0 auf 100 km/h, 0 auf 200, Endgeschwindigkeit oder vielleicht sogar das maximale Drehmoment – alles Werte, mit denen es sich am Stammtisch oder in irgendeinem Internetforum herrlich angeben lässt. Nicht dass der 600LT in diesen Disziplinen nicht auch auftrumpfen könnte, doch es ist eine ganz andere Ziffer, die erahnen lässt, welch Potenzial in Englands neuester Flunder schlummert: von 200 km/h auf 0 in nur 117 Metern.

Wer später bremst, ist schließlich länger schnell, und genau darum geht es bei diesem McLaren: Kein Klimbim oder Features, die vielleicht schnell aussehen. Sondern nur die Dinge, die auch wirklich eine Funktion haben und die Fuhre schneller, stabiler oder fahrbarer machen. Und das fängt schon mit der Karosserieform an. LT steht nämlich für „Long Tail“, also Langheck, einem bewusst in die länge gestreckten Hintern, um den Luftwiderstand möglichst gering und den Anpressdruck an der Hinterachse möglichst hoch zu halten. Eine Tradition, die bei McLaren mit der Le-Mans-Version des legendären F1 anfing und zuletzt beim 675LT – zumindest theoretisch – für den normalen Konsumenten erhältlich war.

Was bedeutet das also rein technisch betrachtet? Einschließlich des verlängerten Frontsplitters, dem verlängerten Heckdiffusor, dem festen Heckflügel sowie einer verlängerten Silhouette wuchs der 600LT im Vergleich zum Basismodell 570S um 74 Millimeter. In Verbindung mit dem flachen Kohlefaser-Unterboden ergibt die neue Form 100 Kilogramm Abtriebskraft bei 250 km/h, die mehr Grip und höhere Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten erzeugt. Zugegeben, im normalen Leben wird diesen Unterschied keiner erfahren können – im wahrsten Sinne des Wortes. Aber McLaren hat den LT in erster Linie für all jene konzipiert, die am Wochenende gerne auf einer Rennstrecke ein wenig spielen wollen. Und da ergeben auch die weiteren Modifikationen durchaus Sinn.

Der umfangreiche Einsatz von Kohlefaser – unter anderem für das Monocoque-Chassis, das rund 25 Prozent steifer ist als ein vergleichbares Chassis aus Aluminium, kommt der 600LT auf ein Eigengewicht von überschaubaren 1247 Kilogramm. Wem das nicht genügt: Mit den optionalen Schalensitzen, ebenfalls aus Carbon gefertigt und ursprünglich für den Extrem-Sportler McLaren Senna entwickelt, ist das Leergewicht glatte 100 Kilogramm geringer als bei einem 570S Coupé.

Diese Liebe zur reinen Lehre erkennt man aber auch an zahlreichen weiteren Details: Leichtes Alcantara kommt statt Teppichen im Innenraum zum Einsatz, das Handschuhfach wurde entfernt und die Türtaschen durch leichte Netze ersetzt, während Klimaanlage, Satellitennavigation und ein Audiosystem als kostenlose Optionen erhältlich sind und nicht serienmäßig eingebaut werden. Kohlefaser-Rennsitze, die zuerst im McLaren P1TM zu sehen waren, sparen weitere 21 Kilogramm.

Und nicht nur beim längst ausverkauften Senna bedienten sich die Ingenieure. Auch das Topmodell der „normalen“ Flotte, nämlich der 720S, spendierte diverse Komponenten. Zum Beispiel leichte und steife Fahrwerksteile, wobei die Verwendung der geschmiedeten Aluminium-Doppelquerlenker und -stützen nicht nur die Dynamik verbessert, sondern auch das Gewicht um 10,2 Kilogramm reduziert.

Für einen niedrigeren Schwerpunkt verlor die Bodenfreiheit 8 Millimeter, die Spurweite gewann für stabilere Kurvenlage indes 10 Millimeter dazu. Die unabhängigen, stufenlos einstellbaren adaptiven Dämpfer sowie die vorderen und hinteren Stabilisatoren stammen zwar unverändert vom 570S, wurden jedoch überarbeitet, um mit der neuen Fahrwerksgeometrie zu harmonieren und die vom neuen 600LT geforderte streckenorientierte Leistung zu erzielen.

Dass der Motor erst zum Schluss erwähnt wird, dürfte wohl ganz im Sinne von McLaren-Boss Ron Dennis sein. Schließlich macht Leistung alleine kein schnelles Auto aus. Deswegen stört es auch wirklich nicht, dass das Fliegengewicht 600LT um 75 Pferde weniger sein Eigen nennt als der frühere 675LT. Und im Prinzip handelt es sich auch um den gleichen Motor: Die 600 PS liegen bei sportlichen 7500 Umdrehungen an und das maximale Drehmoment von 620 Newtonmetern zwischen 5500 und 6500 Umdrehungen. Die Briten würden die Fahrwerte wohl schlicht mit „durchaus ausreichend“ bewerten: Für den Sprint von Null auf 100 lässt sich der 600LT gerade einmal 2,9 Sekunden Zeit, was übrigens genau so schnell ist wie der 675LT. Bis 200 km/h vergehen gerade einmal 8,2 Sekunden und der Vortrieb endet erst bei 328 km/h.

Das Motor-Management-System des 3,8-Liter-V8 mit Biturbo-Aufladung wurde natürlich grundlegend neu kalibriert. Außerdem kann der Motor dank der mit weniger Gegendruck aus einer nach oben endenden Auspuffanlage, die noch kürzer und extremer ist als die des McLaren Senna, noch freier atmen.

Ja und dann wäre da noch die Sache mit den 117 Metern von 200 auf Null. Das ist erst möglich dank der Bremsen aus der Rennserie “McLaren Super Series”, die mit leichten Aluminiumsätteln und steiferen Carbon-Keramikscheiben ausgestattet sind. In Kombination mit einem völlig neuen Bremskraftverstärker, der nach den Erkenntnissen des McLaren Senna entwickelt wurde, ergibt das ein reaktionsschnelles und progressives Pedalgefühl – und eben einen ultrakurzen Bremsweg, der sogar einen Meter kürzer ist als der eines McLaren P1TM.

Bleibt nur noch der Preis, der bei einem solchen Kaliber an sportlichem Wirkungsgrad natürlich nicht übertrieben sportlich ausfallen kann. 230.000 Euro, ohne NoVA wohlgemerkt, veranschlagt McLaren, was natürlich eine Menge Kohle ist. Andererseits: Bei den Germanen und den Italienern bekommt man um die Summe nichts, was annähernd so konsequent schnell ist. Und sieht man sich nach echten, lupenreinen Rennautos um, kann man das nötige Budget schnell einmal verdoppeln. Und außerdem bekommt man gratis einen Tag auf einer Rennstrecke im Rahmen eines Pure McLaren Road Owner Track Days mit fachkundigem Fahrunterricht gratis dazu. Fast ein Schnäppchen ...

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