Vor wenigen Tagen lag eine Frau in Leoben tot in ihren eigenen vier Wänden, getötet durch 35 Messerstiche. Ihr Lebensgefährte ist geständig. Polizei und Hilfsorganisationen war die Situation der Frau nicht bekannt. „Wir haben in der Steiermark wirklich sehr viele Angebote, was mich immer schockiert ist, dass wir die Zielgruppe nicht erreichen, auch bei dem Femizid letzte Woche haben wir die Zielgruppe nicht erreicht, die Familie war nirgends angebunden, das ist traurig“, sagt Michaela Gosch, Leiterin der Frauenhäuser Steiermark.
Ein Problem, das nicht neu ist. Genau hier möchte das Projekt „StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt“ ansetzen. Österreichweit gibt es das Projekt bereits seit 2019, nun hält es auch in Graz Einzug. In vorerst zwei Stadtteilen von Jakomini bis Liebenau und von Straßgang bis Gösting sollen Nachbarinnen und Nachbarn zum Schutzschild für Personen werden, die von Partnergewalt betroffen sind, oder sich auf dem Weg dorthin befinden.
Nachbarschaftstische für mehr Bewusstsein
Gelingen soll das durch eine Vernetzung von bereits bestehenden Angeboten und Nachbarschaftstischen. „Zu den Tischen können Menschen kommen, wo wir Vorträge haben oder proaktive Aktivitäten planen, etwa einen Nachbarschaftslauf, wo man aktiv wird und auf das Thema aufmerksam macht, aber auch Schulungen und Workshops auch für Jugendliche“, sagt Projektleiterin Gatea Rahelle.
Auch das Frauenreferat der Stadt ist mit an Bord. „Das Thema Gewalt hat sehr viel mit Vertrauen und unmittelbaren Ansprechpersonen vor Ort zu tun und dass es Angebote gibt, die in meiner unmittelbaren Nähe sind“, sagt Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ). Neben den Hilfsangeboten für Frauen darf man aber auch nicht auf die Männer und Burschen vergessen. „Es geht darum, gewaltfreie Männlichkeit zu bestärken und weiter aufzubauen. Je früher wir ansetzen, desto mehr Chancen haben wir“, sagt Christian Scambor von der Männerberatung.
„Gewalt ist nie Privatsache“
Genau das versucht das Projekt nicht nur bei Männern, sondern in der Gesamtgesellschaft. Es soll die Menschen erreichen, bevor die Gewalt überhaupt eskaliert. „Familiäre Gewalt tendiert immer ein bisschen dazu, ins Private abgeschoben zu werden, aber Gewalt ist niemals Privatsache“, sagt Gosch.
Daher der Appell: Man kann immer die Polizei rufen, denn Wegschauen und nichts tun sei keine Option. Auch die Weitergabe von Nummern zu Hilfsangeboten hilft. „Die Nachbarschaft kann ein Puzzlesteinchen gegen Gewalt sein, wir haben nicht die Lösung, wenn wir sie hätten, würden wir sie umsetzen, wir müssen einfach schauen, mit welchem Thema kommt man wo an“, sagt Gosch.
Junge gut gebildete Frauen besonders schlecht zu erreichen
Vor allem Frauen aus akademischen Kreisen sind für Hilfseinrichtungen noch schwerer zu erreichen: „Wir erreichen gut ausgebildete Frauen viel schlechter, weil dort die Scham noch viel größer ist und der Gedanke, ich bin gescheit, ich bin gebildet, ich muss das selbst schaffen“, sagt Gosch. Auch ihre Hoffnung, dass junge Frauen sich eher Hilfe suchen, hat sich nicht bewahrheitet: „Junge Frauen haben das Gefühl, ich habe alle Möglichkeiten, ich bin nicht von Gewalt betroffen, ich kann das schon managen und ich suche mir keine Hilfe.“
Daher müsse man wegkommen von dem Opferbegriff, denn niemand wolle Opfer sein und man müsse dort ansetzen, wo es noch gar keine Opfer und Täter gibt und diese Strukturen von Anfang an zerstören. „Wir müssen wegkommen von diesem unseligen Glauben, dass Eifersucht ein Liebesbeweis ist, Eifersucht hat mit Liebe nichts zu tun“, sagt Gosch.