Frau Moser, sind Sie mit 40 aufgewacht und haben sich gedacht: Heute konvertiere ich zum evangelischen Glauben und werde Pfarrerin?
Maria Katharina Moser: Nein, das war natürlich ein langer Prozess. Ich habe mich immer als Theologin identifiziert, auch bei meiner Arbeit als Journalistin. Und dabei kam es immer wieder vor, dass ich von Pfarrgemeinden berichtet habe, in denen es viel Leben gab. Und dort habe ich mir immer gedacht: Hier möcht ich bleiben.

Sind Sie konvertiert, weil Ihnen dieses Amt bei den Katholiken verwehrt geblieben wäre?
Moser: Das möchte man meinen, für mich war das aber nicht der Grund. Ich wäre zudem keine katholische Pfarrerin geworden, selbst wenn das möglich wäre. Ich wollte als Pfarrerin mitten in der Gemeinde stehen – und nicht abgehoben von ihr. Ich habe einfach gemerkt, dass die evangelische Kirche der Freiheit und Verantwortung mir persönlich näher ist.

Eine dieser Freiheiten: kein Zölibat, das oft als Grund für fehlenden Pfarrernachwuchs genannt wird. In der evangelischen Kirche stellt sich diese Frage nicht, dennoch rennt auch Ihnen der Nachwuchs nicht die Türen ein. Eine sinnlose Diskussion also?
Moser: Ich glaube, dass die Diskussion wichtig ist. Sie greift jedoch zu kurz, wenn sie nur im Hinblick auf Nachwuchs geführt wird. Es geht generell um die Freiheit bei der Wahl der höchstpersönlichen Lebensformen. Evangelische Pfarrer können heiraten, müssen aber nicht, ich bin zum Beispiel nicht verheiratet. In der evangelischen Kirche gibt es zudem mehr Freiheit bei der Beantwortung moralischer Fragen. Es ist nicht alles schwarz-weiß, wir erkennen die Graustufen in den konkreten Lebenssituationen an. Aber diese Freiheit bringt auch Verantwortung mit sich.

Graustufen bei Themen wie Sterbehilfe oder Abtreibung?
Moser: Zum Beispiel. Ich denke, assistierter Suizid ist keine grundsätzlich gute Lösung. Aber die Frage ist: Sollte es in dramatischen Situationen nicht straffreie Wege geben? Das erleichtert den Handlungsspielraum für das Gewissen. Auch Schwangerschaftsabbruch ist nicht grundsätzlich gut, aber gut, dass es die Fristenregelung gibt.

Bei Ihrer Antrittspressekonferenz haben Sie die Abschiebung von Asylwerbern in der Lehre als „pure Ideologie“ bezeichnet. Wie politisch ist Ihr Amt?
Moser: So politisch wie das Evangelium.

Das müssen Sie mir erklären.
Moser: Wir als Diakonie beziehen unseren Auftrag aus dem Evangelium. Fremde aufnehmen, Hungrigen zu essen geben und so weiter. Und deshalb müssen wir es auch thematisieren, wenn die Rahmenbedingungen für diese Dinge nicht stimmen. Und damit ist man mittendrin in einer gesellschaftspolitischen Diskussion. Es geht nicht um Parteipolitik, sondern darum, Partei für die Menschen zu ergreifen.

Politische Themen finden bei Diakonie, Caritas und Co. öfter Erwähnung als Transzendentes. Verkommen Religionen zu Einsatzorganisationen?
Moser: Das Einsetzen für sozial Benachteiligte gehört genauso zu unserer Arbeit wie das Reden über Gott. Beides ist miteinander verbunden. Aber es stimmt, dass der erste Teil medial stärker aufgegriffen wird.

Lässt sich Nächstenliebe leichter verkaufen als Gott?
Moser: Wenn ich mich als Direktorin für Menschen einsetze, die es schwer haben, ist das immer ein implizites Reden über Gott. Das ist für uns Christusbegegnung.

Wird es schwieriger, über Gott zu sprechen?
Moser: Menschen, die öffentlich über ihren Glauben sprechen, ernten oft Augenrollen oder sie werden als naiv bezeichnet. Tatsächlich herrscht heute ein mitunter aggressiver Agnostizismus. Man muss die Religionsfreiheit viel mehr verteidigen als früher. Das betrifft vor allem Glaubensgemeinschaften wie den Islam. Doch wenn eine Religion eingeschränkt wird oder in Verruf gerät, wirkt sich das auch auf alle anderen aus.

In vielen Schulen wird Ethikunterricht eingeführt. Bedeutet das den Beginn vom Ende des klassischen Religionsunterrichtes?
Moser: Man darf Religion nicht mit Ethik verwechseln. Ich halte religiöse Bildung für zentral, denn religiöser Analphabetismus hat zugenommen. Diese Bildung ist das wirksamste Mittel gegen Fundamentalismus. Um Glaubensgebäude wirklich verstehen zu können.

Sie haben im Bereich der feministischen Theologie promoviert. Sind Sie eine Feministin?
Moser: Ja. Weil ich glaube, dass das Nachdenken über Geschlechterrollen ganz zentral für unser Zusammenleben in der Gesellschaft ist. Frauen erleben auch heute noch Diskriminierung und verrichten noch immer den Großteil unbezahlter Arbeit in Bereichen wie Haushalt, Kindererziehung und Pflege.

Angelehnt an den Song von Popstar Ariana Grande: Glauben Sie, dass Gott eine Frau sein könnte?
Moser: Gott ist alles. Die Diskussion darüber, dass Gottesbilder meist nur männlich ausfallen, ist eine wichtige. Aber wir müssen uns immer bewusst sein, dass unser Bild von Gott immer begrenzt sein wird. Mit weiblichen oder männlichen Darstellungen schränken wir unsere Vorstellungen von Gott ein.