Schon seltsam, wie wir uns mitunter verhalten: Wir gehen in einem Geschäft blindlings auf die Kasse zu, sehen kurz zur Seite und bemerken, dass da schon eine ganze Schlange wartet – wir haben uns vorgedrängt. Oder wir bemerken mitten in einem Gespräch, dass wir plötzlich nicht mehr wissen, ob wir unserem Gegenüber direkt in die Augen sehen sollen und ob wir uns näher zu ihm hinbewegen sollten oder nicht. Wir sind verunsichert. Kann passieren. Manchen passiert es allerdings ständig, dass sie sozialen Erwartungen nicht entsprechen, unangemessen auf etwas reagieren und irgendwie „daneben“ stehen. Diese Persönlichkeiten stufen wir als seltsam ein.

"Seltsam" ist nicht krank

„Dieses Wort hat der amerikanische Psychologe Ty Tashiro als Begriff für die Vielfalt an Verhaltensweisen eingeführt, die nicht ganz in der Norm sind“, sagt der Grazer Psychologe Philip Streit, der sich in Workshops immer wieder diesem Thema widmet. Tashiro war als Kind selbst sehr schüchtern, fürchtete sich vor Menschenansammlungen, zog sich zurück. Auf die Frage, was ihm im Leben besonders geholfen hat, antwortet er in seinen Vorträgen, dass er bei seinen Eltern unglaublichen Rückhalt hatte und bei ihnen so sein durfte, wie er war.
Seltsam ist für Tashiro kein pathologischer Begriff. „Seltsame Verhaltensweisen sind keine Krankheit“, sagt Philip Streit. Wie Tashiro wird er nicht müde, davor zu warnen, über andere immer gleich ein Urteil zu fällen, sie gleichsam zu stigmatisieren – auch wenn wir im Alltag gewisse Strukturierungshilfen im Umgang miteinander brauchen.

Die Oberösterreicherin Veronika Kunze, selbst psychologische Beraterin, Traumapädagogin und „hochsensibel“, also zeit ihres Lebens nicht ganz in der gesellschaftlichen Norm, geht noch weiter: „Sprechen wir bitte auch nicht über die Eigenart eines Menschen, sondern über bestimmte Wesenszüge, etwa den Wesenszug der Hochsensibilität“, sagt sie. „Mit dem Begriff der Eigenart sind wir schon im Krankheitsbild, diese Menschen sind aber nicht krank.“ Der richtige Ansatz wäre, das Seltsam-Wunderbare im Menschen zu sehen.

Was wir konstruieren

Streit betont: „Auch bei der neuen Autismusforschung ist es so, dass man auf die außerordentlichen Fähigkeiten, die diese Menschen haben, fokussiert und nicht wie früher auf den Mangel an innerer Strukturierung.“ Anders gesagt: „Ein ausgewiesener Autist ist jemand, den wir als Autisten diagnostiziert haben. Das existiert nur in unseren Konstruktionen.“ Wichtig ist, den Menschen zu begegnen. Sobald wir jemanden aber etwa als Autisten eingeordnet haben, ist die Gefahr groß, dass wir ihm nicht mehr als Menschen begegnen, sondern ihn auf eine bestimmte Weise behandeln. Streits Empfehlung: „Gehen wir, wenn wir seltsamen Menschen begegnen, doch einmal einen Schritt zurück, nehmen wir den anderen, wie er ist, und sagen wir uns: Das ist ein wertvoller Mensch.“ Das gelinge umso besser, je mehr man sich selber mag. „Weil am wenigsten mögen wir unsere eigenen Seltsamkeiten – mit denen müssten wir aber gut umgehen und sie schätzen lernen.“

Lernen, andere nicht klein zu machen

Die grundsätzliche Art, wie wir auf andere blicken, wird freilich schon in der Kindheit festgelegt. „Wenn ein hochsensibles und ein normal sensibles Kind zusammenkommen, nimmt das hochsensible gar nicht böse gemeinte Aussagen wie ,Heute schaust aber komisch aus’ teilweise sehr persönlich und glaubt, dass es ,falsch’ ist. Dann kann es sich entweder gleich einmal zurückziehen oder etwas tun, wodurch es dem anderen Kind gegenüber eine Schwäche offenbart“, erzählt Kunze. Der normale menschliche Instinkt sei nun, beim Erkennen einer Schwäche extra auf dieser herumzureiten – und die Negativspirale beginne sich zu drehen. „Es sei denn, man hat ein Elternhaus, in dem Werte gelebt werden, in dem Kindern klargemacht wird, dass es nicht in Ordnung ist, jemanden kleinzumachen.“

Kunze sagt aus eigener Erfahrung: „Was man nicht braucht, ist, dass man als hochsensibler Mensch spürt, dass ein anderer Schwierigkeiten mit einem hat – und man braucht nicht, dass einem gesagt wird ,Du bist anders – Du bist so empfindlich – Du bist so langsam – Du bist nicht normal.’ Das braucht man nie, weder mit fünf noch mit 90 Jahren.“ Probieren wir es also mit dem Zugang: „Du bist wunderbar."