Imposant ragt der kahle Felsen in die Luft. Der Nebel der Morgenstunden hat sich verzogen, die Sonne hüllt die Berge im Nationalpark Gesäuse in ein atemberaubendes Licht. Vor uns Klettersteig-Anfängern liegt jetzt nur die senkrechte Gesteinswand. Eisenleitern, Klammern als Trittstufen sowie ein Stahlseil am Berg und die Ausrüstung am Körper sind in den nächsten zwei Stunden unsere Lebensversicherung.
Von der Ausrüstung zum Einstieg
„Hier hängt’s euch mit den Karabinern ein“, sagt René Guhl. Der 36-Jährige ist staatlich geprüfter Ski- und Bergführer. Die Ausbildung dauert drei Jahre. Ohne ihn hätten wir den Klettersteig-Einstieg nicht gefunden. Geschweige denn, Seile und Haken am Klettergurt korrekt verbunden.
„Die richtige Anwendung vom Set ist wichtig. Ich rate dazu, sich eine moderne und nicht gebrauchte Ausrüstung zu kaufen. Gurt und Helm müssen gut sitzen“, sagt der Experte. Dann fängt man am besten mit einem Kurs oder einer geführten Tour bei unteren Schwierigkeitsgraden (A-leicht, B-mäßig schwierig) an. Die höchste Stufe ist E (extrem schwierig).
Wir beginnen mit B, aber auch C- und eine D-Passage kreuzen unsere Wege. Der Angstschweiß versickert in der prallen Sonne unter dem Helm. „Schaut’s, wie schön die Aussicht ist“, meint René, locker-lässig in eine Felsspalte gelehnt. Ich schaue lieber gerade hinauf zum Gipfel. Hinter und neben mir geht es steil bergab. Erst einige Meter später gelingt es mir, einen Rundumblick zu wagen – und die Schönheit der Natur einzusaugen. Der Respekt, dass mich bei einer falschen Bewegung nur noch das Seil trägt, bleibt. Und selbst wenn man ausrutscht, kann man bis zu fünf Meter ins Sicherheitsseil stürzen. Dieses öffnet sich immerhin durch den ausgelösten Bandfalldämpfer langsamer und weniger ruckartig.
Sicherheitsgurt je nach Gewicht
„Von 40 bis 120 Kilogramm Körpergewicht ist das System heute genormt. Bei leichteren Personen oder Kindern empfehle ich eine zusätzliche Seilsicherung von oben“, erklärt Guhl, der 2012 seine Alpinschule "Bergpuls" gegründet hat.
Die Selbstständigkeit hat sich bewährt. Der alpine Trend nimmt zu, die Nachfrage steigt. Das merkt man auch beim Alpenverein. „Der Zulauf ist enorm. Unsere Klettersteigkurse sind fast komplett ausgebucht“, sagt Christine Goliasch vom Alpenverein Graz. „Es ist eine tolle Alternative zum Seilklettern.“
Erschöpfung führt zu Einsätzen
Aber es gibt auch Schattenseiten. „Wenn im Frühjahr Vogelbrutzeit ist, sind gewisse Steige gesperrt. Leider wird das oft ignoriert", erklärt Goliasch. Ein anderes Problem: die Unfälle steigen. Waren es in der Saison 2008/09 noch 116 Personen, die aus Klettersteigen geborgen werden mussten, lag die Zahl 2019/20 bei 210 (davon fünf tödlich). Laut dem Kuratorium für Verkehrssicherheit und jenem für Alpine Sicherheit ist die häufigste Ursache Erschöpfung.
„Überanstrengung: Urlauber wurde auf Klettersteig bewusstlos“, „Abgestürzt: geschwächte Holländer aus Klettersteig gerettet“, „Geschockte Frau konnte nicht mehr weitergehen“ – um nur ein paar der Schlagzeilen zu nennen, die diesen August in der Kleinen Zeitung erschienen. „Natürlich sollte es gar nicht so weit kommen. Aber wenn jemand nicht mehr weiterkann, ist es uns lieber, dass früher als zu spät Hilfe angefordert wird“, sagt Guhl, der auch die Ausbildung zum Bergretter hat.
„Scho a geiles Gefühl, oder?“
Unsere Gruppe hat inzwischen – bei blauem Himmel und 25 Grad in der Sonne – die oberste Stelle des Klettersteigs erreicht, die letzten Griffe liegen nur wenige Meter entfernt. Müde, aber glücklich konzentriere ich mich auf diese Züge und bewundere rechts und links das imposante „Xeis“, wie die Einheimischen sagen. „Gratuliere, geschafft“, ruft René. Seine Kletterhandschuhe laden zu einem High-Five ein. Einer nach dem anderen schlagen wir ein. „Scho a geiles Gfühl, oder?“ – und mit seinem breiten Strahlen ist der Bergführer in diesem Moment nicht alleine.