"Wann kommt die Flut?“ Diese Frage ist am Mont-Saint-Michel allgegenwärtig und hallt in zahlreichen Sprachen durch die altehrwürdigen Mauern der Abtei. Mit großen Augen bewundern Besucher hier nicht nur das Kloster, das auf dem Berg wie eine mächtige Festung wirkt, sondern vor allem die unbändige Kraft der Natur. Kein Wunder, ist doch die Bucht des Klosterberges Schauplatz der stärksten Gezeiten Europas. „Die Flut ist hier schnell wie ein galoppierendes Pferd. Bis zu zwölf Meter kann der Unterschied zwischen Ebbe und Flut betragen“, erklärt Reiseführerin Cécile Loiseau. Seit Jahrhunderten fasziniert der gotische Mönchsberg Dichter, Maler, Architekten und eigentlich sämtliche Reisenden, die die Silhouette der sich im Licht stets wandelnden Gestalt zu erfassen suchen. Wo gerade noch Watt und Treibsand die Insel umrundeten, erobert das Meer hier binnen weniger Stunden das Land zurück. Und das in atemberaubender Geschwindigkeit. Bei Flut gehörte die Abtei einst ganz dem Meer und Mönchen. Heute kann sie jederzeit über eine Brücke erreicht werden.


Aber nicht nur der Atlantik ist in der Normandie ein Eroberer, auch die Geschichte der Region nordwestlich von Paris prägten zahlreiche Eroberungen. Seit der Wikingerkönig Rollo das raue, aber durch seine wilde Schönheit geprägte Land einnahm und sich mit seinem Volk dort ansiedelte, war die Normandie Ausgangspunkt und Ziel von Okkupationen.

Bewegte Geschichte


Das Mémorial de Caen geht dieser bewegten Vergangenheit mit moderner Museumstechnik auf den Grund. Das „Museum für den Frieden“, so sein offizieller Titel, widmet sich der alliierten Landung am 6. Juni 1944 und darüber hinaus der Geschichte von Konflikten, Krieg und Frieden.


Auch kulturell hat sich in der Normandie stets viel bewegt. Künstler und Denker konnten sich dieser ungestümen Landschaft nicht entziehen. So war das maritime Städtchen Honfleur mit seinen charmanten Gassen und den pittoresken Fachwerkhäusern im 19. Jahrhundert ein Zentrum künstlerischer Aktivitäten. Maler wie Gustave Courbet, Alfred Sisley, Johan Barthold Jongkind, Claude Monet, Camille Pissarro, Pierre-Auguste Renoir und Paul Cézanne kamen nach Honfleur und trafen sich oft in der Ferme Saint Siméon, einem Bauernhof (und heute Hotel), der als eine der Geburtsstätten des Impressionismus gilt. Bis heute erobern immer noch zahlreiche Maler den Kai der kleinen Hafenstadt. Auch die Pariser entfliehen hierher gerne dem hektischen Leben der nahen Großstadt.


So erging es wohl auch Claude Monet, der sich am rechten Ufer der Seine in der kleinen Gemeinde Giverny niederließ. Dieses malerische Örtchen machte er mit seinen Gemälden von den selbst angelegten Gärten weltberühmt. Wie schon zu Zeiten Monets lassen sich heute noch die Besucher vom Charme des Gartens mit seinen Teichen, der japanischen Brücke und seinen Nymphen erobern. Wie allgemein von der Schönheit dieser Region. „5000 Jahre Geschichte zu erklären, ist schwierig, die muss man sich schon selbst erobern“, resümiert auch Reiseführerin Cécile.