niger in Westafrika den Titel. Doch 1973 fuhr ein Lastwagenfahrer den einsam gelegenen Baum, der vielen zuvor als wichtiger Wegweiser in der Wüste gegolten hatte, um.

Die Klimawissenschaftlerin Jocelyn Turnbull
Die Klimawissenschaftlerin Jocelyn Turnbull © Jocelyn Turnbull, GNS Science New Zealand

Südlicher Ozean als Kohlenstoffsenke

Nun erweist sich aber auch die Fichte auf Campbell Island als ähnlich nützlich, wenn auch in völlig anderer Hinsicht. So hilft der Baum Forschern, den Klimawandel besser zu verstehen. Die Klimawissenschaftlerin Jocelyn Turnbull von dem  neuseeländischen Forschungsinstitut GNS Science, die sich mit ihrem Team auf Radiokohlenstoffmessungen spezialisiert hat, will herausfinden, welche Rolle der Südliche Ozean als Kohlenstoffsenke spielt. Oder anders ausgedrückt: Wie viele der CO2-Emissionen, die durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe in die Atmosphäre gelangen, dort absorbiert werden.

Flora ist auf Campbell Island vorhanden, Bäume weniger
Flora ist auf Campbell Island vorhanden, Bäume weniger © Jocelyn Turnbull, GNS Science New Zealand

Laut der Forscherin ist der Südliche Ozean ein idealer Ort, um den Austausch von Kohlendioxid zu analysieren. Dies liegt an den Westwinden und dem Mangel an Land, um den Wind zu bremsen. "Von dem CO2, das wir durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe produzieren und in die Atmosphäre abgeben, bleibt nur etwa die Hälfte dort und die andere Hälfte gelangt ins Land und ins Meer", sagte Turnbull der australischen Ausgabe des "Guardian". Seit der industriellen Revolution hat der Südliche Ozean etwa zehn Prozent des gesamten CO2 aufgenommen, das die Menschheit produziert hat.

Woher nimmt man 30 Jahre alte Luft?

Mit ihrer Forschung will Turnbull nun herausfinden, ob sich die Menge, die der Ozean aufnimmt, verändert. Letzteres könne einen Hinweis darauf geben, "was die Zukunft bringen wird", wie sie beim australischen Sender ABC sagte. Die zwei großen Fragen sind: Kann sich solch eine Kohlenstoffsenke auffüllen und damit zu einer massiven Beschleunigung der globalen Erwärmung führen? Oder können die Senken noch mehr Kohlenstoff aufnehmen und die globale Erwärmung reduzieren?

Bisherige Studien haben teils widersprüchliche Ergebnissen produziert, wobei die aktuelle Theorie eher ist, dass die Absorption zunimmt. Um diese Fragen jedoch nochmal schlüssiger zu beantworten, braucht es historische wie auch aktuelle Messungen von Radiokohlenstoff und Kohlendioxid in der Atmosphäre rund um den Südlichen Ozean. Doch woher nimmt man 30 Jahre alte Luft? Hier kommt nun der einsamste Baum der Welt ins Spiel. Denn seine Baumringe erlauben es den Forschern, sich in der Zeit zurückzuversetzen.

Campbell Island ist von unzähligen Pinguinen besiedelt
Campbell Island ist von unzähligen Pinguinen besiedelt © Jocelyn Turnbull, GNS Science New Zealand

"Wenn Pflanzen wachsen, nehmen sie durch Photosynthese Kohlendioxid aus der Luft auf und verwenden das, um ihre Strukturen wachsen zu lassen", erklärte Turnbull. Der Kohlenstoff aus der Luft lande letztendlich in den Baumringen. Nachdem etablierte Bäume im Südlichen Ozean jedoch eine Seltenheit sind, ist die Sitka-Fichte ein wahrer Schatz für die Forscher und ihre einzige Chance, gute Daten zu erhalten. Sie sei viel schneller gewachsen als alle anderen Bäume in dieser Region, meinte die Forscherin. "Und die Ringe sind größer und einfacher zu trennen." Um diese wertvollen Daten abzuschöpfen, hat der Baum übrigens nicht gelitten. Die Forscherin hat ihn nicht umgesägt, sondern mit Hilfe eines Handbohrers einen fünf Millimeter großen Holzbohrkern entnommen, der ihr nun helfen wird, Rückschlüsse für ihr Forschungsprojekt zu ziehen.

Baum als wissenschaftlicher Assistent

Aber auch der Baum selbst ist ein echtes Unikum: Denn die Bedingungen auf der subantarktischen Insel, wo es ständig regnet und kalt ist, sind für die Sitka-Fichte alles andere als ideal. Doch der Baum ist gesund, auch wenn er eher gedrungen ist. Letzteres kann daran liegen, dass er ständig vom Wind gepeitscht wird oder da Forscher wohl einst seine Spitze gekappt haben, um diese als Weihnachtsbaum aufzustellen. Ganz so einsam wie das Guinness-Buch der Rekorde den Baum darstellt, ist er übrigens auch wieder nicht. Zwar gibt es keine anderen Bäume in der Nähe, doch Campbell Island ist von unzähligen Seeelefanten, Seelöwen, Pinguinen und Albatrossen besiedelt.

Laut der neuseeländischen Forscherin Turnbull macht der Baum deswegen keinen isolierten Eindruck. "Er sieht eigentlich ganz zufrieden aus", meinte sie.