Die Reaktionen außerhalb Italiens schwanken zwischen Ungläubigkeit, Empörung und Angst. Wird die sich zwischen Links- und Rechtspopulisten anbahnende italienische Regierung ihre politisch-ökonomischen Umsturzpläne wahr machen? Einige Schreckensnachrichten aus dem seit gestern definitiven Koalitionsvertrag wurden überarbeitet und getilgt, darunter ein geforderter Schuldenschnitt in Höhe von 250 Milliarden Euro oder die Einführung von Mechanismen zum Ausstieg aus dem Euro.

Die Botschaft ist klar

Doch die Botschaft, die aus Rom dringt, ist klar: Wenn die vom 31-jährigen Luigi Di Maio geführte systemkritische Fünf-Sterne-Bewegung und die rechte Lega um ihren Chef Matteo Salvini in den nächsten Tagen vom Staatspräsidenten das definitive Mandat für die Regierungsbildung bekommen, soll kein Stein mehr auf dem anderen bleiben. Ihre Absicht, das EU-Budget sowie die finanziellen Rahmenvereinbarungen in Europa neu zu verhandeln, haben die Parteiführer matraartig vor sich hergetragen. Die Fünf-Sterne-Bewegung hat den Koalitionsvertrag bereits abgesegnet, nun müssen noch die Lega-Mitglieder abstimmen.


Bei der Parlamentswahl am 4. März gewannen Fünf-Sterne-Bewegung und Lega gemeinsam über 50 Prozent der Stimmen. Das Mandat der italienischen Populisten ist stark, es verträgt sich nur kaum mit der europäischen Realität. Man kann einerseits die Unerfahrenheit und Blauäugigkeit der Wahlsieger dafür verantwortlich machen. Es ist davon auszugehen, dass es den beiden Parteien nicht per Handstreich gelingen wird, das europäische Wirtschafts- und Finanzsystem auf den Kopf zu stellen. Aber ihre zentralen Wahlversprechen werden Di Maio und Salvini wahrzumachen versuchen. Dazu zählt unter anderem die Senkung des Renteneintrittsalters und der Steuern. Kaum gedeckte Kosten von bis zu 100 Milliarden Euro veranschlagen Experten für diese Maßnahmen. In Deutschland verursachen diese Pläne sogleich einen Reflex: Sollen wir schon wieder, über den Umweg des Aufkaufs von zusätzlichen italienischen Staatsanleihen durch die EZB, für die Verschwendungen der anderen gerade stehen?


Was aber wäre, wenn es wirklich am System hakt? Nicht im Sinne der Propaganda, die Fünf-Sterne-Bewegung und Lega Glauben machen wollen und derzufolge alleine Brüssel und Berlin an der italienischen Misere Schuld sind. Italien sitzt mit seinen 2300 Milliarden Euro Staatsschuld (130 Prozent des Bruttoinlandsproduktes) tatsächlich in der Klemme. Obwohl sich der finanzpolitische Rettungsschirm des Italieners und EZB-Chefs Mario Draghi noch beruhigend über dem Finanzloch in Rom ausbreitet, scheint es nur eine Frage der Zeit, bis Rom Athen als Sorgenkind Nummer eins der EU ablöst.

Es war unverantwortlich von den italienischen Regierungen der Vergangenheit, den Wohlstand der Gegenwart auf Pump zu finanzieren, der in der Zukunft beglichen werden soll. Diese Politik kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Aber ebenso unbefriedigend ist die Tatsache, dass der Daumen über einem Staatshaushalt von Ratingagenturen, Banken und Investmentfonds gesenkt werden kann.

Die Schuldigen

Wer ist also Schuld an der Misere? Die Verantwortung nur den Populisten in die Schuhe zu schieben, ist zu einfach. Im Gegenteil, die gegenwärtige Krise birgt auch eine Chance. Mit ihren wohl größtenteils haltlosen Versprechen weisen Fünf-Sterne-Bewegung und Lega unbewusst auf die Mängel des Systems hin.

Anstatt also die Hände wegen angeblich verantwortungsloser Dummköpfe über dem Kopf zusammen zu schlagen, bietet das neuerliche Polit-Chaos in Rom die Möglichkeit, das ungleiche und regelmäßig an seine Grenzen stoßende Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft und Finanzen grundsätzlich in Frage zu stellen. Der italienische Populismus unterscheidet sich dabei von den sogenannten seriösen Politikern nur im Extrem seiner Ankündigungen.

Die Italiener lehnen sich derweil zurück. Krisen und das zugehörige Getöse sind sie gewohnt. Aus dem Zuspruch für die Populisten spricht nicht nur der Wunsch nach mehr Geld im Geldbeutel, sondern das Bedürfnis nach einem echten Wandel. Europa kann sich dem verschließen oder das Rumoren im Süden als Auslöser für echte Reformen nutzen.