Unter den in einem Lkw in Großbritannien gefundenen 39 Leichen könnte es mindestens ein weiteres Opfer aus Vietnam geben. Bereits am Freitag war der Fall einer jungen Vietnamesin bekannt geworden, die von ihren Angehörigen vermisst und unter den Toten von Grays vermutet wird. Die Ermittler waren zunächst davon ausgegangen, dass alle Opfer aus China stammten.

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete unterdessen, dass womöglich sogar die Mehrheit der Toten aus Vietnam gekommen sein könnte. Reuters berief sich dabei auf Angaben eines Gemeindeoberhaupts aus der bitterarmen Nghe An Provinz im Nordosten des Landes. "Der ganze Bezirk trauert", wurde der katholische Priester Anthony Dang Huu Nam aus der abgelegenen Ortschaft Yen Thanh zitiert. Der Priester sagte, er stehe in Verbindung mit Angehörigen der Toten. Sie hätten ihm berichtet, dass Verwandte zur fraglichen Zeit nach Großbritannien gelangen wollten und dass sie nun vergeblich versuchten, Kontakt zu ihnen aufzunehmen.

Die britische Polizei hatte die Leichen in einem Lkw in einem Industriegebiet östlich von London entdeckt und bald bekanntgegeben, es handle sich wohl um chinesische Staatsbürger. Das wurde von chinesischen Behörden noch nicht bestätigt, berichtete Reuters. Das vietnamesische Außenministerium veröffentlichte am Samstag ein Statement, wonach seine Londoner Botschaft instruiert sei, der britischen Polizei bei der Identifizierung zu helfen. Weitere Angaben zu den Nationalitäten der Opfer wurden von behördlicher Seite zunächst nicht gemacht.

Er habe einen Anruf von einem Vietnamesen erhalten, der ihn über den Tod seines Sohnes auf dem Weg nach Großbritannien informiert habe, sagte Nguyen Dinh Gia am Samstag der Nachrichtenagentur AFP. Sein 20-jähriger Sohn habe sich seit 2018 illegal in Frankreich aufgehalten und wollte um rund 12.600 Euro nach Großbritannien weiterreisen, um dort in einem Nagelstudio zu arbeiten. Vor einigen Tagen habe der Vater dann einen Anruf von einem Vietnamesen erhalten, der ihn um "Verständnis" bat und sagte, dass etwas "Unerwartetes passiert" sei.

Nguyen bat die vietnamesischen Behörden um Hilfe bei der Identifizierung seines Sohns. Von Kontaktpersonen in Großbritannien erfuhr er, dass der 20-Jährige Paris am Nachmittag des 21. Oktobers verlassen habe - zwei Tage vor dem Fund der Leichen nahe London.

Am Freitag hatte bereits der Vietnamese Pham Manh Cuong davon berichtet, dass seine Schwester unter den Toten sein könnte. Nach seinen Angaben war die 26-Jährige Anfang Oktober aus Vietnam nach Großbritannien aufgebrochen. Am Dienstagabend habe sie dann ihrer Mutter eine verzweifelte SMS geschickt. "Es tut mir leid, Mama. Mein Weg ins Ausland hat keinen Erfolg. Mama, ich liebe Dich so sehr! Ich sterbe, weil ich nicht atmen kann."

Pham sagte AFP, die SMS sei echt und wenige Stunden vor dem Leichenfund am Mittwochmorgen abgeschickt worden. Auch aus vietnamesischen Sicherheitskreisen hieß es, unter den 39 Toten könnten vietnamesische Staatsangehörige sein. Ein Sprecher der vietnamesischen Botschaft in London sagte zudem, die diplomatische Vertretung sei von einer vietnamesischen Familie kontaktiert worden, die ihre Tochter seit der Entdeckung des Lastwagens vermisse.

Die beiden mutmaßlichen Opfer könnten bei der Reise nach Großbritannien gefälschte chinesische Pässe bei sich getragen haben. Sie stammen aus der verarmten Provinz Ha Tinh im Zentrum des Landes, aus der viele illegale Migranten kommen. Viele zahlten für ihre Reise mit gefälschten Dokumenten zehntausende Euro - in der Hoffnung, vor allem in Großbritannien in Nagelstudios oder auf Cannabisfarmen arbeiten zu können.

Die 39 Leichen waren Mittwochfrüh in einem Industriegebiet östlich von London in einem Lkw-Kühlcontainer entdeckt worden. Die Polizei ermittelt wegen Mordes bzw. Totschlags und Menschenhandels, vier Verdächtige wurden bisher festgenommen.